Corona in Pflegeheimen: Wie lange sehen wir dem Leiden und Sterben noch zu?

Wenn ich morgens bei Google News „Seniorenheim Corona“ eingebe, wird mir regelrecht schlecht bei der Masse an Regionalzeitungen, die deutschlandweit über Infektions-Ausbrüche in Pflegeheimen berichten – im Normalfall hinter einer Paywall. Es lässt sich so langsam nicht mehr unter den Teppich kehren: Häufig muss sogar positiv getestetes Pflegepersonal in den Einrichtungen weiter arbeiten, um überhaupt noch den Betrieb aufrecht erhalten zu können. Geistig und körperlich schwerbehinderte alte Menschen sind in ihren Zimmern isoliert und leiden an Einsamkeit und Bedeutungslosigkeit. Angehörige können nicht viel mehr tun als beten, dass die Pandemie endlich ein Ende findet. Muss das sein?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay 

Ich selbst habe das Glück, dass meine beiden Eltern schon seit rund zehn Jahren tot sind und ich nicht gezwungen war, sie in eine Einrichtung zu geben. Doch ich gehe häufiger an einem Altenheim vorbei auf meinem Spaziergang – und dann überkommt mich ein Schauer bei der Vorstellung, was hinter diesen stillen Mauern gerade passiert. Pflegepersonal am Ende ihrer Kräfte; Bewohner, die womöglich mit Medikamenten ruhiggestellt werden; Resignation, Virusverbreitung, Erkrankung und die Akzeptanz des einsamen Sterbens…

Die Zahlen sprechen so langsam für sich, auch wenn man noch suchen muss, um zum Beispiel vom Statistischen Bundesamt Verlässliches zu erhalten. Corona wütet vor Allem in Pflegeheimen, da dort nicht nur Kasernierung das Problem ist – sondern der geschwächte Zustand der Hochbetagten die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs erhöht.

Könnte man wohl etwas gegen das Leid tun?

Was könnte man tun, um dem Unfassbaren mit politischen Entscheidungen zu begegnen? Ziel müsste sein, die Kasernierung der Gefährdeten auf das absolut Mindesterforderliche zu reduzieren. Ich habe es mir beim Frühstück auf meine laienhafte Art mal ausgemalt:

  1. Viele Coaches und Berater (wie mich) einsetzen, um Angehörige zu beraten: Gemeinsam ohne moralischen Druck Strategien entwerfen, die Rücksicht nehmen auf die Situation der Kinder, Partner und Schwiegerkinder.
  2. Großzügige Corona-Hilfen für Angehörige einrichten, die sich in der Lage sehen, ihre pflegebedürftigen Angehörigen zu Hause aufzunehmen, bis die Pandemie beherrscht wird. Abhängig Beschäftigte erhalten Kurzarbeitergeld; Selbstständige, staatliche Alimentierte und alle anderen beruflich Freien erhalten ein Monatsgehalt, das einen Anreiz schafft, die Pflege zu übernehmen (auch über die Corona-Pandemie hinaus)
  3. Hotels werden dabei unterstützt, zusätzliche Pflegezimmer einzurichten. Ausgebildetes Pflegepersonal, gastronomische Kräfte und bezahlte Alltagsbegleiter versorgen die alten Menschen. Dadurch, dass sich alles durch die Maßnahmen räumlich streckt und mehr Menschen für die Versorgung und seelische Begleitung finanziert werden, reduzieren sich die Risken der Kasernierung.
  4. Pflegeheime erhalten die gleiche finanzielle Unterstützung wie andere Unternehmen, wenn sie Umsatzeinbußen haben. Pflegepersonal kann bei positiver Testung vorschriftsmäßig in Quarantäne gehen – ein Teil geht vielleicht in Kurzarbeit. Ziel ist wie gesagt, die Bewohneranzahl auf das absolut Unvermeidliche zu reduzieren.

Warum passiert bisher nichts?

