Digitale Zeitenwende – gibt es ein Entkommen aus Entfremdung und Anpassung?

Ich war sehr früh schon dabei. Als die „Digitale Graswurzel-Bewegung“ startete mit ihrer Vision der globalen Vereinigung von arm und reich, Sender und Empfänger, Nerds und Laien, rutschte ich dazu mit meiner Idee, dass Menschen sich finanziell unabhängig machen von ihrer Funktion als abhängige Produktionsmittel. Das war 2004, in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit, in Zeiten der Einführung von Hartz IV. Seitdem ist viel passiert.

Von 2004 bis 2022

Bild von jplenio auf Pixabay 

Aus „Existenzgründern“ wurde das heutige Selbstständigen-Prekariat, aus freier Rede wurde der Zwang zur Political Correctness, aus der Open-Source-Hippie-Bewegung wurden unzählige ideologische Nischen, einigermaßen in Schach gehalten durch globale Überwachung. Aus der romantischen Graswurzel-Bewegung von Linux, Wikipedia, Firefox und WordPress wurden digitale Konzerne wie Google, Meta (Facebook), Microsoft, Apple, Amazon – und die digitalen Finanzverwalter, allen voran Black Rock.

Es konnte nicht gutgehen

So ist die Welt, und es ist ok. Ich war naiv, als ich glaubte, der Spirit der Umsonst-und-digital Kultur würde mit seinem Zauber einen Menschen nach dem anderen erfassen. Wir Menschen sind nicht reif fürs Paradies – auch ich nicht…

Friedrich Schiller hat es einst in seinem Glocken-Epos, 19 Jahre nach Beginn der Französischen Revolution, bahnbrechend auf den Punkt gebracht:

Weh, wenn sich in dem Schoss der Städte
Der Feuerzunder still gehäuft,
Das Volk, zerreissend seine Kette,

Zur Eigenhilfe schrecklich greift!“

Die digitale Technologie hat dem Menschen die Möglichkeit gegeben, sich öffentlich zu äußern und in Gruppen zu vernetzen, doch dieser Segen wurde auch zum Fluch. Die Räume des freien Denkens und Redens werden immer enger.

Was nun?

Bild von IvaCastro auf Pixabay 

Ich bin bei allen Veränderungen irgendwo doch die Alte geblieben. Ich träume weiterhin vom Paradies auf Erden, wo das Lamm friedlich beim Löwen liegt, wo der Mensch den Menschen liebt wie sich selbst, wo wir uns hippiemäßig vereinigen wie – der Legende nach – einst die Riesenmenschen auf Hawaii. Wo es keine Machtkämpfe gibt, keine Kleinfamilie und keinen Besitz, wo man unschuldig lebt wie die Vöglein unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde.

Doch wo finde ich solche Menschen im Jahr 2022? Gründer wollen heute mit ihren StartUp’s zu Reichtum kommen. Abhängig Beschäftigte konkurrieren mit der Leistungsfähigkeit von Maschinen. Der Perfektionismus ist bis in die letzten Winkel des Privatlebens eingedrungen. „Im Dunkeln ist gut munkeln“ hat ausgedient.

Weil es nicht anders geht!

Es ist viel zu riskant, auf dem digitalen Planeten unüberwachte Kommunikation und unüberwachten Handel zu ermöglichen. Kriminelle Organisationen, ideologische Fanatiker, skrupellose Profiteure und einflussreiche Machtsysteme würden selbst dann die Welt in eine Hölle verwandeln, wenn ihr Anteil nur ein Prozent der Menschheit beträgt. Die digitale Technologie ist einfach zu potent für eine freiheitlich ausgerichtete Gesellschaft – und eine regionale/nationale Separierung ist leider unmöglich. Digitalität respektiert keine geografischen Grenzen.

Macht Euch unbrauchbar

Also gilt für mich der weise Satz „Macht Euch unbrauchbar“. Nur wer unbrauchbar ist für die systemorientierten Strukturen, kann sich frei entwickeln. Mehr noch: Nur wer sich außerhalb der Leistungsanforderungen bewegt, kann Vorbild sein für die unzähligen Geknechteten, die Moment für Moment alles versuchen, um „richtig“ zu sein und dem ideologischen Mainstream zu entsprechen.

Doch wer sind dies Unbrauchbaren, und wo finde ich sie? Was kann ich tun, um gemeinsam mit Unbrauchbaren eine lebendige Vision aufzubauen für all die, die psychisch erkranken, weil sie nicht mehr wissen, wer sie eigentlich sind? Die unzähligen Menschen, die ständig versuchen, den ideologischen Gesetzen zu entsprechen: Richtig essen, sich richtig bewegen, richtig leisten, richtig handeln, sprechen, denken, fühlen – sie tun mir so leid!

Inseln der Freiheit

Ich wünsche mir Inseln der Freiheit, auf denen der Misstrauische friedlich neben dem Geborgenen sitzt, wo der Fettleibige sich selbstbewusst mit dem Sportler verbündet, wo der Intellektuelle staunend dem ungebildeten Wildling zuhört und von ihm die Kunst des selbstbestimmten Denkens lernen kann.

Ich wünsche mir Inseln, auf denen jeder gibt und jeder nimmt. Aber nicht, weil es verlangt wird, sondern weil es Spaß macht, zu geben und Gutes zu tun! Freiwilligkeit wünsche ich mir, Gutmütigkeit und das tiefe Empfinden, nichts Besseres zu sein als all die Anderen – man ist nur eben anders.

Adressaten der Bergpredigt

Bild von Jeff Jacobs auf Pixabay 

Wo finde ich diese Vorbilder? Seit November 2020 darf ich mit ihnen arbeiten, darf sie intensiv kennenlernen durch Coachings. Ich bin unserer Gesellschaft unglaublich dankbar dafür, dass wir uns kümmern um die Armen und Kranken, um die Verzweifelten, Eingeschränkten und Leidenden – und um diejenigen, die seit ihrer Kindheit wissen, was Schmerz, Ausgrenzung und Einsamkeit bedeuten. Was es bedeutet, sich selbst nicht lieben zu können.

Ich bin so voller Hochachtung für diese Seelen-Giganten, die ich da kennenlerne. Gerade sie können den sich selbst Entfremdeten unserer digitalen Zeitenwende Hoffnung geben und Zuversicht. Die gemobbten Kinder können Licht sein für die Angepassten.

Die Ausgegrenzten

Gerade die Ausgegrenzten können Mut geben, gesellschaftliche Anerkennung, Geld und Status weniger ernst zu nehmen. Sie können wertvolle Arbeit leisten für die Verwirklichung der nächsten Phase in der digitalisierten Welt: zurückzufinden zu Freiheit, Geborgenheit und kindlichem Vertrauen.

Die Ausgegrenzten haben gelernt, mit unfassbar wenig Geld auszukommen.  Sucht ihr CO2-Minimalisten? Bei den Ausgegrenzten findet ihr sie! Sie fliegen (wenn überhaupt) extrem selten in den Urlaub, sie fahren keine SUV’s, sie sparen permanent Energie, sie sind nur sehr eingeschränkte Konsumenten. Perfekt!

Das also ist im Jahr 2022 die neue Zielgruppe für meine Vision von einer friedlichen Welt, in der das Lamm beim Löwen liegt. Das, was 2004 die arbeitslosen, akademischen Ingenieure und BWL‘er waren, die sich selbstständig machen mussten, um Hartz IV zu entkommen, sind jetzt diejenigen, die unbrauchbar sind in einer Gesellschaft, der „Selbstoptimierung“ ins Gehirn gepumpt wird – und Anpassung. Daran werde ich weiter arbeiten.

Unser CO2-Fußabdruck

Mein persönlicher CO2-Fußabdruck ist natürlich voll peinlich im Vergleich zu dem meiner Leute – doch sie akzeptieren mich gutmütig so, wie ich bin. Das ist so schön! Was für eine Auszeichnung, ihr Coach sein zu dürfen – und bald auch ihr Lehrer. Ich liebe mein Leben. Es führt mich schlafwandlerisch stets dahin, wonach ich mich sehne. Ich bin sehr dankbar dafür. Danke Euch sooooo sehr!

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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2 thoughts on “Digitale Zeitenwende – gibt es ein Entkommen aus Entfremdung und Anpassung?

  • Reply KAmina 16. Juni 2022 at 14:35

    Bin da voll bei dir Eva ich wünsche dir, dass alles noch viel schöner, besser kommt als du es dir vorstellst

    • Reply Eva Ihnenfeldt 3. Juli 2022 at 19:07

      Huhu liebe Kamina! Sorry, dass ich erst jetzt antworte – hatte Deinen Kommentar gar noch nicht gefunden. Verzeih 🙂 Und so lieb, was Du schreibst. Ja, ich bin auch sehr optimistisch, dass ich noch viele gute Tage vor mir habe, an denen ich wirken und gestalten kann. Leben ist echt aufregend schön nicht wahr?

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