8. November: Nicht mehr dem Geld hinterherjagen

Seit August 2004 bin ich selbstständig, und seit August 2004 jage ich Geld. Zunächst habe ich damals eine eingetragene Genossenschaft gegründet für „Existenzgründer“ (ja, so bezeichnete man sie damals – verrückt oder?) und über 500 Gründungen aus der Arbeitslosigkeit begleiten dürfen. Später gründete ich dann eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Managern. In beiden Fällen hatte ich die Vision, dass Selbstständige dank des digitalen Sender-Empfänger-Gleichgewichts endlich gegen die „Großen“ bestehen könnten mit ihrer Schaffenskraft, ihrer Flexibilität und ihrer Glaubwürdigkeit. Und beide Male hatte ich das Ziel, durch Unternehmergeist eine eigene finanzielle Unabhängigkeit zu erwirtschaften. Achtzehn Jahre sind seitdem vergangen, was ist geblieben?

Die, die dem Geld hinterherjagt

Als junges Mädchen sah ich im Fernsehen einen voll kitschigen deutschen Schlager, dessen Text und Melodie mich bis heute fasziniert:

„Mañana, Mañana, Señor,
schon morgen, schon morgen, Señor
sind wir reich, und ich hab‘ wieder Geld
Mañana, dann gehört uns die Welt“

Bild von Tumisu auf Pixabay 

Der Traum davon, irgendwann frei von Sorgen zu leben und die Welt vom Kopf auf die Füße zu stellen. Der Traum von Jack London im „Ruf der Wildnis“, der Traum der vertriebenen Farmer aus „Früchte des Zorns“, der Traum all derer, die nicht in Bullerbü leben.

Eigentlich wollte ich gar nicht zu den erfolgreichen Goldgräbern gehören und reich werden – ich wollte lieber für die Menschen arbeiten, die als Käfighuhn ausbrechen. Und vor allem wollte ich selbst nie wieder Käfighuhn sein. Und zu diesem Traum gehörte, nicht nur im Moment genügend Körner zu picken, sondern auch fürs Alter genügend Vorräte anzusammeln. „Schon morgen, schon morgen, Señor,
sind wir reich, und ich hab‘ wieder Geld.
Mañana, dann gehört uns die Welt“

Ich habe den Preis bezahlt

Achtzehn Jahre lebe ich nun diesen wunderbaren Traum der Selbstbestimmung. Unzählige Male habe ich mich neu erfunden. Aus der Geschäftsführerin einer eingetragenen Genossenschaft wurde eine freiberufliche Dozentin für Social-Media-Marketing, aus dieser wurde die Gesellschafterin und Geschäftsführerin einer Akademie-GmbH, und aus dieser wieder eine Freelancerin. Rauf und runter ging es – doch ich hatte immer genug Geld, um mich zu finanzieren. Und die Aufgaben, die ich übernehmen durfte, waren immer erfüllend, sinnstiftend, herausfordernd – und immer wieder neu und aufregend.

Der Preis, den ich für diese Gnade zahlte, war hoch. Vor meinem Entschluss, selbstständig dem Geld hinterherzujagen, war ich der Mittelpunkt für viele junge Menschen, die bei mir in der Küche saßen und die meine Freunde waren. Ich hatte so etwas wie eine offene Tür – für meine Kinder und für die Freunde meiner Kinder.

Aus dem Hippie wurde ein Geizhals

Als ich dann anfing, Unternehmerin zu werden, war diese Zeit von einem Tag auf den anderen vorbei. Ich dachte plötzlich strategisch, war innerlich zu einem Händler geworden, der alles mit einem Preisetikett versah. Junge Leute nervte ich mit Fragen nach ihren Zukunftsplänen, viele Erwachsene langweilten mich mit ihren Käfighuhnproblemen. „Du bist unglücklich? Komm, nimm die Spitzhacke und spreng das Schloss am Käfig! Mach Dich frei!“

