Was braucht der Mensch zum Leben? Einen Rucksack – mit 14 kg Gepäck

Carina Herrmann ist „Dauerreisende“. Seit etwa fünf Jahren reist die junge Ex-Kinderkrankenschwester durch die Welt, lebt mal in einer Metropole für einen Monat, mal in freier Natur für einen Monat, durchlebt Kontinente und Kulturen, – und ärgert sich zurzeit ein kleines bisschen, weil ihr Rucksack 17 kg wiegt. „Ich war schon bei 14 kg, da muss ich doch mal wieder was optimieren“. Carina Herrmann ist in Deutschland als Selbstständige gemeldet, verdient ihr Geld online als Reisebloggerin und mit anderen Projekten, sorgt privat für ihr Alter vor und antwortet auf die Frage nach ihren Lebenshaltungskosten: „Im Grunde genommen sind die Lebenshaltungskosten als Dauerreisende so ähnlich wie die Kosten damals in Deutschland mit Wohnung in fester Anstellung. Statt Miete zahle ich Flugreisen, wohnen tu ich viel über airbnb – und arbeiten in CoWorking-Spaces. Das tut sich alles nicht viel“.

Eva Ihnenfeldt sitzt in der Lesung von Carina Herrmann und staunt. Und zeichnet ihre zweite Sketchnote. Saugt auf, was Sketchnote_Carina_HerrmannCarina aus ihrem Reiseerfahrungsbuch vorliest in dieser Stadtbibliothek in Essen. Morgen wird sie wieder nach New York aufbrechen, wird vielleicht einen Monat dort bleiben. – Oder auch nicht -. „Manchmal habe ich auch schon spontan Flugreisen storniert – also ganz sicher ist bei mir gar nichts“, sagt die kleine hübsche Frau, die sich mit 30 Jahren auf den Weg gemacht hat. Alles verkauft, Job als Kinderkrankenschwester gekündigt, Wohnung aufgegeben, mit 7.500 Euro Reisekasse nach Australien.
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Extrem sicherheitsbedacht sei sie gewesen, sagt Carina Herrmann. Gut geplant hatte sie, und für die Rückkehr hatte sie bei ihren Eltern ein Regal eingelagert – und ihre Bücher. Und noch ein paar wenige Dinge. Heute ist auch das alles weg. Heute reicht ihr ein Rucksack, der nun gerade ärgerlicherweise 17 kg wiegt, wo sie doch schon bei 14 kg war.

Carina lebt in der Community der Dauerreisenden. Sie arbeitet etwa 30 Stunden in der Woche – manchmal auch mehr, wenn es konkrete Projekte gibt – natürlich online. Wenn sie sich von ihrem Schreibtisch erhebt nach der Arbeit, läuft sie durch Sidney, durch Bangkok, durch New York oder eine malerische kleine Stadt in Marokko. Oder sie steht von ihrem Schreibtisch auf und ist mitten in der stillen Natur, irgendwo auf der Welt. „Damals, als ich aufbrach, dachte ich, die Liste der Orte, die ich noch sehen will, wird mit der Zeit kleiner. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Liste der Orte auf der Welt, die ich noch sehen will, wird immer länger!“.

Dauerreisende sind Nebendarsteller in den Geschichten der Welt. Sie kommen und gehen. Freundschaften ergeben sich genau in dem Moment, in dem sie sich ergeben. Freundschaften können leben und gedeihen, da kein Außen sie stört und niemand etwas in Schubladen zwängt. Dann wird eben mal ein Flug storniert, wenn etwas Bedeutendes die Pläne ändert. Freundschaften dürfen sich auch trennen, da keine Verpflichtungen bestehen. „Merkwürdig, wie oft meine Reise-Freundschaften dauerhaft werden“, sagt Carina Herrmann. Man kann ja online wunderbar verbunden bleiben – und die Community der Dauerreisenden scheint nicht die schlechteste zu sein…

Die Welt da draußen ist schon sehr intensiv und voller Sinnesfülle für die Dauerreisenden, doch bleibt sie trotzdem herrlich unverbindlich. Heute hier, morgen dort, neues Bett, neuer Coworking-Space, neue City, neue Sprache, neues Gehupe. Sonne, Meer, üppiges Grün – Wüste, Berge, brüllende Hitze oder Monsun. Flugzeuge, Züge, Busse, Schiffe, Taxis und Mietwagen. „Musst Du denn immer am Rande des Notwendigsten leben“ fragt eine Zuhörerin. „Nein, heute verdiene ich genug Geld, um mit auch mal ein wenig Luxus leisten zu können. Letztlich habe ich sogar vier Wochen frei gemacht. Aber in Hotels wohne ich nie, und so richtig komme ich nicht klar mit Geldverschwendung. Aber ich kann schon gut leben. Und privat fürs Alter vorsorgen tu ich auch. Als ganz normale Selbstständige, die in Deutschland gemeldet ist und Steuern zahlt. Als Angestellte habe ich mir mehr Sorgen gemacht um meine Rente.“

Die Dauerreisende und die Daheimbleibende - und doch lieben Beide die Freiheit...

