Geliebt werden – oder fliegen können? Die Zerrissenheit des Menschen im digitalen Zeitalter

Gestern abend sah ich zum ersten Mal den oscarprämierten Film „Birdman“ mit Michael Keaton. Zwar bin ich kein Schauspieler, doch die Zerrissenheit zwischen der Sehnsucht nach „geliebt werden“ und „fliegen können“, die wohl gerade der Beruf des Schauspielers versinnbildlicht, kenne ich gut. Anschließend träumte ich, dass ich mich bei einem Gruppen-Ausflug so daneben benommen hatte, dass man mir lächelnd mitteilte, wir träfen uns dann wieder daheim… Ich musste allein nach Hause finden – und das durch einen mir unbekannten, verwirrenden Wald!

Je älter ich werde, desto schlimmer wird es. Ich kann mich einfach nicht mehr gesellschaftlich konform benehmen. Bei

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Foto: FJ Baldus

beliebten Themen wie „Früher war alles besser“ erstarre ich wie ein paralysiertes Kaninchen, und bei Gemecker und Gejammer verderbe ich die Stimmung, weil ich sofort einen Plan machen will, wie man das beschriebene Ärgernis aus dem Weg räumen könnte. „Love it, change it or leave it“ ist aber nicht gewünscht bei der üblichen gesellschaftlichen Kommunikation. Man will sich einfach nur „entleeren“ – ob das Gegenüber angestrengt zuhört oder nur auf eine Pause wartet, um selbst seine Hormone auszuschütten, ist eigentlich egal. Der gemeinsame Feind verbindet und gibt Genugtuung – fertig.

Da zücke ich dann in meiner Verzweiflung und Unfähigkeit gern mein Handy und starre konzentriert aufs Display. So wohltuend, sich mit Feedly-News, Tweets und Facebook-Posts aus der Welt der Gesprächs-Langeweile zu retten.

Und wenn sich ältere Menschen darüber ärgern, dass junge Leute ständig ihr Handy zücken, anstatt sich zu unterhalten, fühle ich mich total angesprochen. Auch ich „ältere Dame“ gehöre genau zu dieser Sorte Mensch, die den Frieden der eigenen Filterblase liebt und die keine Lust hat, sich ständig in Situationen zu begeben, in denen ich mich sonst unweigerlich zu streiten beginne.

Ich liebe die menschliche Kommunikation über alles, wenn es um Konstruktives, Kreatives, Abenteuerliches, Verbindendes, Erkenntnisreiches, Lösungsorientiertes und Projektbezogenes geht. Da ich selbstständig bin und häufig Lehraufträge habe, bin ich in der privilegierten Lage, das fast täglich zu erleben. Mein berufliches Leben ist dermaßen abenteuerlich, dass ich zum Ausgleich die Ruhe liebe und privaten Erlebnissen aus dem Weg gehe. Tja, ich werde eben älter, und ich bin sicher, diese Sehnsucht nach Einsamkeit wird noch zunehmen.

Geliebt werden wollen und Fliegen wollen

Heute früh sah ich zum ersten Mal den neuen EDEKA-Spot mit dem kleinen Jungen, der in einer Welt von Kugelmenschen lebt und daraus ausbricht. Die Kraft dazu findet er durch seine Sehnsucht: Fliegen können wie ein Vogel. Anders wie in Birdman scheint er nicht an seinem Umfeld zu hängen – er will einfach fliegen können. Während der Hauptdarsteller in Birdman viele Konflikte durchleben muss, um sich von dem „Ich will unbedingt geliebt werden von meinem Publikum“ zu befreien, scheint dieses Kind kein Problem damit zu haben.

Viele Menschen ärgern sich über den Werbespot und meinen, dicke Menschen würden dadurch verunglimpft, aber ich habe das nicht so wahrgenommen. Für mich hätte das Thema auch funktioniert, wenn der Junge sich aus einer Welt der „Self-Optimization-Anhänger“ in die Lüfte geschwungen hätte – oder aus einer Welt der „Political Correctness Bürger“ – oder aus einer Welt der Konsumenten, Profit-Jäger, Ökos, Fremdenhasser…

Fliegen lernen kann man wohl nur, wenn man sich befreit aus dem Zwang, dazugehören zu müssen. Lieben lernt man wohl nur dann, wenn man sich befreit aus dem Zwang, geliebt werden zu müssen. Vielleicht ist das Smartphone und der „Black Mirror“ ja auch eine Hilfe dabei, zu mehr Unabhängigkeit zu kommen? Ich weiß es nicht. Ich bin einfach froh, dass ich so leben darf, wie ich lebe – auch wenn ich vielleicht mal durch einen Wald allein nach Hause gehen muss, weil ich gesellschaftlich komplett unerträglich bin 😉

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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