Eva Ihnenfeldt: „Was wird aus Social Media im Jahr 2025?“

Was sich bisher in meiner Wahrnehmung entwickelt hat seit 2007:  Eigentlich lebe ich schon ziemlich lange in der „Social Media Welt“, obwohl ich absolut nicht zur typischen Zielgruppe der Web 2.0 Bewegung passe. Ich bin kein Nerd, kein Kultur-Freak, kein Mitglied der Piratenpartei, gehöre keiner der Communities und Cliquen aus der Blogger-Szene an. Mein Interesse lag von Anfang an darin, Menschen dabei zu unterstützen, sich dank digitaler Kommunikationsinstrumente beruflich selbst verwirklichen zu können. Dass ich schon 2007 mit diesem Blog und einem Newsletter startete, lag einfach daran, dass wir bei der Gründergenossenschaft e.G. kein Budget für kommerzielle Werbemittel hatten – und dass es mir moralisch entsprach, auf „Augenhöhe“ mit jedem Menschen zu kommunizieren.

Seit 2007 hat sich viel verändert – vor Allem durch den Einfluss von Facebook. War es anfangs eine kleine „Nerd-Elite“, die sich über die Graswurzelrevolution verbreitete, und der wir Open Source Errungenschaften wie Wikipedia, Linux, WordPress und Mozilla/Firefox zu verdanken haben, kamen immer mehr kommerzielle Aktivisten hinzu. Den Begriff „Social Media“ hörte ich erstmals 2008, das weiß ich noch sehr genau.

Dann folgte der Edward Snowden Schock. Die friedliche Graswurzelrevolution war unterwandert durch fläckendeckende Überwachung von internationalen Geheimdiensten. Heute kann man die Überwachung durch kommerzielle Datenhändler und Behörden nicht mehr trennen – Fakt ist, unser Webverhalten wird mehr oder weniger lückenlos getrackt, für welchen Kunden und welche Zwecke auch immer.

Ebenfalls verändert hat sich die Zusammensetzung der Social Media Nutzer. Waren es anfangs vor Allem junge Menschen und Technik-Affine, sind es heute gerade Ältere, die privat Facebook und andere Social Media Netzwerke aktiv nutzen. Die Jugend weicht zunehmend auf das geschützte Snapchat aus, um selbst etwas zu posten – ansonsten werden öffentlich sichtbare Netzwerke wie Instagram, Pinterest und eventuell auch Facebook fast nur noch passiv genutzt – bis auf die Aktivitäten der „Creator“, die sehr bewusst den Gang in die Öffentlichkeit wagen.

Wie wird sich Social Media bis zum Jahr 2025 weiterentwickeln?

Wirtschaft: Die Gründer- und StartUp-Szene kann sich über die digitale Kommuikations-Revolution und die vielen digitalen Innovationen sehr potent aufbauen. Ich vermute, dass extrem viele etablierte Mittelständler, Händler und Dienstleister sterben werden, weil sie nicht in der Lage sind, sich umzustellen. Social Meda bedeutet, intern und extern in Echtzeit mit der ganzen Welt zusammenarbeiten zu können. Social Media bedeutet, die besten Informationen als Erste zu erhalten und sich ständig weiterzuentwickeln. Social Media bedeutet Kollaboration und Transparenz der Unternehmenskultur. Social Media bedeutet, über Sympathie und Vertrauen mit Gleichgesinnten Netzwerke aufzubauen und die passgenauen Mitarbeiter für sich begeistern zu können.

Und für Einzelhändler bedeutet es, Handel ganz neu zu denken und ganz neu mit Kunden, Lieferanten und der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Ob das etablierte Unternehmen schaffen? Einige sicher – doch viele sicher nicht. Die Dispruption wird an Tempo bis 2025 enorm zugenommen haben. Ich schätze, wir werden ein Massensterben beobachten an Firmen und Geschäftsmodellen. Bewertungen, Preistransparenz und der emotionaler Anspruch von Kunden, Mitarbeitern, Bürgern wird Wirtschaft neu definieren.

Marketing: Wir leben dank Social Media in einer Zeit des überbordenden Spams. Alle Anbieter stehen im Wettstreit um Aufmerksamkeit, Interesse, Wunscherzeugung und Abschluss. Das hat beim potentiellen Kunden zur Folge, dass Werbung immer weiter ausgeblendet wird und sich eine grundlegende Ablehnung von gewinnorientierten Social Media Aktivitäten aufbaut. Kein Wunder, schließlich machen es die vielen Posts, Bilder, Videos und Links von kommerziellen Anbietern schwer, das eigentlich Gesuchte zu finden. Und wie Detektive müssen Verbraucher dank „Content-Marketing“ lernen, objektive Inhalte von vertrieblichen Inhalten zu unterscheiden.

Ich vermute, dass sich diese Kinderkrankheiten bis 2025 ausgewachsen haben. Unternehmen werden lernen, dass es sich lohnt, mit allen Stakeholdern (Interessensgruppen rund ums eigene Unternehmen) auf Augenhöhe zu kommunizieren. Natürlich brauchen wir Reichweite, Vertrauen, Verständnis und komfortable Prozesse, um Produkte zu verkaufen. Natürlich bleibt weiterhin der Grundsatz, dass „Mund-zu-Mund-Propaganda“ nicht ausreicht, um erfolgreich zu sein – und dass gerade Social Media eine ungeheure Macht bedeutet, um auch als StartUp innovative Produkte und Problemlösungen zu verkaufen – doch die Wahl der Mittel wird intelligenter.

