Smartphones als Überwachungsfalle: Einreisende, Flüchtlinge, Bürger, Kinder… wo steuern wir hin?

Bei der Einreise in die USA ist die Frage nach den Social-Media-Konten Teil des elektronischen Reisegenehmigungssystems ESTA – noch sind die Angaben freiwillig. In der Türkei werden Facebook Kommunikationen von Bürgern dazu benutzt, um Kritiker zu identifizieren – meist mit Hilfe von Denunzianten. Flüchtlinge sollen an der Grenze von Behörden ihr Handy komplett auslesen lassen. In China gibt es für erwünschtes Verhalten – auch in der digitalen Kommunikation – schon Belohnungssysteme. Eltern überprüfen die Chats ihrer Kinder auf dem Smartphone, um sie vor Unheil zu bewahren. Überwachung wird so selbstverständlich und alltäglich, dass wir uns langsam fragen müssen, welche Auswirkungen der „gläserne Mensch“ auf unsere weltweite Spezi Mensch haben wird. 

Als Kind habe ich Tagebuch geschrieben und sehr gut versteckt. Zwar waren meine Eltern selten Thema – doch um nichts in der Welt hätte ich gewollt, dass sie meine intimsten Gedanken kennen. Auch die Gespräche mit meinen Freundinnen waren extrem vertraulich und nicht für die Ohren von Erziehungsberechtigten bestimmt. Was wäre aus mir geworden, wenn ich permanent bei meinen digitalen Gesprächen und Notizen überlegt habe, ob meine Eltern das irgendwann lesen, weil sie aus erzieherischen Gründen ab und zu kontrollieren müssen, was so auf meinem Smartphone passiert?

Wäre ich Bürgerin der Türkei, und wäre ich so mutig, mich bei Facebook gegen das Referendum im April auszusprechen, müsste ich mit den extremsten Konsequenzen rechnen. Türkische Freunde von mir haben mir davon berichtet, wie etwa ein Arzt zwei Tage verhaftet und verhört wurde, einfach nur, weil er genau das getan hatte. Irgendjemand hatte seine privaten Äußerungen bei Facebook weitergegeben. Nach den zwei Tagen Haft war der Mann gebrochen. Verständlich.

Wäre ich gezwungen, aus lebensbedrohenden Gründen aus einem fernen Land zu fliehen – zum Beispiel weil ich schwul bin, religiös verfolgt, oder einer Oppositionsgruppe gegen die Regierung angehöre, müsste ich bei der Einreise nach Deutschland (so der Gesetzentwurf durchkommt) mein Handy auslesen lassen. Meine Kontakte, die dort gespeichert sind, könnten schlimmstenfalls in die falschen Hände geraten und in meiner Heimat gefährdet werden. Ist mein Vertrauen in deutsche Behörden so groß, dass ich das gern als Begrüßungsritual zulasse? Oder muss ich all diese Telefonnummern auswendig lernen und sie löschen, um die Menschen vor Verfolgung zu schützen?

Wenn ich bei Facebook Schmähvideos von Donald Trump poste, like, abfällig kommentiere – ist dann meine Einreise in die USA gefährdet? Kann ich mich überhaupt noch trauen, dort Urlaub zu machen, wenn die freiwillige Angabe meiner Nutzerprofile bei Facebook, Twitter und Co sich in eine verpflichtende Angabe ändert? Oder wenn (wie schon geschehen), Stichproben gemacht werden von Einreisenden? Schon jetzt gibt es Handbücher, wie man sich bei der Einreise durch komplizierte Passwörter, Verschlüsselungen und Gerätetausch schützen kann.
USA-Einreise: Handbuch mit Tipps zum Schutz von Laptop und Smartphone

Da es keinen Widerstand gibt, also der Realität ins Auge blicken

Da es keinen Widerstand gegen die Ausweitung der Überwachung aller Bürger gibt, sollten wir also der Zukunft realistisch ins Auge blicken. Wir werden gläserne Menschen. Alles, was wir sagen, tun, kaufen, mit wem wir verbunden sind und wo wir uns aufhalten, kann uns sowohl positiv als auch negativ beeinflussen. Was hat das für Konsequenzen auf die Spezi „Mensch“? Was für ein interessantes Experiment!

Hier Eva Ihnenfeldts persönliche Prognose

90 Prozent der Menschen werden versuchen, sich anzupassen und sich so zu verhalten, wie es von den Autoritäten, in deren Abhängigkeit sie stehen, erwünscht ist. Regierung, Arbeitgeber, Nachbarschaft, Familie, Freundeskreis… Man wird sehr bemüht sein zu lernen, das perfekte Verhalten zu zeigen und sich auch innerlich frei zu machen von „destruktiven“ Gedanken. Brav sein wird zur gesellschaftlichen Norm, die viele Vorteile hat: Die Angepassten werden durch Konsum und Einbindung in Systeme ein sicheres Leben führen können, in einer heilen, von Autoritäten beschützten Welt.

10 Prozent der Menschen werden in sich spüren, dass sie lieber unter einer Brücke schlafen oder ins Gefängnis geworfen werden, als dass sie ihre Eigenständigkeit aufgeben. Kreative, Visionäre, Outlaws und Intellektuelle werden sich nur dann einschüchtern und kontrollieren lassen, wenn man sie interniert und mundtot macht. Sie sind bereit, den Preis der Freiheit zu zahlen.

Diese 10 Prozent werden das Zünglein an der Waage sein, das darüber bestimmt, ob eine Nation, eine Gesellschaft, eine Wirtschaftsgemeinschaft erfolgreich ist. Sollte sich eine Regierung dafür entscheiden, diese eigenständig Denkenden auszurotten und unschädlich zu machen, wird die Innovationskraft zugrunde gehen – und das jeweilige System wird verarmen und verelenden.

Spätestens, wenn die ersten Länder (wie man es ja jetzt schon ein bisschen an der von Trump eingeschüchterteten Presse in den USA sieht) ihren kreativen, wirtschaftlichen und kulturellen Verfall erleben, werden andere Gesellschaften verstehen, dass sie diese zehn Prozent brauchen wie die Luft zum Atmen. Es wird eine Renaissance der Kunst, der Philosophie, der Soziologie und der freien Rede geben – die Gläsernheit der Menschen wird sich zum Guten wenden, weil das „Im Dunkeln ist gut munkeln“ aufhört und wir lernen, uns zu achten und konstruktiv an Lösungen zu arbeiten.

Selbstverständlich werden auch wieder Wege gefunden, wie Menschen sich in einem geschützten Raum bewegen können, ohne Hacker-Qualitäten haben zu müssen. Privatsphäre wird wieder entstehen – aber auf einer höheren, intelligenteren Ebene. Vom Kleinkind bis zum dementen Alten wird jeder seine geschützten Raum haben als Menschenrecht. Keine Ahnung, ob ich das noch erleben werde. Kann sein, dass es zwischenzeitlich erst mal Bürgerkriege und  Diktaturen geben muss, bis die Menschen das Unausweichliche akzeptieren. Aber dann ist das eben so, dann muss ich Menschlein da eben durch…

 

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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