Die Loveparade-Katastrophe und Twitter, das Echtzeitmedium

Samstag abend fuhr ich zu einem Freund, wir wollten essen gehen. Um 18.30 Uhr hörte ich in den Radio-Nachrichten, dass es Tote bei der Loveparade gegeben hatte. Um 18.35 Uhr stürmte ich in die Wohnung des Freundes und bat ihn: „Mach schnell Internet an – da ist was Schreckliches passiert“. „Wo soll ich denn gucken“ fragte er – „Bei Twitter!“

Ich öffnete also meinen Twitter-Account über seinen Rechner und gab in das Suchfeld „Loveparade“ ein – und da erschienen sie, News in Sekundenabstand, Videos, Fotos, Presseartikel, Vermissten-Suchanfragen, Trauerbekundungen und Reaktionen aus dem Ausland.

Später abends, so um 21.30 Uhr, sah ich auf einem Live-Video, wie ein bewusstlosen Mädchen am Tunneleingang über eine unglaubliche Menschenmasse Zentimeter für Zentimeter zu einer Leiter weitergereicht, und dort von Helfern irgendwie nach oben gezogen wird. Völlig entsetzt fand ich eine Fotostrecke auf der BILD-Seite mit Bildern von zugedeckten Leichen, fokussiert auf die hervorguckenden Hände der Toten.

Ich fand über Blogger eine zwei Tage alte Seite vom „Der Westen“, auf der ein Leserbriefschreiber ausführlich begründete, warum er mit Toten rechne bei der Veranstaltung. Es sei unmöglich, eine Millionen Menschen durch einen einzigen Tunnel ohne Fluchtwege zu schleusen.

Artikel aus „Der Westen“ und Kommentar von „klotsche“ – der 13. Kommentar unterhalb des Beitrags „“Flipflops zur Loveparade?“

Das Medienmagazin DWDL sorgte mit einem Screenshot für die Verbreitung des Kommentars – hier die Schilderung der Ereignisse

24 Fotos von der Katastrophe im Manager-Magazin

Fast alle Informationen habe ich über „Muschelschloss“ – einen Twitteraner, der bemüht sich, Insider-Infos über Twitter zu verbreiten – danke!

Ich sahe weitere Fotos und Videos, und langsam wurde mir klar, was wirklich passiert war: Das Gelände war kompett umzäunt, einziger Zu- und Abgang war besagter Tunnel. Wegen Überfüllung des Geländes wurden von der Polizei anströmende Menschen in den Tunnel zurückgeschickt, am anderen Ende strömten Besucher der Veranstaltung wie wild in den Tunnel, weil sie unbedingt irgendwie auf das Gelände wollten – schließlich waren sie extra angereist und waren nicht bereit, einfach wieder abzureisen.

In der Zwischenzeit sind die meisten der Schockvideos und -fotos wieder von YouTube entfernt worden. Der Leserbrief des Mahners ist schon über 20.000 Mal gelesen worden, unter den Twitter-Nutzern gibt es seit gestern abend den viralen Aufruf, die Bildzeitung wegen der widerlichen Fotos zu boykottieren. (die heutige Titelzeile der Bild kenne ich auch aus Twitter: „Todesparade“)

Also falls mich jemals wieder jemand darauf ansprechen sollte, dass Twitter ein verachtungswürdiges Medium für Menschen sei, die unbedingt der Welt mitteilen wollen, wann sie zur Toilette müssen, werde ich nicht mehr bereit sein, auf diesen Schwachsinn auch nur zu antworten. Gäbe es Twitter nicht, hätten die Verantwortlichen die Möglichkeit, sich eventuell aus der Affaire zu ziehen und die Schuld den Besuchern und „Individuen“ in die Schuhe zu schieben – so nicht. Es ist eindeutig und belegt: die Sicherheitsvorkehrungen waren nicht nur unzureichend, sie grenzten an…………….

