Regieren biopolitische Unternehmen wie Facebook und Google die Menschen?

Heute früh habe ich bei Wired (unten im Beitrag als Quelle verlinkt) einen extrem lesenswerten Artikel von Janosik Herder gefunden. Janosik Herder forscht an der Universität Osnabrück (25 Seiten pdf Aufsatz: Regieren Algorithmen? Über den sanften Einfluss algorithmischer Modelle“). Da ich schon lange darüber nachdenke, inwieweit Facebook, Google und Co uns in unserer Persönlichkeit und unseren Entscheidungen manipulieren, hat mich das emotional sehr aufgewühlt. Könnte es ein, dass biopolitische Unternehmen die demokratische Grundordnung aushöhlen, indem sie mit ihren Algorithmen unsere Entscheidungs-Handlungen extrem wirkungsvoll manipulieren? Und überhaupt: Wie manipulierbar ist der Bürger?

Wie und was manipuliert uns Menschen?

Emotionen sind der Grundpfeiler all unserer Entscheidungen – auch der Entscheidung, was in unser Langzeitgedächtnis übertragen wird. Belohnung und Strafe, Lust und Schmerz lassen uns hin- und herfliegen und zwischen „ja“ und „nein“ entscheiden. Je nach Veranlagung, Erfahrungen und frühkindlichen Prägungen sind dabei unsere Interessen und Befürchtungen unterschiedlich. Wer das akzeptiert weiß schon einmal, dass wir aus der Beeinflussung durch Reize nicht herauskommen. Wir können eventuell unsere Konditionierungen ändern – doch solange wir mit der Umwelt kommunizieren, sind wir auf subjektiv getroffene Entscheidungen angewiesen.

Politik: Herrschaft der Algorithmen?

Waren wir Menschen in unserer politischen Entscheidungskompetenz bisher auf die direkte Umgebung plus der uns zur Verfügung stehenden Medien angewiesen, kommen nun die Digital-Unternehmen hinzu, mit deren Unterstützung wir uns orientieren, Entscheidungen treffen und kommunizieren. Je intelligenter und größer die Datenmengen dieser Unternehmen verarbeitet werden, desto zufriedener sind wir als politische Bürger mit den Ergebnissen unserer Bedürfnisse. Schließlich bestimmen Algorithmen darüber, was Google uns bei der Suche zeigt – und wie wir über Facebook, Instagram und Co mit der Welt in Kontakt treten und Beziehungen gestalten.

Die sanfte Manipulation: Was eigentlich ist Nudging?

Nudging ist vereinfacht gesagt eine Manipulationsmethode, bei der Menschen in ihrer Freiwilligkeit geformt werden – also nicht über Bedrohung, Einschüchterung und andere Gewaltmaßnahmen. (Wikipedia – Nudge) Jeder Mensch hat den Wunsch nach Gesundheit, Geborgenheit, Autonomie, Anerkennung, Sicherheit, Selbsterfüllung und nach einem langen Leben. Nudging bedient sich dieses Wissens, um Gruppen zu erziehen.

Einfaches Beispiel: In der Kantine liegt das Obst vorn im Licht und die Süßspeisen am Ende der Theke im Dunkeln. So sollen die Ernährungsvorlieben der Mitarbeiter pädagogisch beeinflusst werden.

Seit rund zehn Jahren beschäftigen sich weltweit Regierungen damit, wie sie die wahlberichtigten Bürger dahingehend „erziehen“ können, dass diese gesellschaftlich erwünscht agieren. Spektakuläres Beispiel ist China, wo gerade ein dichtes Scoring-System eingeführt wird, welches die gesamte Bevölkerung „sanft“ zu konstruktiven politischen Bürgern erzieht.

Welche Macht haben Regierungen – welche Macht haben Algorithmen?

Abgesehen von China, wo politische Institutionen und Digitalunternehmen eng zusammenarbeiten, verschiebt sich nach Ansicht von Janosik Herder die Macht zunehmend von den politisch legitimierten Regierungen hin zu den Digitalgiganten Google und Facebook. Diese arbeiten beständig und im Geheimen daran, ihre Algorithmen immer weiter zu verfeinern, um den Menschen genau das zu bieten, was diese mit den oben genannten Wohlfühl-und Vermeidungs-Grundwerten verbinden.

Zusätzlich arbeitet gerade Facebook daran, die bekannten Grundausrichtungen der einzelnen Nutzer sanft zu manipulieren, indem bestimmte Kommunikationskanäle erleichtert und gefördert werden – andere werden erschwert oder sogar auf unsichtbar geschaltet. Seit dem Cambridge Analytica Skandal scheint sich die früher so beschworene Meinungsfreiheit bei Facebook zunehmend Richtung Kontrolle und Zensur zu verschieben. Gerade bei politischen Diskursen greift Facebook immer selbstverständlicher ein, als wäre sie Gesetzgeber, Justiz und Exekutive in Einem.

Können Regierungen diese „sanfte“ Regierungsform biopolitischer Unternehmen kontrollieren? Da die Algorithmen unter dem Schutz des geistigen Eigentums stehen, ist ein transparenter Einblick und somit die Aufdeckung der unzähligen Manipulationen nicht möglich. Abgesehen davon sind Regierungen abhängig von Google, Facebook und Co.

Wie soll die Politik ihre Botschaften an „ihr“ Volk bringen, wenn sie auf die algorithmengesteuerten Plattformen verzichtet? Da der Zeitungsabonnement-Markt und auch der TV-Konsum immer mehr an Bedeutung verlieren, sind Regierungen ohne Google, YouTube, Facebook, Instagram und Twitter verloren. Aus dieser Abhängigkeit ergeben sich natürlich Bündnisse, Verführungen und Bedrohungen.