Ich sehe zum Beispiel Crowdfunding als zukunfträchtigen Marktforschungstest für neue Produkte. Über Communities wie die „Hausfrauen-Mafia“ können schon in der Entwicklungsphase konstruktive Diskussionen gefühert werden, um begeisternde Consumer-Produkte zu kreieren. Ich sehe viele Interessensgruppen, News-Feeds, Portale und Medien, bei denen sich potentiell Interessierte aktiv ihre Informationen abholen und mit Gleichgesinnten und den Anbietern diskutieren. Werbung wird interaktiv und eine Mischung aus gutem Entertainment und Bewertungsportal. „Word-of-Mouth“ wird die Richtschnur der Marketing-Zukunft – dank Social Media.

Gesellschaft: Dank Social Media (die Ebene, wo Sender und Empfänger in jeder Person zusammenfallen können) leben wir in einem existenziellen Umbruch unserer Wertegemeinschaft. Vertrauen in bewährte Autoriäten und Grundsätze geht verloren, alles muss immer wieder neu gedacht werden. So wie in den letzten Jahrzehnten gewohnte Gemeinschaften (Ehe, Dorf/ Nachbarschaft, Familie, Firma…) aufgebrochen wurden, brechen nun die erlernten Werte zusammen. Religion spielt kaum noch eine Rolle – das Misstrauen in Politiker und Leitmedien ist gewachsen, seit Social Media mit der Informationsflut einhergeht, das Vertrauen in die bisherigen „Wahrheiten“ muss nun eigenständig überprüft und neu erworben werden. „Was Du ererbt von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“ – der Spruch von Goethe bekommt ganz neue Bedeutung.

Ich weiß nicht, wohin die Reise geht. Für mich sind zwei Szenarien denkbar: Entweder es „gewinnen“ die konstruktiven Menschen, die sich einen lebenswerten Planeten wünschen, auf dem es allen fühlenden Wesen gutgehen möge – oder die verunsicherten Menschen, die dieser komplette Werte-Change überfordert – und die mit Gewalt die „alten guten Zeiten“ zurückhaben wollen. Gerade, dass wir auf eine Riesenarbeitslosigkeit zuwandern, könnte zu Bürgerkrieg führen. Oder die autoritäten Regime, die sich abgrenzen wollen gegen das „Fremde“, beginnen weitere Kriege, um damit abzulenken von inneren Krisen. Ich weiß es nicht. Entweder wir sind 2025 dem Paradies mal wieder ein ganzes Stückchen näher gekommen – oder es wird schrecklich.

Privat: In den letzten Jahrzehnten haben sich private Bezugssysteme sehr gewandelt – der Mensch wird mehr und mehr zum „Reisenden“, zum Nomaden – selbst unsere Organe reisen noch nach unserem Tod! Das führt auf der anderen Seite zu einer tiefen Sehnsucht nach verbindlicher Liebe und Geborgenheit. Der Mensch ist so überfüttert mit Reizen, dass er sich im Privaten gern zurückzieht in ein Refugium, das geschützt ist vor den Ansprüchen der lauten, schnellen, sich rasend wandelnden Umgebung. Die Kleinfamilie kann so ein Hort sein – doch auch neue Geborgenheits-Communities entwickeln sich.

Ich könnte mir vorstellen, dass 2025 viele kleine Netzwerke entstanden sind von Menschen, die ähnliche Wertesysteme verbindet – und ähnliche Visionen und Interessen. Dadurch, dass wir nicht mehr räumlich auf einen bestimmten Arbeitsort angewiesen sind, könnte man Lebensgemeinschaften gründen, wo immer man mag: In Spanien, Norwegen, Neuseeland, im Harz… Der alte Traum von der „Kommune“ wird vielleicht von vielen jungen und alten Menschen neu gelebt dank der Ortsunabhängigkeit. Vielleicht wird „Liebe“ neu gestaltet, indem man einfach alle fühlenden Wesen mit einschließt – und trotzdem persönlich frei bleibt?

Das Schlimmste und das Beste: Das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann, ist ein Zwangsleben in einem autoritären Staat, der jeden seiner Bürger bis ins letzte Detail kontrolliert und zur bedingungslosen Loyalität zwingt.

Das Beste, was ich mir vorstellen kann ist, dass wir lernen, Menschen nicht mehr zu be- verurteilen – sondern Jeden so anzunehmen wie er/ sie ist. Das Beste, was ich mir vorstellen kann ist ein Planet der Freiwilligen, die arbeiten aus Spaß und Verantwortungsbewusstsein und die das erfüllen, wovon der 28-jährige Karl Marx damals träumte. Wenn der Kapitalismus seine Endstufe erlangt hat und sich in einer klassenlosen Gesellschaft aufgelöst hat: „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirte oder Kritiker zu werden“.  Ja. Daran glaube ich und dafür arbeite ich. Frei sein, fleißig sein – und alle Menschen lieben.

 

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

One thought on “Eva Ihnenfeldt: „Was wird aus Social Media im Jahr 2025?“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert