Kann man durch das Internet „kollektive Intelligenz“ nutzen? Interview mit Prof. Peter Kruse

Prof. Dr. Peter Kruse, der 2015 leider im Alter von 60 Jahren verstorben ist, hat sich in den letzten Jahren intensiv mit der Revolution durch den Einfluss des Internets beschäftigt. Der Hirnforscher und Unternehmensberater war gerade durch die Zusammenführung dieser beiden Disziplinen prädestiniert dafür, zu analysieren, was die weltweite Vernetzungsdichte bewirkt – und wie man konstruktiv in Unternehmen damit arbeiten kann, um den Herausforderungen der neuen Zeit gewachsen zu bleiben.

Das Internet: Vernetzung – Erregung – Bewertung

Internet-292x300Klar ist wohl jedem, dass wir dank des Internets weltweit in Echtzeit vernetzt sind. Man kann sich dieses Effekt vorstellen wie ein „Weltengehirn“, in dem wir einen Platz haben und über Erregungen stimuliert werden. Finden keine Erregungen statt, passiert auch nichts. Falls jedoch so eine Stimulation bei uns persönlich stattfindet, muss im Anschluss direkt eine Bewertung stattfinden. Doch nach welchen Kriterien bewerten wir nun?

In einem Videointerview (1:17.21 auf YouTube) mit Prof. Peter Kruse erläutert dieser ausführlich, warum Bewertungen nicht über rationale Methoden zugänglich sind. Allein schon die unterschiedliche Interpretation von Sprache (wie definiert ein Mensch für sich Begriffe wie „clever“, „love“, „security“?) macht es unmöglich, mit herkömmlichen Methoden zu guten Ergebnissen zu kommen. Doch da Bewertungen in einem so dichten Vernetzungssystem als Hauptantrieb für Aktionen unser aller Leben bestimmen, können wir sie nicht ignorieren – weder gesellschaftlich noch im Unternehmen.

Ohne es rational begründen zu können, verbinden sich Menschen über ihre gemeinsamen Wertemuster. Die allermeisten Unternehmen sind sich nie bewusst geworden über ihre Wertemuster, und doch hat jede Organisation eine Persönlichkeit, die bestimmte Menschen anzieht – und zu bestimmten Wertemustern führt. Prof. Peter Kruse betont, dass man solche Wertemuster nicht managen kann, nicht über die Formulierung von Leitsätzen kontrollieren. Was man kann und unbedingt sollte ist, dass man Bewusstheit in die firmeneigenen Wertsesysteme bringt und Methoden entwickelt, um diese bestmöglich leben und konstruktiv arbeiten zu lassen.

Jede Organisation und jedes Individuum glaubt, es wäre „wahr“

Gehirn-300x232Das menschliche Gehirn ist so ausgelegt, dass es im Grundsatz davon ausgeht, „die Wahrheit“ zu sein. Auch Menschen, die sich extrem anzweifeln, gehen in einer tieferen Ebene davon aus, dass ihr Zweifeln einer Wahrheit entspricht. Anders wären wir nicht überlebensfähig. Kulturen, Regeln, Rituale und Glaubenssätze machen es möglich, dass Menschen miteinander leben und arbeiten können, da sie sich auf ein Gemeinschaftswertesystem geeinigt haben – bzw. dorthin sozialisiert wurden.

In einem Unternehmen oder einer Organisation funktioniert das erfolgreiche Zusammenarbeiten gut, wenn dieses Gemeinschaftswertesystem bejaht und angenommen wird. Je komplexer eine Firma, je verzweigter eine Firmenstruktur, je rasanter die technische Innovation und je unsicherer die Zukunft, desto schwieriger ist die Zusammenarbeit. Bewertungen und „Wahrheiten“ sind rationalen Argumenten gegenüber unempfänglich, die Botschaft dient zwar als Eintrittskanal von Erregung – doch die anschließende Bewertung ist intuitiv und setzt sich aus tausend Elementen zusammen wie genetischen Anlagen, Sozialisation, Schmerz, Freude etc. etc. Was soll man tun, wenn die Welt immer komplexer und immer schnelllebiger wird? Wie kann man eine Firma führen in einer Zeit, in der durch die Verdichtung von Information, Vernetzung und Bewertung die Kontrolle immer weiter aus der Hand rutscht?