Was können wir als politische Bürger tun?

Auf Facebook und Google zu verzichten würde bedeuten uns aus der Welt ein Stück weit herauszuziehen. Manipuliert würden wir dann „nur noch“ durch unsere analoge Umwelt. Das Maß an Beeinflussung bleibt womöglich sogar gleich – doch die traditionelle Art der Beeinflussung ist vertraut und fühlt sich weniger komplex und verwirrend an. Der Preis hierfür ist der digitale Einflussverlust. Wir werden sozusagen zum digitalen Aussteiger.

Facebook untersuchen

Wir sollten uns zunächst bewusst machen, in welchen Bereichen wir Ängste haben und besonders leicht emotional berührt werden können

  • Angst vor dem Neuen, Fremden
  • Angst vor Krieg und Zerstörung
  • Angst um unsere Gesundheit
  • Angst vor Einsamkeit und Trennung
  • Angst vor Armut und Verlust von Status
  • Angst vor Verachtung und gesellschaftlicher Ächtung

Im nächsten Schritt können wir bei Facebook im Newsstream einfach mal aus Spaß beobachten, wie welche Posts auf uns wirken. Je mehr Freunde, Marken und Medien wir dort abonniert haben, desto mehr erleben wir eine von den Algorithmen vorgefilterte Auswahl – natürlich auch bei den Werbeanzeigen!

Nun gehen wir mal in das Experiment zu überprüfen, was die Algorithmen uns zeigen, wenn wir im Newssteam links oben anwählen, dass wir nicht die „Top-Meldungen“ sondern die „Neuesten Meldungen“ angezeigt bekommen. Auch mit dem „Einstellungen bearbeiten“ können wir ein bisschen herumspielen und ausprobieren, was wir gern sehen wollen – und was nicht.

Natürlich dient auch dieser Service von Facebook dem Unternehmen dazu, uns noch besser kennen zu lernen – keine Frage. Doch auf der anderen Seite erwerben wir IMMER, wenn wir etwas mit Bewusstheit durchdringen, eine Distanz zu Manipulationen und gewinnen an Autonomie, auch wenn die Versuch ein wenig hilflos sein sollte.. So als würden wir in einer Schule, in der eine autokratische Regierung Stoff, Didaktik und Lehrpersonal vorgibt, permanent den Unterricht aufschlüsseln und notieren, was uns auffällt und was dies und das mit uns emotional macht.

Ängste? Wir Bürger wollen Belohnungen!

Nicht nur unsere Ängste, auch unsere Belohnungssysteme sind ein wunderbares politisches Manipulations-Eingangstor. Wir wählen schließlich vor Allem die Partei, die uns den meisten Wohlstand, soziale Behaglichkeit, Freiheit und Geborgenheit verspricht! Tod dem Finanzamt! Runter mit den Steuern! Mehr Geld! Weg mit Allem, was unseren Luxus stört! Freie Fahrt für freie Bürger! Gesunde, schöne Umgebung für uns und unsere Kinder!

Also was sind unsere Verführungseingangstore? Womit sind wir zu locken? Was gefällt uns gerade bei Instagram – aber auch bei Facebook, um uns so richtig gute Gefühle einzupfeifen?

  • Ferne Länder
  • Glückliche Paare
  • Glückliche Familien
  • Köstliches Essen
  • Alles was gesund ist
  • Heile Natur
  • Erotik und Sex
  • Ästhetik und Design
  • Kinder und Tiere
  • Luxus und Genuss
  • Werte und Glaubenssätze
  • Einblicke in das Leben Anderer

Nun wieder die Selbstreflektion von vorn im Newsstream – am Besten bei Instagram… Einfach mal als Gesellschaftsspiel ausprobieren – gern in der Familie. Was gefällt uns bei Instagram – was bringt uns „gut drauf“?

Der lange Weg zur Selbstbestimmung

Es ist für jeden Menschen ein langer Weg heraus aus der Fremdbestimmung. Menschen mit einer schlechten Kindheit haben es da manchmal leichter, weil sie früh gelernt haben, Beeinflussungen zu misstrauen. Bildung ist wohl das Einzige, was uns in unserer Autonomie und politischen Willensentscheidung stärkt.

Auf jeden Fall ist es riskant, wenn nicht mehr gewählte Regierungen das Volk regieren, sondern Algorithmen, die Nudging so perfekt beherrschen, dass man sich an Sekten erinnert fühlt. Sozusagen eine Perversion der Volksherrschaft findet da gerade statt. Und die Mahner in der Wüste können wunderbar in einem Zug mit Trollen, Verrückten und Radikalen gelöscht und gesperrt werden. Oder sie werden ganz einfach unsichtbar, sanft und unbemerkt von der Masse.

Bildet Euch! Lernt Euch selbst immer besser kennen in unseren Konditionierungen und Glaubenssätzen! Nutzt Transparenz und schonungslose Aufdeckung von Verführbarkeiten und Erpressbarkeiten, um an Eurer politischen Intelligenz zu arbeiten!

Oder gebt Euch zufrieden damit, zum konsumorientierten Mob zu gehören, der Allem hinterherläuft, was Profit verspricht. Auch ok, dann ist das eben so…

Wired vom 6. August 2018: Wir werden von Facebook regiert und sollten etwas dagegen unternehmen

 

 

 

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert