Ohne Emotion kein Verkauf

Das Ensemble „The Cast„, bestehend aus 6 Opernsängern, 2012 gegründet, ist der Inhalt eines momentan in Deutschland tourenden Dokumentationsfilmes. Das Ensemble löst sich von den üblichen Strukturen des klassischen Musikmarktes und bringt Oper dorthin, wo sie hin sollte: Zu den Leuten. Das mit sehr viel Emotion. Was das mit Social Media zu tun hat? Eine Menge. Schließlich sollten auch wir uns daran erinnern, dass letztendlich alle Tools und alle schicken Oberflächen nutzlos sind wenn eins fehlt: Die Emotion.

Was fehlt ist das Gefühl

Nehmen wir als Beispiel, als Platzhalter die Buchbranche. Ein Buch vermag uns anzurühren. Es verführt uns zum Weinen, zum Lachen, es lässt uns Höhepunkte und Tiefpunkte erleben. Bücher bewegen. Dieses Anrühren, diese Emotionen spielen aber dort wo das Buch herkommt – also dort wo wir es kaufen und es erleben – keine Rolle. Stadtbibliotheken etwa neigen dazu nüchterne, sachliche Orte zu sein. Man soll hier nicht spielen, man soll hier nicht in Tränen ausbrechen: Man soll hier Wissen erwerben. Zudem inszenieren sich Bibliotheken gerne auch als Hüter der Hochkultur. So wie Opernhäuser verlangen sie eine ganz bestimmte Form und ein ganz bestimmtes Verhalten. Lautes Lachen, Schluchzen oder Weinen sind in Bibliotheken nicht gern gesehen. Ebenso wenig bei Thalia oder Bouvier oder anderen Ketten, in derem Innern sich auch nur scheinbar noch eine Buchhandlung befindet – in Wahrheit müsste außen an der Türe ein „Non-Book-Business“-Schild stehen. Denn der überwiegende Teil besteht aus Lesezeichen, Plüschtieren, Tassen, Frühstücksbrettchen – kurzum: Tinnef, den die Buchhändler offenbar führen müssen weil das Angebot sonst nicht attraktiv genug zu sein scheint. Mit ein Fehler, in das viele Branchen getappt sind: So wie Amazon sich erfolgreich erweiterte und nach Büchern auch andere Waren im Sortiment führte, so denken Filialen – auch jenseits des Buchhandels übrigens – dass dies genau das sei was die Leute wollten, was die Leute in den Laden locke und stellen deswegen weniger Bücher in die Regale sondern mehr Beiwerk. Zwar vertrete ich die These, dass bei der Durchsetzung von Innovationen die Kunden gerade NICHT gefragt werden sollten sondern einfach ausprobiert werden sollte – im Tagesgeschäft sollten Händler aber gerade auf den Kunden hören.

Immerhin – im Gegensatz zu vielen anderen Geschäften und Gewerken: Emotionen sind in der Oper und dort, wo sie aufgeführt wird noch gestattet. Der Zuschauer darf weinen, schluchzen, applaudieren, aufjauchzen – aber er bleibt stets in seiner Rolle als Zuschauer. Szenenapplaus nach einzelnen Arien ist zwar immerhin noch ein Teil unserer Tradition. Oper hat eine Form entwickelt, die Ansprüche setzt und natürlich geht es hier nicht darum zu sagen, Tradition sei böse und müsse unbedingt über Bord geworfen werden. Ebenso wenig wie jetzt alle Welt nur noch eBooks kaufen sollte – obwohl sie das zweifellos tut, wegen der Vorteile – anstatt zum gedruckten Exemplar zu greifen.

Gefühl: Gerne, so lange es verkauft

Dabei spielt Emotion natürlich eine Rolle: Solange sie zum Verkauf des Buches führt wird sie gerne genutzt. Da werden pinkfarbene Traumwelten für junge Mädchen aufgebaut – „Prinzessin Lillifee“ vereint dann ja alles, was junge Mädchen gerne sein möchten: Elfe UND Prinzessin! Toll! Bücher werden im Rahmen der Corporate Identity inszeniert. Sie bekommen eine genau abgestimmte Rolle, liegen perfekt kombiniert in Auslagen. So wie die Oper inszeniert wird – und es dabei mal gut, mal weniger gut gehen mag – so werfen sich auch Bücher in Pose. Sie werben mit schrillen Ausrufen wie „NEU!“ – „Vom Autor des Bestsellers“ – und die Kritiken sind jetzt schon nach der Premiere gut, wie man auf der Rückseite sehen kann. Manchmal wird vor Büchern sogar gewarnt, was natürlich vollkommener Blödsinn ist. Aber genau diese Kampagne mit den unsäglichen gelben Bändern – „Vorsicht Buch“ heißt sie und möchte das Image des Buchhandels heben – genau dies aber zeigt, was der Buchhandel nicht kann. Richtige Emotionen erwecken.