Um Basiswerte in einer Firma gemeinsam leben zu können, braucht man professionelle Kommunikationsstrukturen und Prozesse. Man braucht eine Unternehmenskultur des Diskurses, des „hin und her gehenden Gesprächs“. Nur so kann Transparenz entstehen, und nur über Transparenz kann die kollektive Intelligenz sich lösungsorientiert nach vorn bewegen – denn Lösungsorientierung ist der Schlüsselbegriff für Wirtschaftsunternehmen.

Von der Trivialisierung der Bewertungen

Leider führt die Vernetzungsdichte und Erregungsdichte im Internetzeitalter nicht dazu, dass unsere Glaube-300x169Bewertungen intelligenter werden. Das ständige „Gefällt mir“ „Gefällt mir nicht“ „Glaub ich“ „Glaub ich nicht“ „Les ich“ „Les ich nicht“ führt sogar zu einer zunehmenden Trivialität. Man einigt sich in den weltweiten Netzwerken auf einen möglichst hohen gemeinsamen Nenner, und genau das spült die trivialen „Wahrheiten“ nach oben und drängt differenzierte Wertemuster zurück. Kann das auch Unternehmen bedrohen, kann das politisch ein Problem werden?

Kapital und Risikobereitschaft

Unternehmensführung beruht auf Kapital und Risikobereitschaft. Derjenige muss führen, der mit seinem Kapital und seinem unternehmerischen Risiko in der Verantwortung steht. Bottom Up Führung  kann nur dann funktionieren, wenn alle Mitarbeiter und Unternehmensbeteiligte gleichermaßen am unternehmerischen Risiko beteiligt sind – was es extrem selten gibt. Es ist also richtig und unabdingbar, dass Entscheidungen von der Führung getroffen werden und nicht „basisdemokratisch“. Unternehmenswerte gehen von der Führung aus.

Politik hingegen kann Werte nur dann von oben aus bestimmen, wenn sie diktatorisch und auf Gewaltausübung angelegt ist. Ansonsten ist Politik auf Mitwirkung und Diskurs angewiesen. Auf der einen Seite bietet das Internet da großartige Möglichkeiten – doch auf der anderen Seite führen die trivialen Bewertungen der vielen weltweit vernetzten Gehirne zu Bewertungen und Aktionen, die gefährlich sein können. Die Wertemuster sind nicht vorhersehbar, nicht kontrollierbar, nicht rational logisch erfassbar – was heute noch an Solidarität und Mitgefühl ausgedrückt wird, kann morgen schon in Ablehnung und Gewalt umschlagen. Man weiß es nicht.

Unternehmen haben eher die Möglichkeit, in Wertemuster „von oben“ aus einzugreifen. Heute leben wir in einer Welt, in der immer weniger Firmen immer mehr Kapital vereinigen. Diese mächtigen Firmen können ohne politische Legitimation und ohne Überprüfung in Gesellschaften eingreifen. Das Kapital ist Top down organisiert, Politik ist auf die Beteiligung der Zivilgesellschaft angewiesen. In unserem System ist Kapital die letzte Bezugsgröße. Ohne das politische Interessen und Engagement der Bürger sind wir diesen wenigen mächtigen Unternehmen, die sich immer stärker zusammenschließen, ausgeliefert.

Was können kleine und mittlere Unternehmen tun?

Netzwerk-300x212Der Vorteil von kleinen, gerade auch von jungen Unternehmen ist, dass diese die Kommunikationsstrukturen und ihre Diskurskultur von Anfang an professionell gestalten können. So können Wertesysteme und Spannungsverhältnisse produktiv gestaltet werden. Führung bedeutet, den Rahmen für das „Hin und Her Gespräch“ durch Prozesse und Transparenz zu gestalten. Die Mitarbeiter werden informiert, ihr Feedback wird gehört, ihre Ideen und Bewertungen fließen in die untermehmerischen Entscheidungen mit ein. Nur sollte immer klar sein, dass ohne unternehmerisches Risiko keine unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden können, basisdemokratische Unternehmen gibt es höchstens in genossenschaftlichen Systemen.

Kann das nicht dazu führen, dass nur noch geredet und bewertet wird, aber nicht mehr produktiv gearbeitet?

Es gibt viele Risiken bei der Einführung von intelligenten internen Kommunikationsstrukturen, Produktivitätsverlust ist nur eines davon. Transparenz könnte dem Wettbewerber Firmengeheimnisse zuspielen, unterschwellige Wertekonflikte könnten sich zu zerstörenden offenen Konflikten ausweiten, Zuhören und Wertschätzung könnte dazu führen, dass sich die „Faulen“ auf Kosten der „Fleißigen“ ausruhen. Keine Frage, die moderne Kommunikationskultur in vernetzten Unternehmen ist kein Spaziergang.

Prof. Peter Kruse betont, wie entscheidend Disziplin ist für eine konstruktive Unternehmenspolitik. Nur eiserne Disziplin, gute Prozesse und eine hochgradige Standardisierung führen zur Netzwerk-Intelligenz. Doch wie kann man Disziplin bewirken und fördern?

Wachheit und Wahrnehmung als Unternehmereigenschaft

Ein Unternehmer ist jemand, der Wetten abschließt auf Trends und sich bildende Wertemuster. Das, was im Marketing als „latente Bedürfnisse erkennen“ beschrieben wird, ist die Fähigkeit, durch Wachheit und empathische Wahrnehmung genau diese Änderungen zu erkennen – je früher desto besser. Unser historisch gewachsener Wohlstand beruht auf der Fähigkeit von Unternehmerpersönlichkeiten, Wetten abzuschließen auf die Veränderungen in den Bewertungssystemen der Menschen, die man erreichen kann.

Das, was den großen, etablierten mächtigen Firmen verlorengeht, weil sie Führung und unternehmerisches Risiko entkoppeln mussten, ist die Stärke von inhabergeführten Unternehmen: Wach sein, die Wahrnehmung stärken, analysieren und mit Tatkraft beharrlich Innovationen realisieren. Ist es möglich, durch gemeinsame Wertesystem die Mitarbeiter bei diesen Zielen mitzunehmen, hat ein Unternehmen eine hohe Vitalität und ist gestärkt um Krisen und Irrtümer zu bewältigen. Das gute Vorbild der Führungskräfte und das in der Führung lebende Wertesysteme bestimmt die Motivation, das Wertesystem und die Produktivität der Mitarbeiter.

Was bedeutet das konkret für das Unternehmensnetzwerk, das sich gerade rund um die SteadyNews bildet?

Die SteadyNews sind seit 2007 als Blog – bzw. Online-Magazin – ein Ausdruck eines gemeinsamen Wertesystems, das innovative, disziplinierte und auf Selbstverwirklichung ausgerichtete Menschen in der Metropole Ruhr und darüber hinaus vereint. Waren es zunächst Gründer, waren es im nächsten Schritt Selbstständige und Kleinstunternehmen, die über Beiträge, Veranstaltungen und Weiterbildungen ihre Innovationskraft im digitalen Wandel optimieren wollten. Über die Weiterbildung von Social Media Managern mit IHK-Zertifikat kamen im Weiteren auch Mittelständler und Konzerne hinzu, die ihre Mitarbeiter qualifizieren ließen und weiterhin vom Netzwerk profitieren konnten.

Heute wollen wir einen weiteren Schritt gehen. Dennis Arntjen und Eva Ihnenfeldt haben sich entschlossen, unter dem Markennamen „KmU Digital“ ein Unternehmensnetzwerk zu leiten, das sich den Herausforderungen des digitalen Zeitalters stellt. Neu ist, dass wir nach Wegen suchen, über intelligente Kommunikations-Prozesse und methodisch interaktive Lernstrukturen den Innovationsgehalt von Unternehmen zu unterstützen – mit Dienstleitungsangeboten unserer Mitglieder, mit Weiterbildungen im neuen Gewand, mit Events und Diskursen.

Ganz nach dem Vorbild von Prof. Peter Kruse wagen wir uns optimistisch und innovativ an die Aufgabe, durch Transparenz, Vernetzung, Diskurs, Finanzierungsmöglichkeiten und Flexibilität „Wetten auf den Wandel in der Unternehmenswelt“ abzuschließen. Schnellboote werden mit Disziplin und einem gemeinsamen Wertemuster den großen Tankern etwas entgegensetzen, was nur Unternehmerpersönlichkeiten realisieren können: Wach sein, Wahrnehmung schulen, Innovationen realisieren, Mitarbeiter mitnehmen, Krisen meistern. Hand in Hand vom StartUp bis zum etablierten Mittelständler.

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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