Von der Vermeiderin zur reingeherin – Meine Geschichte

Als Kind war ich ein genialer Vermeider. Nur in meinem Kinderzimmer war ich sicher. Da lebte alles um mich herum, da war ich wie Alice im Wunderland in meinem eigenen Kosmos. Sogar meine Tapete lebte! Ich kenne keine „Monster unter dem Bett“ – alles um mich herum war zwar lebendig, aber nicht bedrohlich. Da draußen in der Welt versuchte ich, so gut wie möglich unsichtbar zu sein. Ich war zweieinhalb Jahre alt, als sich bei der Besichtigung unserer neuen Wohnung die vorherige Mieterin zur mir herunterbeugte und zirpte „Da bekommst Du ja jetzt ein eigenes Zimmer! Da freust Du Dich aber“ und mir wurde erschreckend klar: „Ich bin ja sichtbar!“. Meine frühstes Kindheitserinnerung…

Die kleine Eva-Maria auf der Flucht

Ein wenig ähnelte meine Schulzeit an das Hakenschlagen eines Hasen. Immer auf der Flucht vor der Sichtbarkeit – sprich Angreifbarkeit – versuchte ich, durch Unsichtbarkeit zu überleben. Im Unterricht duckte ich mich weg in der letzten Reihe.

Beim Völkerball blieb ich schrecklich oft die Letzte im Feld. Wie lästig muss es für die übermächtigen Gegnerinnen gewesen sein, dass ich dem Ball so geschickt auswich in meiner Panik, sie könnten mir die Brille vom Gesicht schlagen.

…und dann kam das erste Erwachen

In der Pubertät erwachte plötzlich etwas Neues in mir: Der Mut. Ich schloss mich einer aus Holland kommenden Jesus-People-Hippie-Bewegung an. Ich lernte zu predigen und auf der Straße „Zeugnis zu geben“. Lehrer in meiner Schule begannen, sich Sorgen zu machen. Es war mir egal. Als Fünfzehnjährige wurde ich sogar die Beraterin unseres Gruppenleiters. Das war cool.

Meine Mutter hatte vollstes Vertrauen zu mir, auch wenn sie heimlich bangte, wie das alles weitergehen würde. Nach rund einem Jahr ließ ich mich im Schwimmbad in Den Haag zum zweiten Mal taufen – und verließ danach die Sekte. Ich war enttäuscht, desillusioniert. Das Wasser hatte meinen schwärmerischen Glauben abgespült. Ich sah wieder klar.

Von der verschüchterten Eva-Maria zur widerspenstigen Eva

In der Oberstufe war ich politisch links und auf der Suche nach sozialer Gerechtigkeit für die Armen. Ich wurde Schülersprecherin und kämpfte für Basisdemokratie an unserer Schule. Leider hatten die Schüler wenig Interesse an Basisdemokratie. Ich glaube, über Bier hätten sie sich mehr gefreut als über die ewigen Abstimmungen, die ich in den Pausen durchführte. Ich war wohl sehr anstrengend.

Nach dem Abitur war ich ratlos. Statt zu studieren, wurden meine große Liebe (ein Hippie-Student, der supergut alles reparieren konnte) und ich Eltern – so wurde ich Hausfrau und Mutter. Insgesamt bekam ich vier Kinder – drei in der Ehe, eines danach. Es war wunderschön, als bettelarme Studentenfamilie Monat für Monat irgendwie zu überleben – doch später als Arztfrau mit Eigenheim versagte ich in der neuen Rolle. Ich wurde unglücklich und brach aus.

…das zweite Erwachen

Ich musste lernen, mit meiner eigenen Hände Arbeit zu überleben, und gleichzeitig für meine Kinder da zu sein. Mein Mann war der beste Vater der Welt, und wir taten alles, damit die Kinder nicht zu sehr unter der Trennung leiden. Mein viertes Kind schmiegte sich wie selbstverständlich ein in die Reihe der Geschwister, wir blieben weiterhin eine Familie wie aus dem Musical Hair.

