Insolvenzanfechtung: Prof. Dr. Jens Schmittmann zum Gesetz-Entwurf 2016

Eva Ihnenfeldt: Wahrscheinlich wird im März 2016 eine Reform des Insolvenzrechts in Kraft treten, welche die so genannte „Insolvenzanfechtung“ betrifft. Dabei geht es um die gängige Praxis, dass Insolvenzverwalter bereits vollzogene Zahlungen zurückfordern können, wenn davon auszugehen ist, dass Derjenige, der von dem insolvenzbedrohten Unternehmen Zahlungen erhalten hat, von der Krise hätte wissen müssen. Es kann aber sein, dass die Gesetzesnovellierung vor Allem dem Finanzamt und den Sozialversicherungsträgern nützt – und weniger den kleinen und mittleren Unternehmen (häufig aus Bau- und Handwerk), die das erhaltene Geld für erbrachte Leistungen (und Materialien) wieder in die Konkursmasse zurück geben müssen – im Extremfall bis zu 10 Jahre nach Erhalt des Rechnungsbetrages!

Prof. Dr. Schmittmann im Gespräch mit Beratern und Unternehmern

Prof. Dr. Schmittmann im Gespräch mit Beratern und Unternehmern

Beim Unternehmerabend von Reginald Hohmeister (BVMW-Repräsentant) in Recklinghausen referierte Professor Dr. Jens M Schmittmann über das bestehende Gesetz und den Gesetzesentwurf, der seiner Einschätzung nach im März 2016 verabschiedet wird. Für mich war der Abend extrem spannend, obwohl ich wenig Ahnung von der Materie habe. Bisher kannte ich die Insolvenzanfechtung nur aus dem Blickwinkel von Handwerks- und Baubetrieben, die selbst in Insolvenzgefahr gerieten, weil sie auf das Geld aus erbrachter Leistung (wie gesagt: inklusive Materialkosten!) angewiesen waren und es ganz einfach nicht an die Konkursmasse zurückzahlen konnten, ohne ihre Liquidität zu gefährden.

Schon der Einstieg in den Vortrag (oder sollte ich sagen „Vorlesung“?) machte mich nachdenklich. Prof. Schmittmann betonte, dass es bereits im Römischen Reich Regelungen zur „Insolvenzanfechtung“ gab, da es immer wieder im menschlichen Wirtschaftsleben vorkommt, dass sich Marktteilnehmer zusammenschließen und heimlich Verabredungen treffen, die andere Marktteilnehmer benachteiligen und betrügen. Natürlich kann ein „starker Gläubiger“ gegenüber einem Schuldner seine Macht ausnutzen und sein Geld geschickt einfordern, obwohl er von der Insolvenzgefahr weiß. Oder Gläubiger und Schuldner stehen in einem persönlichen Verhältnis und vereinbaren einen Deal, der die Rechte der Gläubiger austrickst. Und natürlich kann es sein, dass in solchen Fällen alle anderen Gläubiger keinen Cent mehr erhalten, also im Endeffekt betrogen werden.

Man kann also nicht einfach die Insolvenzanfechtung abschaffen und sagen „Bezahlt ist bezahlt“. Das würde findigen Schuldnern und Gläubigern Tür und Tor öffnen, um andere Marktteilnehmer zu betrügen.

Doch ob das neue Gesetz zur Gläubigergleichbehandlung beiträgt und wirklich eine Verbesserung zur jetzigen Regelung darstellt, wusste Schmittmann, der selbst 15 Jahre als Insolvenzverwalter tätig war und heute an der privaten Hochschule FOM in Essen lehrt, zu bezweifeln.

Seiner Auffassung nach kann es sein, dass die neue Regelung weniger kleine und mittlere Unternehmen schützt, als das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger. Denn nun sind diese womöglich die „bevorzugten Gläubiger“, die sich eigentlich aus der Insolvenzmasse bedient haben – und für die unternehmerischen Gläubiger wenig bis nichts übrig lassen, weil ihre zu Unrecht erhaltenen Zahlungen nicht mehr eingefordert werden können.