Genau das aber können „The Cast“. Statt nur seine Zeit abzusitzen und passiv zu sein dürfen die Zuschauer bei „The Cast“ mitmachen. Sie werden – wenn man den Vergleich ziehen möchte – vom reinen Konsumenten zum Mitgestalter des Projekts. Nur, dass sie halt keine neuen Label für irgendwelche Spülmittelflaschen entwerfen. Mitsingen bei den Aufführungen von „The Cast“? Kein Problem. Mitklatschen? Dazu wird man direkt aufgefordert. Was Buchhandlungen – vor allem kleinere – ja schon in der Form oder ähnlich tun: Sie laden Leute zu sich ein und versuchen bewußt Formate zu erstellen, die die Leute mitnehmen. Doch verlässt der Besucher den Laden, dann ist die Verbindung zum Geschäft erloschen – ebenso wie das Buch seine Rolle verlässt und von der Bühne geht. Was noch mit ihm geschieht passiert abseits, eine dieser Nebenhandlungen, die man für den Genuss der Oper kennen sollte, aber irgendwie dann doch nicht kennt und sich nicht dafür interessiert.

Mein Verstand sagt nein, mein Bauch sagt ja – es landete im Einkaufskorb

„The Cast“ könnte man – wenn man wollte – mit dem kleinem unabhängigen Buchladen um die Ecke vergleichen, der erkannt hat, dass die Leute nicht mehr nur konsumieren möchten. Ebenso wie der kleine Buchhändler nicht eines Tages die Weltherrschaft über die Thalia-Filialen an sich reißen möchte wollen „The Cast“ auch nicht die traditionellen Formen der Opernaufführung verdrängen oder verbieten.“The Cast“ sind eher das Modell „Rockband“. Sie senken die Hemmschwelle. Sie vermitteln, dass Oper Spaß machen kann. Ob nun die Leute direkt nach einem Besuch eines Konzertes sich Karten für die nächste Tristan-Aufführung kaufen sei dahingestellt. Darum geht es aber auch nicht. Es geht darum zu zeigen, dass Oper nicht elitär ist. Ebenso wenig sollte eine Stadtbibliothek oder Stadtbücherei dieses Image vermitteln. Oder andere Geschäfte. Es gelingt aber meistens leider hervorragend, die Gründe dafür dürften vielfältig sein.

„The Cast“ vermitteln den Spaß, den Sänger an der Musik haben können. In einigen Buchhandlungen bin ich dieser Begeisterung, dieser Leidenschaft fürs Buch auch begegnet. Aber meistens bezieht sich dies auf Veranstaltungen im eigenen Haus. Während „The Cast“ auch an ungewöhnlichen Orten auftritt sträubt sich der Buchhandel noch zu erkennen, dass auch er längst mehr machen muss als nur die monatliche Lesung oder den Auftritt des Kinderclowns. Es gibt schon Konzepte wie die Bücherkiste, mit der der Buchhändler raus geht und vielleicht auch so eine Art Tupperparty-Feeling erzeugt. Nichts gegen Tupperware, das ist die Urmutter aller Modelle bei denen Vertreter persönlich mit Kunden zu tun haben – und Tupperware kann man zwar mittlerweile auch online bestellen, aber Tupperware-Partys waren vor kurzem noch (schon wieder) Kult. Dem Buchhandel fehlt einfach das Feedback der Kundschaft. Wenn ich ein Buch kaufe, gehe ich zum Regal, nehme das mit, bezahle und bin weg. Ich komme auch gar nicht auf die Idee dem Buchhändler zu sagen warum und wie ich das Buch ausgesucht habe. Eventuell mache ich das bei dem kleinerem Buchhandel um die Ecke, aber auch nur dann wenn ich dort häufig was kaufe und die mich kennen.

Mehr Rockbands!

Ungewöhnliche Ideen fehlen momentan etwas im Buchhandel. Sicher, es gibt das BookUp, man kann sich für einige Zeit in der Buchhandlung einschließen lassen, ja, aber das ist ja doch eher schon traditionell das, was wir mit dem Buch als Ware verbinden. An welchen Stellen gehen denn Buchhändler und Bibliothekare denn aktiv auf ihre Kundschaft zu? Mit Angeboten, die auf die Zielgruppe passen? Vorleseaktionen schön und gut, aber auf Dauer kann es das ja dann auch nicht sein. Buchhandlungen und Bibliotheken haben noch nicht verstanden, dass der Mensch in diesen Zeiten Orte auch als sozialen Punkt nutzt, um dort zusammen zu kommen, zu reden, zu diskutieren. Gerade Bibliotheken sollten sich das ins Bewusstsein rufen.

Alles in allem: Ohne Emotionen verkauft man kein Produkt. Emotionen, die in Geschichten stecken übrigens. Und während die Oper immerhin noch dramatische Geschichten liefert haben Geschäfte in der Regel keine Geschichte. Sie haben nur Handlungen und Handlungsanweisungen. Das ist schade, denn das Potential liegt damit brach – allerdings gehört schon ein wenig Mut dazu sich einfach mal in den Gestus einer Rockband zu begeben. Aber warum eigentlich nicht?

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