Und so veränderte sich mein Umfeld. Aus Freunden wurden Netzwerke, aus vergnüglichen, unsinnigen Abenden und Nächten wurden Business-Veranstaltungen. Ja, es war eine herrliche Zeit, und das „Schon morgen, schon morgen, Señor, sind wir reich, und ich hab‘ wieder Geld. Mañana, dann gehört uns die Welt“ möchte ich nicht missen, auch wenn ich persönlich einen wahrlich hohen Preis dafür zahlte – meine Familie und meine Freunde…

Ich will nicht mehr dem Geld hinterherjagen

Auch Glücksritter werden älter und klüger. Vor wenigen Tagen hörte ich mich bei einem schönen Abendessen mit einem alten Freund sagen: „Ich will nicht mehr dem Geld hinterherjagen. Ich will nicht mehr von meinem Händler im Kopf gesteuert werden. Ist gut jetzt“.

Natürlich will ich weiter arbeiten – einfach, weil es mir so viel Spaß macht, was ich tue! Ich liebe es, mit Menschen nach Auswegen aus Sackgassen zu fahnden. Ich liebe es, Traurige zum Lachen zu bringen und Depressive dazu, wieder an sich zu glauben. Ich liebe meine Visionen und meinen festen Glauben, dass diese Welt es wert ist.

Ich liebe Menschen so sehr!

Ich liebe Menschen heute noch mehr als je zuvor, weil ich regelrecht die Seelen schillern sehe in ihrer süßen, bezaubernden Naivität – in ihrem Spannungsfeld von Gut und Böse, Dr. Jekill und Mr. Hyde. Ich liebe den Heiligen und den Verbrecher in mir, diesen gläubigen Jesusjünger und diesen unverschämt selbstverliebten „Wer ist wie Gott?“. Ich liebe die „Eva“ und ich liebe die „Maria“.

Ich will also weitermachen wie bisher, will weiter neue Herausforderungen annehmen in meinem Streben danach, die Armen und die Reichen vom Kopf auf die Füße zu stellen. Käfige zu öffnen und Trainerin zu sein im Fitnessstudio des dualen Planeten.

Ich habe auch kein Problem damit, für meine Arbeit bezahlt zu werden – alles gut! Doch ich will das Ganze nicht mehr so ernst nehmen. Ich will nicht mehr bereit sein, Entscheidungen danach zu treffen, ob die Münze im Geldbeutel klingelt. Ich will „nein“ sagen können, wenn mich eine Aufgabe nicht mehr reizt. Das bin ich auch meinen Leuten schuldig. Ich will, dass sie wissen, dass ich tatsächlich deshalb mit ihnen arbeite, weil sie wertvoll sind für mich! Weil sie mich glücklich machen, mich bereichern mit ihren Schicksalen, ihren schmerzlichen Biografien, ihrem Mut, ihrer Liebesfähigkeit, ihrer Bescheidenheit und ihrer Lebensweisheit.

Mal sehen, wie es weitergeht. Und so wandere ich wie eh und je durch die große, weite Welt, bin offen für Neues wie ein Wandergeselle, biete meine Leistungen an wie Hans im Glück – und bin bereit, einen Goldklumpen für einen Stein einzutauschen, den ich in einen Brunnen plumpsen lasse irgendwann.

Lieber Gott, ich danke Dir so sehr für alles, was ich bisher erleben durfte. Ich danke meinen Ahnen dafür, dass sie soviel Geduld haben mit der verwöhnten, eigensinnigen, unberechenbaren Vagabundin. Ich danke all den guten Geistern, die mich immer beschützt haben vor Ungemach – und die mich aus irgendeinem Grund stets warnen, bevor ich in einen Abgrund stürze. Und die mir immer wieder die unzähligen kleinen Wunder schenken, die mich so dankbar, glücklich und gläubig sein lassen. Ich habe nur einen Wunsch: Möge mein Glaube daran, dass ich gebraucht werde und dass ich gewollt bin, mich nie verlassen. Amen.

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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