Ich habe aus diesem Abend gelernt, dass es auch für das Insolvenzrecht und die Insolvenzanfechtung mehrere Blickwinkel gibt, die beachtet werden müssen – und aus jeder Perspektive sieht ein und derselbe Fall ganz anders aus:

  • Für den Leistungserbringer ist es bedrohlich, wenn er erhaltenes Geld zurückzahlen soll. Das kann immer dann passieren, wenn der Insolvenzverwalter glaubhaft machen kann, dass dieser zum Zeitpunkt der Zahlung bereits von der drohenden Insolvenz wusste – und als Gläubiger im Rahmen der Gläubigergleichbehandlung den Rechnungsbetrag nicht hätte annehmen dürfen.
  • Für die privaten Gläubiger ist es bedrohlich, wenn bestimmte Gläubiger kurz vor der Insolvenz noch rausholen können, was da ist – und alle anderen nichts mehr erhalten. Auch das kann wirtschaftliche Existenzen gefährden.
  • Für den Staat und seine Bürger ist es ein Schaden, wenn Finanzamt und/ oder Sozialversicherungsträger bereits erhaltene Steuern und Abgaben in die Insolvenzmasse zurückzahlen müssen, weil ihnen nachgewiesen werden kann, dass sie von der Insolvenzgefahr bei der Zahlung wussten.
  • Für die Arbeitnehmer ist es bei einer drohenden Insolvenz bedrohlich, wenn der Arbeitgeber keine Löhne und Sozialabgaben mehr zahlt. Allerdings springt hier bereits heute die Agentur für Arbeit ein, sobald die Insolvenz beantragt wird. Arbeitnehmer haben also Interesse daran, dass der Insolvenzantrag nicht hinausgezögert wird.
  • Für den Schuldner ist sowieso die ganze Situation bedrohlich, doch oft genug hat er Monate bis Jahre Zeit, die drohende Insolvenz vorzubereiten. Welche Gläubiger wie viel aus der Konkursmasse erhalten, interessiert ihn womöglich nur insoweit, wie es ihn zukünftig und persönlich betrifft. Denn oft genug stecken hinter den Gläubigern auch Familienangehörige und Freunde. Da versucht der in Not geratene Unternehmen natürlich, so gut wie möglich das eigene Vermögen und Vermögen seiner Bezugspersonen zu beschützen – bis hin zu klaren Gesetzesverstößen.
  • Der Insolvenzverwalter schließlich hat mehrere Interessen. Zwar erhält er bei kleinen Betrieben bis zu 40 Prozent an Honorar aus der Insolvenzmasse, doch das kann auch extrem wenig sein. Bei größeren Unternehmen senkt sich sein Anteil prozentual enorm bis zu 0,5 Prozent – kann aber trotzdem sehr lukrativ sein wie bei Konzernpleiten wie Schlecker und Quelle. Er hat also in jedem Fall das Interesse, die Konkursmasse möglichst groß zu halten (was ja auch sein gesetzlicher Auftrag ist), muss aber sehen, dass er nicht übertreibt und nicht selbst in die Schusslinie gerät – und durch langwierige juristische Auseinandersetzungen keinen Abschluss findet (und so lange womöglich auch kein Honorar erhält).
Reginald Hohmeister begrüßt die Gäste

Reginald Hohmeister begrüßt die Gäste

Prof. Dr. Schmittmann rät Unternehmen, schon im Vorfeld genaue Regelungen zu treffen, wenn man es mit krisengefährdeten Geschäftspartnern zu tun hat. So können Ratenzahlungen zwar im Vorfeld vereinbart werden – doch wenn sie nach Vertragsabschluss „nachgeschoben“ werden, ist das ein Hinweis auf Kenntnis von der Insolvenzgefahr.

Zum Zweiten rät er Unternehmen, so wenig wie möglich über die Krise des Geschäftspartners zu wissen. Vor Allem darf auf keinen Fall irgendwo nachweislich geäußert werden, dass man schon bei Auftragsbearbeitung und Rechnungsstellung von der Krise gewusst habe!

Und zum Letzten machte er den rund 30 Unternehmern und Beratern, die zu dem Vortrag gekommen waren, deutlich, dass es ein Fehler ist, direkt vor dem Insolvenzverwalter „zu kuschen“, wenn dieser eine Insolvenzanfechtung einleitet. Der Insolvenzverwalter muss sehr genau nachweisen, auf welche Indizien er seine Vermutung stützt. Und das ist nicht so einfach. Also sollten Handwerks- und Baubetriebe standhaft bleiben, wenn sie tatsächlich in Treu und Glauben ihren Rechnungsbetrag erhalten haben, und es keinen Grund gibt für eine Anfechtung. Auch wenn die Klärung dauern wird – zu früh einknicken ist in diesem Fall verkehrt.

Informationen zum Gesetzesentwurf hier im Handelsblatt

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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