Super Arte Starbucks Doku: Marken als „Kirchen“ in einer säkularisierten Welt

Starbucks, Nike, Red Bull, die NBA… Instagram bietet einen interessanten Spiegel um zu verstehen, welche Marken die Menschen besonders begeistern. Dabei geht es nicht um die Qualität der Produkte – es geht um die Werte, welche von der entsprechenden Marke vermittelt werden. In einer Zeit, in der Kirchen und Religionen an Einfluss verloren haben bzw. mit bedrohlichen Werten verbunden werden, sind Marken eine Art Religionsersatz für die Menschen geworden. Die auch künstlerisch wertvolle Arte-Dokumentation „Starbucks ungefiltert – die bittere Wahrheit hinter dem Erfolg“ (YouTube-Video hier eingebettet) zeigt am Beispiel der internationalen Café-Kette, wie wir Menschen uns gemäß unserer Glaubenssätze bestimmten Marken zuwenden – die Doku zeigt aber auch, wie Proteste und Kunden-Ansprüche Marken unter Druck setzen können. Vielleicht ist also der moderne Religions-Ersatz gar nicht so schlecht?

Die Stellung der Kirchen in der heutigen Welt

Die Macht der Kirchen beruhen auf der Sehnsucht der Menschen, sich geschützt, anerkannt und geliebt zu wissen. In einem einheitlichen Regelsystem, dessen Wahrhaftigkeit sich erst nach dem Tod entfalten wird, können Profiteure Kapital aus dieser Sehnsucht ziehen, solange die Menschen an das Belohnungs- und Bestrafungssystem nach dem Tod glauben. In dem Moment, in dem die karmische Höllen-Angst nicht mehr fruchtet, bleiben zwar wohltuende Gemeinschafts-Rituale, soziale Aufgaben und spirituelle Inspirationen, doch durch die gewonnene Freiheit des/r Angstfreien ist die Macht der Kirche erloschen. Sie wird zum Dienstleister wie andere „Seelen-Dienstleister“ auch.

Die Sehnsucht der Menschen nach „Kirche“

Die Sehnsucht nach einer Gemeinschaft, in der alle Mitglieder die gleichen Visionen und den gleichen Glauben teilen, ist weiterhin in uns Menschen lebendig. Häufig sind wir nun Konsumenten von erwerbbaren „Glaubensgemeinschaften“. Die Gefühle, die uns beim Kauf und bei der Nutzung von Marken vermittelt werden, sind tatsächlich vergleichbar mit religiösen Erlebnissen. Starbucks zum Beispiel vermittelt mit seinen als Luxus-Kaffee getarnten Süßigkeiten das Gefühl „Ich habe es geschafft – ich kann es mir leisten – ich bin Teil einer weltweit erfolgreichen Business-Community“.

Religiöse Botschaften der großen Premium-Marken

Gerade Apple und das iPhone stehen weiterhin für die Werte der Premium-Kunden – „Ich gehöre zu den Besseren – zur Elite“

Red Bull vertritt eine Variante der hochpreisigen Glaubens-Message von Starbucks: „Ich kann alles schaffen, was ich will – ich kann fliegen – ich bin stark und bezwinge mein Leben – dieser herrliche Planet ist mein – ich lebe in der Community der Eroberer“. Auch Nike vertritt ähnliche Werte: „Aus dem Ghetto in den Triumph – weil Leistung und der Wille zum Erfolg Jedem offen stehen – weil wir ein Team sind und zusammenstehen in guten wie harten Zeiten“.

Ob Sport, Freizeit oder Arbeitsleben, die Sehnsucht der Menschen nach Anerkennung und Gemeinschaft drückt sich aus in Marken-Symbolen und Konsumerlebnissen. Schnell kann eine Marke auch wieder verlassen werden, wenn sie den eigenen ethischen Sehnsüchten nicht mehr genügt. So muss Starbucks sich eine Menge einfallen lassen, um den Fans vorzutäuschen, sie würden faire Partnerschaften mit Kaffeebauern praktizieren. Gerade Studenten und Business-Tätige legen viel Wert auf Nachhaltigkeit und soziales Engagement.

Die Macht der neuen „Kirchen“- und ihre größte Bedrohung

Starbucks und die anderen „hippen“ Marken schaffen es immer wieder, aus riskanten Drucksituationen neues Kapital zu schlagen. Ob Steuervermeidung, Arbeitsbedingungen, Umweltverschmutzung, Marktverdrängung oder Produzenten-Ausbeutung – so lange die Konsumenten an die Marke glauben, kann dank geschickter Kommunikation und funktionierender Netzwerke die Angriffsfläche in ein neues Geschäftsmodell bzw. in die Gewinnung neuer Kunden und neuer Märkte umgewandelt werden. Erinnert uns das nicht wirklich an die Geschichte der katholischen Kirche? Investitionen in NGO’s (Gemeinwohl-Organisationen) und Politik waren schon immer das Schmiermittel, um Macht auszuweiten.

„Kirchen“ in der digitalen Welt

Was heute hinzukommt, ist die Globalisierung und die digitale Vernetzung. Das stärkt nicht nur die Macht der Marken bei der Expansion, das stärkt auch den Widerstand. Dadurch, dass die Loyalität der Konsumenten nur so lange funktioniert wie die Glaubwürdigkeit des Markenversprechens, stehen auch die größten Konzerne ständig unter Druck. Wie bei jeder profitorientierten Organisation stehen dabei drei Instrumente zur Wahl: Belohnung (Bestechung), Bestrafung (Erpressung) und Freundschaft (Abhängigkeit). Die Arte-Dokumentation zeit dieses Prinzip meisterlich am Beispiel Starbucks. So wird ein mutiger Mitarbeiter, der die unsäglichen Arbeitsbedingungen der „Barrista“ öffentlich macht, zunächst strahlend vom Chef persönlich gewürdigt – bevor er sieben Monate später wegen Mobbing einer Kollegin entlassen wird. Was für ein kommunikativ genialer Schachzug!

Wenn die Community erwacht…

Wenn Konsumenten, Bürger, Mitarbeiter und politische Aktivisten wach sind und sich medienwirksam gegen die skrupellose Politik der großen Marken zur Wehr setzen, stehen Nike, Starbucks, Red Bull und wie sie alle heißen viel stärker unter Druck als je zuvor. Dank des Internets lassen sich Realitäten hinter dem Markenversprechen viel leichter verbreiten als in analogen Zeiten. Auch diese Arte-Dokumentation, die von Arte selbst bei YouTube frei zur Verfügung gestellt wird, trägt dazu bei.

So wie die katholische Kirche durch die Aufdeckung sexueller Gewalt gegenüber Kindern an Glaubwürdigkeit extrem verloren hat, können auch Marken durch die Aufdeckung skrupelloser Geschäftstätigkeiten vom Star zum verachtenswerten Wichtigtuer werden – in rasender Geschwindigkeit.

Preisführer-Konzerne und werbefinanzierte Unternehmen wie Aldi, Google, Facebook und Amazon haben es da leichter, so lange der Preisvorteil für den Kunden stimmt (klar tun mir die Amazon-Arbeiter leid – aber da müssen die schon selbst was machen) – doch Glaubens-Marken mit dem Anspruch, Premiumführer zu sein, haben es schwer. Denn hier wird mit barer Münze gezahlt, wonach man sich als Kunde sehnt: „Ich bin großartig – ich bin wertvoll – ich gehöre zur Community der Besseren“. Könnte also sein, dass heute tatsächlich ausgerechnet von den Glaubens-Marken Weltverbesserung ausgeht – wenn ihre Community es von ihnen verlangt 😉

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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