Die Dauerreisende und die Daheimgebliebene – und doch lieben Beide die Freiheit…

Eva Ihnenfeldt sitzt noch immer in der Lesung und staunt. Besonders angetan hat ihr der Rucksack mit den 14 kg Gepäck. Ein bisschen Technik, ein bisschen Wäsche – und ansonsten völlig frei von Besitz! Statt tonnenschwerer Bücher den E-Book-Reader, statt tonnenschwerer Einrichtung zwei oder drei Paar Schuhe und ein Regenmantel. Zum Rucksack kommt dann noch die Tasche für den Alltag – groß genug fürs Macbook natürlich. Und fertig! DAS nenne ich wahren Reichtum.

OK, sagt sich Eva Ihnenfeldt, Reisen ist nichts für mich. Ich möchte jeden Tag die selben Bäume begrüßen, über das selbe Pflaster laufen und in dem selben Bett schlafen. Ich möchte mich nicht benehmen müssen im Supermarkt, weil ich die Kultur nicht einschätzen kann. Ich möchte nicht fremde Sprachen um mich herum haben, in denen ich nicht zu Hause bin. Ich möchte die Menschen um ich herum fühlen können, weil sie mir vertraut sind in ihrer Mimik, Gestik – und in ihrer Art zu sprechen.

Aber ich glaube, ich kann auch frei sein, wenn ich mich nicht vom Fleck wegbewege. Ich habe mich heute abend in der Stadtbibliothek dieser kleinen taffen Dauerreisenden Carina Herrmann erstaunlich verbunden gefühlt. Ach wie gut ich sie verstehen kann. Nach der Lesung sagte ich zu ihr: „Ich verreise ja nie. Ich glaube, ich halte es nicht aus, Nebendarsteller in der Geschichte zu sein.“ „Das kann ich gut verstehen“, antwortete sie. „Das ging mir am Anfang auch so. Wer weiß, vielleicht tauschen wir ja noch mal die Rollen“. Ja, wer weiß. Ich bin zwar hundert Jahre älter als dieses junge freie Geschöpf – aber noch nicht zu alt, um auf 14 kg Gepäck umzusteigen. Aber egal – stornieren kann man immer – Hauptsache frei, das ist doch das Schönste auf der Welt.

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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5 thoughts on “Was braucht der Mensch zum Leben? Einen Rucksack – mit 14 kg Gepäck

  • Reply Sascha Blank 11. Mai 2016 at 10:14

    Schöner Artikel Eva und ich beneide solche Menschen ein wenig. Sehr tough und sehr toll das so durch zu ziehen. Sie sieht auf dem Bild auch wie ein sehr glücklicher Mensch aus.

    Ach und Deine Sketchnote ist ja schon gar nicht so schlecht 🙂 Man versteht schon ungefähr was das bedeuten soll alles. Echt gut 🙂

    lg

    • Reply Eva Ihnenfeldt 13. Mai 2016 at 11:38

      Ja meinst Du? Aber ich muss noch das Buch studieren. Möchte schon richtig gut werden irgendwann. Zeichnen ist schon ein Stück meine Passion

  • Reply Carina 11. Mai 2016 at 11:36

    Liebe Eva,
    vielen lieben Dank für diesen schönen Artikel und die tolle Zeichnung!
    Ich habe ein kräftiges Grinsen auf dem Gesicht – danke dafür!
    Viele liebe Grüße,
    gerade vom Flughafen, auf dem Weg nach New York!
    Carina

    • Reply Eva Ihnenfeldt 13. Mai 2016 at 11:36

      Hi liebe Carina, ach Du hast das gefunden und gelesen? Da freue ich mich sehr – hätte ich gar nicht gedacht 🙂 Ja, nun gibt es eine Eva vor Deinem Abend und eine Eva nach Deinem Vortrag. Eine, die ein neues Ziel hat: 14 kg Besitz – und gut ist. Danke Dir sehr dafür, das war total befreiend.

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