Die Tageszeitung geht: Journalisten im Zeitalter des Strukturwandels

Strukturwandel im Printbereich – die neue Generation und die Frage nach den Marken.

Der heutige Freitag wird in der Geschichte der Medien in Zukunft wohl als der besonders markante Punkt wahrgenommen werden an dem die Tageszeitung an Wert und Wichtigkeit verlor: Die Westfälische Rundschau wird eingestellt. Nein, nicht ganz: Die Redaktionen werden geschlossen, die Zeitung selbst bleibt erhalten und wird künftig mit Inhalten aus dem WAZ-Newsdesk sowie Produkten der Konkurrenz befüllt. Man nennt sowas Mogelpackung vor allem dann wenn der Abonnent davon nichts mitbekommen soll. Für die knapp 120 entlassenen Journalisten ist dies natürlich ein trauriger Tag. Der Hohn spricht zu den stets gefällig zitierten Bemerkungen,  den Zeitungen gehe es blendend.

Nun kann man wie die es in Labkultur  geschah einen Artikel über die WR schreiben, der für Zeitungen als notwendiges Medium generell plädiert. Ja, da bin ich ganz bei ihm – die Zeitung als Format an sich, die dem Leser die Welt ordnet, die Zahlen, Daten und Fakten einsortiert ist ebenso wie das Radio oder das Fernsehen wichtig. Ebenso glaube ich, dass wir auch noch eine Weile mit Printerzeugnissen umgehen werden – nachdem Thorsten Knüwer vor kurzemtreffend beschrieb, warum keiner Zeitungsapp mag sowieso.

Warum man eine lokale Zeitung liest

Gelingt es aber den regionalen Zeitungen – und um die gehts ja, nicht um die überregionalen und der Wochenzeitung ZEIT zum Beispiel gehts prächtig wie man gestern noch las  – noch das abzubilden was die Kernaufgabe einer Zeitung an sich ist? Ich glaube, das ist der Punkt: Lokale Zeitungen sind eigentlich nicht dazu da, mir die Angelegenheiten von Angela Merkel zu erklären. Schön, wenn sie es tun und klar ist das ein Zusatznutzen, aber im Zeitalter des Internets habe ich diese Informationen von Reuters, DPA oder anderen Agenturen schneller, aktueller und meist kostenloser. Damit fällt zumindest ein Drittel, vielleicht auch zwei Drittel des Interesses von mir weg. Die Kernkompetenz einer lokalen Zeitung liegt – nomens omens – im Lokalen. Um Umfeld. In das was in der Nachbarschaft, in meiner Stadt in meinem Viertel passiert. Überregionales Tagesgeschehen? Da ist der Deutschlandfunk schneller.

Der Kern dessen was eine lokale Zeitung auszeichnen sollte ist doch die Berichterstattung über das, was in der Region vor sich geht. Noch genauer formuliert ist die Essenz einer guten lokalen Tageszeitung die Geschichte, die im Ort passiert. Das wollen die Leute lesen, das ist die Zielgruppe, das sind die Abonnenten. Die gut recherchierten Geschichten aber, die ja genau das tun was Journalisten tun sollten – sortieren, einordnen, erklären – findet man in den lokalen Blättern immer weniger. Natürlich gibt es Glanzlichter und bei den gestiegenen Arbeitsbedingungen ist klar, dass nicht jeder Artikel Hochglanz-Spiegel-Stern-Format haben kann – aber wenigstens gut recherchiert sollte er sein.

Wer Tontafeln im Keller hat, liest kein Papier

Online-Journalismus scheint in den Verlagshäusern immer noch ein adoptiertes Kind zu sein – man machts, weil es alle machen. Innovatives ist selten bei den Lokalzeitungen – überregional sieht das vielleicht doch ein wenig anders aus, aber lokal gesehen hat man meistens halt nur die Artikel, die im Print eh schon drinstehen – wenn auch nicht alle, irgendwas muss der Leser noch kaufen – und eventuell noch Videos und Bilderstrecken. Kann man machen. Ob man damit aber neue Abonnenten gewinnt ist die Frage, die werden vielleicht demnächst doch eher zum Lokalblog der Wahl wechseln: Für Dortmund starten die Ruhrbarone ab heute einen eigenen Bereich.

Doch zurück zum Print. Das Problem hier ist, dass Allerweltsnachrichten im Netz schneller zu bekommen sind. Im Zeitalter des Schnell-Schnell-Schnell, das im Artikel von Labkultur  ja charakterisiert wird, ist das allerdings ein Vorteil. Und: Die nachkommenden Generationen können zwar vielleicht eine Zeitlang mit ZEUS und Co. für Zeitungen konditioniert werden, aber das Leseverhalten ändert sich. Das Medium an sich. Tontafeln habe ich auch nicht mehr im Keller, geschweige den Papyri. Ja, die Zeitung sortiert und ordnet ein. Und wenn Journalisten das gut können dann ist die Zeitung ein Highlight im Lesealltag. Nur möchte der aktuell heranwachsende Erwachsene so etwas vermutlich längst nicht mehr am Stück eingeordnet bekommen haben weil er gewohnt ist seine Informationen mit diversen Tools selbst aus allen Quellen zusammenzusuchen. (Wenn demnächst mal MEDIUM komplett für alle offen ist, wird das neben GetPrismatic sowie Flipboard noch ein Argument mehr sein auf eine Print-Ausgabe zu verzichten – damit deckt man jetzt schon einen beachtlichen Teil der Quellen ab.) Warum sollte man sich von einer Printzeitung diktieren lassen was man wie liest? Schön, hat man schon früher auch nicht – man überblättert eh immer Einiges. Dennoch: Das Leseverhalten bei Zeitungen ändert sich, damit müssen Tageszeitungen klarkommen.