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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3 thoughts on “Die Loveparade-Katastrophe und Twitter, das Echtzeitmedium

  • Reply Detlef Schumann 26. Juli 2010 at 15:24

    Am Wochenende sollte die Kulturhauptstadt Ruhr2010 mit der Love Parade in Duisburg einen weiteren Höhepunkt erleben.
    Was in Berlin Essen und Dortmund ohne große Zwischenfälle gelang, wurde in Duisburg zur Katastrophe. Mein Mitgefühl ist bei den Betroffenen Personen aber auch bei den Angehörigen, welche mit schwierigen Situationen konfrontiert werden.
    Die Veranstalter weisen zunächst alle Schuld von sich, es wird aber staatsanwaltliche Ermittlungen geben.
    Oft habe ich in meinen Artikeln über die Notwendigkeit von Rechtsschutz und Haftpflichtversicherungen berichtet.
    An der Katastrophe von Duisburg wird leider sehr deutlich wie wichtig dieser Versicherungsschutz sein kann.
    Da sind zum einen die Veranstalter, auf welche Schadenersatzforderungen und Straftatvorwürfe zukommen. Wenn diese keinen vernünftigen Veranstaltungshaftpflicht oder Rechtsschutz besitzen könnte es teuer werden.
    Sicherlich ist es richtig das bei einem schuldhaften Vergehen die Verantwortlichen bestraft werden. Anschuldigungen sollten aber von Sachverständiger Seite überprüft werden können und Angeschuldigte sich auch gegen Tatvorwürfe verteidigen können.
    Auch ist den Opfern und Angehörigen zu raten schnell einen Anwalt oder eine Beratungsstelle aufzusuchen und Ansprüche gegen die Verantwortlichen oder Unbekannt geltend zu machen. Wer über eine Rechtsschutzversicherung verfügt sollte sich schnellstens eine Deckungszusage einholen.
    Sicherlich werden die Todesopfer dieser Tragödie dadurch nicht wieder lebendig und die Vielen verletzten oder der Panik unversehrt entkommenen noch jahrelang traumatisiert sein, doch dürfen die Schuldigen nicht ungeschoren davonkommen. Mein Sohn hat nur kurz zuvor das Gelände durch den Tunnel velassen, weil es seiner Freundin zu voll war und viel zuwenig Toiletten aufgestellt waren.
    Vier Minuten später und er wäre im Tunnel gewesen als die Panik ausbrach. Er ist noch völlig fertig.

  • Reply Claudia Engelberts 27. Juli 2010 at 11:37

    Wie die meisten anderen Menschen auch habe ich mich noch nicht von der Erschütterung und Fassungslosigkeit erholt, die dieses schreckliche Ereignis in uns allen ausgelöst hat. Ich bekam die News von meinem Handy-Provider als SMS, als ich bei einer Freundin in deren Wochenendhäuschen war. Oh, Gott, meine Tochter! Jedes Jahr war sie auf der Love Parade, seit sie im Ruhrgebiet stattfindet. Schnell Nachrichten ansehen im TV, Tochter anrufen, SMS schicken. Endlose Zeit verging, bis sie sich meldete und sagte, sie sei diesmal nicht da gewesen. Große Erleichterung- und großes Mitgefühl für die Eltern, Angehörigen und Freunde, die nicht soviel Glück haben und jemanden verloren, und für die vielen Menschen, die Dinge sahen und erlebten, die sie nie wieder vergessen werden. Auch ich bin froh und dankbar wie Du,liebe Eva, dass die neuen Medien, vor allem das Internet, dafür sorgen werden, dass die Wahrheit ans Licht kommen kann und es den Verantwortlichen nicht so leicht fallen wird, Tatsachen und Geschichte zu filtern und zu fälschen. Die letzten „Wahlen“ im Iran und die nachfolgenden Unruhen haben den Mächtigen dort erst unlängst gezeigt, das sich die Zeiten für Tyrannen geändert haben und Medien ihre Macht auch beschneiden, nicht nur befördern können, wenn sie demokratisch und für alle zugänglich sind. Danke, Web 2.0. Ebenso wie Detlef Schumann stehe ich zu unserem Rechtssystem, jeder ist unschuldig, bis ihm das Gegenteil bewiesen wird. Aber dieses Mal wird der Prozess der Aufklärung und Wahrheitsfindung durch viele Bilddokumentationen sehr unterstützt werden.

    • Reply Eva Ihnenfeldt 27. Juli 2010 at 17:49

      Ich bin so froh, dass wir so viele sind, die „ethisch“ ähnlich empfinden und aktiv daran mitarbeiten, dass wir in einer demokratischen mitfühlenden Welt leben. Tut gut, Dich zu lesen 🙂

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