Caritas in Zeiten des Internets: #hollerkaputt

Wie kann man eigentlich in Deutschland aus dem System der Krankenversicherung fallen? Diese Frage ist eine, die sich mir nach dem Ansehen des Videos von Claudius Holler stellt.

Die andere Frage ist: Was haben wir eigentlich für ein System, in dem jemand tatsächlich keine Krankenversicherung haben kann? Rasch keimt da die typisch deutsche Verhaltensweise der Schuldzuweisung auf, wenn man die beiden Fragen zusammen nimmt. Es geht aber nicht darum ob Claudius nun besonders klug oder besonders ahnungslos oder besonders hoffnungsfroh war – wenn ich das richtig sehe hat er sich selbst aus seinem Startup entlassen um genau dieses zu retten. (Vertrauen wir mal der MoPo. Ja, ich weiß.)

Versicherungen und Selbstständige

Auf der Webseite des Bundesgesundheitsministerium steht, dass Selbstständige sich freiwillig gesetzlich versichern können und dabei dann einen Beitrag von an die 300 Euro – mehr oder weniger – zu zahlen haben. Im Monat. Und sucht man im Internet nach dem Thema Selbstständigkeit und Versicherungen werden einem Haufen von Treffern zu dem Thema angeboten. Meistens dann von wohlwollenden Krankenkassen, die gerne erklären, was man denn mit wieviel Geld im Monat bei ihnen bekommt. Nicht zu finden ist die Antwort auf die Frage, warum wir in Deutschland überhaupt Freiwillige Versicherte haben. Merkwürdige Konstellation eigentlich. Klar, ja, wir haben alle schon mal von jemanden gehört, der nicht krankenversichert gewesen ist. So am Rande. Aber das waren doch eher Obdachlose oder Flüchtlinge, die dann von freiwilligen Ambulanzen versorgt werden. Wobei: Warum eigentlich?

Seltsam ist doch: Wenn wir sagen, dass die Würde des Menschen nicht antastbar ist, dann scheint das nicht für den kranken Menschen an sich zu gelten. Oder nur solange wie dieser einen Beitrag in die Krankenkasse zahlen kann. Wenn nun ein Unternehmen scheitert, dann ist eigentlich der normalerweise übliche Weg sich beim Job-Center sich für HartzIV zu entscheiden.  Damit wäre man krankenversichert. Und auch mit all den Restriktionen behaftet, die ein Mensch in einem System erleben kann, dass bis heute nicht die Devise „Fördern“ sondern die des „Forderns“ in den Vordergrund stellt. Ein System, das gerade nicht so gebaut ist, dass der einem zugewiesene Betreuer Zeit und Muße hat in Gesprächen und Vereinbarungen Lösungen zu finden, ein System, welches eigentlich nicht so richtig funktioniert und ein System, das nicht den Menschen als Maßstab nimmt sondern die Quote. Hauptsache die stimmt. Für den persönlichen Umgang, die Fürsorge für die einzelne Persönlichkeit ist im System ARGE einfach kein Platzhalter gelassen worden. Durchaus Gründe, sich nicht freiwillig in dieses System zu begeben. Und das sind Gründe, die man akzeptieren sollte.

Die Würde des kranken Menschen ist unantastbar

Nun kämen natürlich all jene zu Wort, die sagen würden, das es in anderen Ländern noch viel, viel schlimmer sei und meistens schimmert das Klischeebild der USA durch. Was aber bei dem Nachdenken darüber, warum wir Menschen haben, die nicht krankenversichert sind nun wirklich nicht weiterhilft – und außerdem an welchem Land hat sich Obama nochmal offenbar orientiert als er sein Obama-Care ins Leben rief? Vielleicht an unserem. Vielleicht aber auch an anderen Ländern, in denen es eine Versicherung für den Krankheitsfall gibt. Vermutlich aber dann doch an unserem. Sicherlich.

Irgendwo ist da doch ein Fehler im System. Irgendwo muss bei der Konzeption unseres Versicherungs-Systems doch was schiefgegangen sein. Ein Mensch ist krank und traut sich nicht zum Arzt, weil er nicht krankenversichert ist? Das hat doch mit dem was wir Würde nennen wenig zu tun. Aber die Würde des kranken Menschen scheint unserer Gesellschaft dann doch egal zu sein. Egal auch wie in Gleichgültigkeit. Wir haben das Leid nicht so gern in unserer Nähe. Und übersehen es gerne, wenn es dann doch zu uns kommt. Wo beginnt dann eigentlich die Würde eines Menschen und wo endet sie? Selbst wenn dies eine Frage wahrhaft philosophischen Ausmaßes ist – und man jetzt mit Maslow und anderen Gelehrten irgendwas definieren kann, was Grundbedürfnisse sind und was nicht und wie man als Mensch immer von einem zum anderen strebt – kann und muss sie doch einmal gestellt werden. Leider fehlt momentan noch die Antwort auf die Frage.

Sharing ist Caring ist Caritas

Oder vielleicht deutet sich ja doch eine Art von Ahnung, eine Art von Antwort an: Wer authentisch im Internet ist und Gutes tut, wer offen mit seinen Fehlern und seinen Schwächen umgeht – und sich nicht von Menschen aus der Ruhe bringen lässt, die gerade – typisch deutsch mal wieder – genau diese Offenheit nicht aushalten können und als Angriffsfläche sehen; wer sich wahrhaftig kümmert und wer Fürsorge ernst nimmt in diesem Internet, der erhält auch etwas zurück. Seltsamerweise. Denn nirgends sonst ist die Würde des Menschen so angreifbar wie gerade im Netz und wie haben wir alle momentan mit Staunen, Verwundern und Gruseln die Reaktionen von Menschen erlebt, die gerade nicht solidarisch mit denen waren, die mit dem Wenigen was sie hatten über die Grenze kamen und hier gerade versuchen zurecht zu kommen. Andererseits aber zeigte schon #einbuchfürkai dass das Internet nicht nur ein Tummelplatz für Trolle, Hassprediger und Anarchisten sein kann. Im Gegenteil: Das Internet – um Herrn Korten zu zitieren, jedenfalls meine ich, der habe dies gesagt – kann ein guter Ort sein, wenn wir ihn dazu machen. (Merkwürdigerweise übrigens gehört die Caritas zu den vier Kardinaltugenden des Christentums. Nur am Rande angemerkt.)

Darin aber liegt genau die Krux: Denn die Frage, ob wir ein gutes Internet haben wollen – die haben wir uns noch gar nicht gestellt. Weder gesellschaftlich noch am Stammtisch noch an anderen Orten. An diesen Fragen aber müssen wir arbeiten. Müssen wir uns stellen lassen. Müssen wir uns aufreiben und diskutieren: Wie kann es sein, dass Menschen nicht versichert sind? Wie kann das Internet ein guter Ort werden? Wie ist das mit der Caritas im Digitalen Zeitalter bestellt? Und wie gehen wir mit all denen um, die gerade das nicht wollen? Wenn dies nicht die wichtigsten Fragen des Jahres 2016 sind – welche sind es dann?

 

10428652_909696752374293_5401521222185380255_nChristian Spließ, Social Media Manager, machte schon Social Media als es noch Web 2.0 hieß. Seit 2004 beobachtet er die aktuellen Entwicklungen und hilft mit Rat und Tat, wenn es darum geht Inhalte kompetentgenau an die Zielgruppe zu vermitteln.

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