Wochenzeitungen und Zeitschriften: Inseln im hektischen Zeitgeschehen

Warum die ZEIT nun seltsamerweise gegen den Trend schwimmt? Ich glaube: Weil diese eine Wochenzeitung ist und überregional. Sieht man sich mal die ganzen Statistiken zum Thema an fällt einem auf, dass zumindest Wochenzeitungen auf Dauer ihre Leser halten können. Weil sie offenbar das können, was Tageszeitungen, die das Getriebe des Alltags offenlegen möchten, nicht oder nicht mehr so oft gelingt: Lange, gute, lesbare Artikel zu bringen, die in die Tiefe gehen und für die Leser Qualität haben. (Schließlich bestimmen immer noch die Leser was Qualität für sie ist, nicht umgekehrt, aber das vergisst man so leicht bei der Debatte wieder.) Eine Wochenzeitung mit einem Thema kann dieses natürlich viel besser und viel eher unter verschiedenen Blickwinkeln diskutieren als eine Tageszeitung – diese hat einfach eine andere Aufgabe. Wenn daher gemeint wird, es sei komisch dass Leute lange Texte lesen wollten, aber Tageszeitungen am Kiosk nicht mehr mögen würden dann ist das aus einer falschen Sichtweise konstruiert. Bei einer Tageszeitung kann ein einzelnes Thema vielleicht mit zwei, drei Artikeln abgehandelt werden. Dies kann natürlich dem Leser genügen, offenbar tut es das aber nicht mehr so ganz. Sonst würden Tageszeitungen ja nicht konsquent einbrechen.

Die Emanzipation der Werbung

Fakt ist aber auch, dass die Anzeigenkunden wegbrechen oder auf die Idee kommen, ein eigenes Magazin herzustellen – siehe ALDI-Aktuell. Nachvollziehbar, weil die Auftraggeber hier das Design in der Hand haben und bestimmen können wo was steht. Und wo investieren die traditionellen Print-Anzeigenkunden nun? Richtig. Dort wo sie die Zukunft vermuten und das könnten die Online-Kleinanzeigen-Märkte, die Kalaydos und anderen Dazugeschäfte der Mediengesellschaften sein. Tageszeitung? Wie löchrig doch das Gedächtnis der Kunden ist was das anbelangt – erinnert sich den wirklich jeder an die Werbung, die gestern in der Zeitung stand? Gut. Ich erinnere mich auch nicht an die Online-Werbeanzeigen, aber wenn die WAZ das derart übertreibt schalte ich halt den Adblocker an. Und Prospekte? Gibts auch bei der WAZ online wenn ich die gucken will. Schont Bäume.

Nein – das Format Zeitung selbst, gute Journalisten, spannende Themen und Inhalte werden überdauern. Doch die Form wird sich ändern. Es könnte einen Versuch wert sein wenn eine Lokaloffensive tatsächlich mal das ist was sie verspricht: Man lässt einfach mal den Mantelteil weg, konzentriert sich auf gute lokale Themen und schaut was passiert. Natürlich macht das keiner. Außer Online. Diese Dinger, die als Hyperlokal-Journalism bezeichnet wurden. Ja, auch von denen haben nicht alle Erfolg. Immerhin aber wäre das ja mal ein Experiment wert – und immer mehr dieser Portale gehen ja auch in den Printbereich. Könnte zu denken geben.

Journalisten als Marken

Wenn also die fetten Jahre im Print-Tagesgeschäft vorbei sind sollte man sich als Journalist darauf einstellen. Vor allem sollte man aktiv werden und reagieren. Die Tage in denen im Ruhrgebiet Leute unter Tage gingen sind ja ebenfalls längst vorbei. Journalisten und vor allem die, die jetzt nachstreben sollten bestreben sich selbst zur Marke  zu machen. Das klingt in vielen Ohren nach abschätziger Verkaufe – ist es aber nicht. Wer sich gut im Web aufstellt, wer die grundlegenden Dinge im Artikel beachtet und wer dann noch weiß, dass es so etwas wie SIO gibt sollte für die Zukunft des Journalismus gut gerüstet sein. Auch wenn – blamabel genug für Digitaldeutschland – Online-Journalisten weniger an Lohn für die selbe Arbeit bekommen als Print-Kollegen – aber auch das wird sich ändern. Bald.

Der selbstständige Journalist und Social Media Redakteur Christian Spließ begleitet Unternehmen und Organisationen bei der erfolgreichen Umsetzung von Social Media Kampagnen. Christian Spließ ist einer der Social Influencer in NRW - vor allem über Twitter und Facebook.

www.homo-narraticus.de

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