…das dritte Erwachen: Der Beruf

Doch irgendwann musste ich mich beruflich festlegen. Unterhalt hatte ich bei der Trennung abgelehnt. Schließlich hatte ich mich ja getrennt, einfach, weil ich rauswollte aus der Rolle der Arztfrau in der Vorstadt.

Erst wurde ich Heilpraktikerin, dann konnte ich bei den Anthroposophen eine Ausbildung zur pädagogischen Fachkraft absolvieren. So sehr ich Rudolf Steiners Lehre regelrecht verschlang – in Waldorfeinrichtungen war ich mal wieder die Querulantin.

Wie in meiner Schulzeit strebte ich nach Basisdemokratie im Zusammenleben mit den Schützlingen, das kam gar nicht gut an. Ich flog sogar aus einem Praktikum – und im Anerkennungsjahr zog ich den Hass meiner Vorgesetzten auf mich. Ich beendete die Ausbildung zwar mit sehr guten Noten – doch wie ein geprügelter Hund.

Bild: Franz-Josef Baldus

Das vierte Erwachen: Nie wieder angestellt sein

Das war 2004. Ich war traumatisiert aus dem Versuch gekommen, als Angestellte mein Bestes zu geben – und ich schwor mir, lieber unter einer Brücke zu leben als je wieder Angestellte zu sein. Kein Herr und kein Knecht, nie wieder! Ich machte mich selbständig mit der Gründung einer Genossenschaft für Existenzgründer.

Von nun an ging’s bergauf

Bald kann ich mein zwanzigjähriges Jubiläum als Selbstständige feiern. Viele Abenteuer gab es auf dem Weg, viele Gründungen, viele Erfolge, viele Neuerfindungen, viel Kummer, viel Scheitern. Heute weiß ich, dass ich gut darin bin, Visionen zu entwickeln und umzusetzen – und sehr schlecht darin bin, mit Routinen und Stillstand klarzukommen. Fühle ich mich wie in einem Käfig, breche ich bei der ersten Gelegenheit aus.

Reingehen ist mein Prinzip geworden

Seit drei Jahren coache ich Menschen mit seelischen Herausforderungen. Menschen, die etwas verändern wollen, weil sie krank geworden sind an ihrer Art, zu leben. Burnout, Angststörungen, Depressionen… Immer ist es mein Ziel, dass meine Leute sich selbst befähigen, mutig den nächsten Schritt zu wagen.

Reingehen heißt nicht, gegen etwas zu kämpfen! Reingehen heißt, auf das zuzugehen, was Angst macht. Erst akzeptiert man sein Vermeiden, dann hat man sich lieb als der, der verneint und vermeidet, dann kommt das Erwachen der Fantasie (oh, ich würde so gern….leben) und dann kommt der Wille und die Ausarbeitung der ersten Schritte zum Reingehen. Mit dem Reingehen kommt die Versöhnung und die Kraft.

Mein neues Ziel: Selbstvergessenheit lernen

Irgendwann wird auch für mich der Tag kommen, wo ich einfach loslasse. Spätestens in der Minute des Todes gibt es kein Zurück. Sehr gern möchte ich noch vorher erfahren, wie es ist, die Kunst der Selbstvergessenheit zu erlernen.

NOCH arbeite ich mit ganzer Leidenschaft und freue mich tatsächlich (bis auf wenige Ausnahmen) auf jeden neuen Tag. Meine Arbeit macht mich glücklich. Ich muss immer weiter dazulernen, werde immer wieder mit ganz neuen Rätseln konfrontiert, für die ich gemeinsam mit meinen Klienten nach Lösungen fahnde wie ein Seelen-Detektiv.

Die Reingeher…

Leben ist ein unglaubliches Abenteuer für die Reingeher. Egal was ist und egal, wie Du lebst – traust Du Dich irgendwann, reinzugehen in das, was Dich quält und fesselt, wirst Du erfahren, was schöpferische Gestaltungskraft bedeutet. Leuchte mit der Taschenlampe auf Deine Ängste, und Du wirst mutig. Die Reingeher sind Magier ihres Lebens, und das ist wunderschön und wahr.

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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