Selbstverständlich wäre das Ganze sehr teuer. Doch ob wir weiter abwarten sollen, bis wir über wirksame Impf- oder Behandlungsmethoden dem Grauen ein Ende bereiten, weiß ich nicht.
Die Wirtschaft mit finanziellen Maßnahmen zu schützen, hat andere Gründe als Menschen zu schützen, die am Ende ihres Lebens nur noch Geld und Pflege kosten. Wirtschaft ist wichtig, um den Wohlstand zu mehren, Pflege von Alten bedeutet eine Minderung des Wohlstands. Aus denen wird nichts mehr – und trotzdem kann es bei Achtzigjährigen noch 15 Jahre dauern, bis sie sterben. Es wird nicht besser – es wird nur schlimmer.

Aber in einer Welt leben, die durchzogen ist von lauter Euthanasie-Einrichtungen, die „unwertes“ Leben ohne Gegenmaßnahmen sterben lassen? Den Angehörigen Schuldgefühle und Verzweiflung auflasten, weil sie ohnmächtig zusehen müssen, wie ihre Eltern, Partner und Schwiegereltern leiden? Sorry, das wird sich rächen, wenn wir das so stehen lassen. Das ist nicht tragbar.

Es hat gedauert, bis sich herausgestellt hat, dass Seniorenheime die Brutstätte des Leidens sind. Aber nun wissen wir es. Es geht hier nicht um Einzelne, es geht um das System. Es geht darum, dass Fünfzigjährige ihre Eltern ins Heim geben müssen, weil sie ansonsten ihre Existenzgrundlage verlieren würden, ihr persönliches Glück und ihren gesellschaftlichen Status.

Wer mit 50 anfängt zu pflegen und aus dem Arbeitsleben austritt, wird auch im Rentenalter arm sein. Und Haufrauen, die Eltern und Schwiegereltern für ein paar hundert Euro im Monat pflegen, gibt es auch immer weniger. Abgesehen davon, dass nicht alle Paarbeziehungen solch eine Pflege überstehen würden. Nicht umsonst gibt es so viele Witze über Schwiegermütter…

Wir brauchen dringend eine Debatte über das deutsche Verhältnis zu Leistung, Arbeit, Lebensentwürfen. In benachbarten Ländern gibt es für Jede/n ab einem bestimmten Alter eine ausreichende Mindestrente – auch für Hausfrauen, Arbeitsunfähige, Mindestlohn-Beschäftigte und Langzeitarbeitslose. Das wäre doch schon mal was.

Dieses deutsche „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ Prinzip, das dank der Schröder/ Fischer-Regierung in der Hartz-IV-Losung „Fördern und Fordern“ gipfelte, damit Deutschland zum Billiglohnland umgewandelt werden konnte, zeigt nun sein hässlichstes Gesicht. Die Alten werden im Stich gelassen, weil sie nutzlos sind. Angehörige wehren sich nicht, weil sie bei sich selbst die Schuld suchen. Das lähmt Willen, Mut und Kraft.

Das Corona-Drama liegt nicht an den „egoistischen“ Kindern – es liegt am System! Es ist ok, sein Leben nicht den Eltern/ Schwiegereltern opfern zu wollen! Genauso wie es ok ist, wenn Mütter berufstätig sein wollen! Aber alte Menschen und Mitarbeiter in Pflegeeinrichtungen im Stich zu lassen, das ist nicht ok. Wir brauchen Corona-Maßnahmen, die wirken – so wie es beim Schlachtbetrieb Tönnies auch passierte. Alles Andere ist ethisch nicht vertretbar, und es wird sich irgendwie rächen….

Quellen; Unzählige Artikel aus Regionalzeitungen, wenn man „Corona Senioreneinrichtung“ Oder „Corona Pflegeheim“ bei Google News eingibt. Die allermeisten Beiträge sind hinter eine Paywall. Hier ein Beispiel, das ohne Paywall berichtet – Fuldaer Zeitung vom 9.1.21: Corona im Landkreis Fulda

Hier eine einstündige arte-Dokumentation vom 7. Januar 2021, der die Situation in Frankreich zeigt. Aus Deutschland habe ich nichts Adäquates gefunden. Aber es ist wahrscheinlich, dass sich die Zustände ähneln. Achtung: Diese Doku kann verstören. Es ist wirklich schlimm.

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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