Problemlösung Bürgerwehr? Ich habe Angst vor „besorgten Bürgern“

Eva Ihnenfeldt: Ich habe Angst vor „besorgten Bürgern“. Klar ist die Polizei nicht perfekt, ist unsere Bundeswehr verbesserungswürdig, und die Ordnungsamtmitarbeiter sind auch nicht immer nach meinem Geschmack. Aber: Diese drei Institutionen unserer repräsentativen Demokratie sind ausgebildet, sind gesetzlich legitimiert und stehen immer im kritischen Licht der Öffentlichkeit. Wer für Sicherheit sorgt, hat Macht, und Macht ist gefährlich. Wir erinnern uns an Florida, wo ein von der eigenen Wichtigkeit und Richtigkeit überzeugtes Mitglied der „Bürgerwehr“ einen unschuldigen Jugendlichen erschoss. Klar, bei uns dürfen keine Waffen getragen werden, aber reicht die Losung „Unsere Waffe ist unser Mobiltelefon“, um beruhigt zu sein?

Warum ich mehr Angst vor „besorgten Bürgern“ habe also vor rechten Schlägern

SecurityIch habe als Jugendliche meinen Papa einmal gefragt, ob diese ganzen Nazis und zustimmenden Deutschen im „Hundertjährigen Reich“ eigentlich psychisch gestört waren. „Hatten sie so eine schlimme Kindheit, dass sie sich rächen wollten und perverse Freude am Leid anderer Menschen empfanden?“ Seine Antwort hat sich tief in mir eingegraben: „Als erst einmal die Ideologie gesellschaftlich anerkannt war, wurden die ganz normalen Leute zu Befürwortern und Unterstützern. Das hatte mit schlechter Kindheit nichts zu tun.“

Ich habe einige Male in meinem Leben nachts geträumt, dass ich plötzlich in einem modernen „Nazi-Deutschland“ erwache. Alles ist wie immer, nur eben so einen Hauch anders. Die Haltung der Menschen ist ein bisschen straffer, die Augen der Bürger sind ein bisschen wachsamer, die Dekorationen im Schaufenster sind ein bisschen „deutscher“. Dann bekomme ich panische Angst, und versuche, zu entkommen. Das ist mein schlimmster Alptraum – das es wieder normal wird, sich als Bürger über andere zu erheben und für „Sicherheit und Ordnung“ zu sorgen.

Rechte Schläger, organisierte Banden und kriminelle Rocker sind eine Gefahr für die Gesellschaft, und es ist wichtig, dass die Polizei wirksam diese Gefahr unter Kontrolle bringen kann. Es ist wichtig, dass die Gerichte angemessen reagieren und die Gesetze passend zu den Gefahren sind. Betrunkene Randalierer, aggressive Bettler und betrügerische Gastronomen müssen von geschulten Ordnungsamtsmitarbeitern zur Räson gerufen werden, ganz klar.

Aber was bitte sollen besorgte Bürger tun? Als unausgebildete unautorisierte Nachbarschaften ständig 110 wählen, weil sie beim gemeinschaftlichen nächtlichen „Spazierengehen“ Unheil wittern?

Allein der Begriff „Bürgerwehr“ ist für mich ein Unding. Wir haben in Deutschland ein Gewaltmonopol des Staates. Das ist die Grundlage eines jeden Rechtsstaates. Sobald man sich von diesem Gewaltmonopol verabschiedet, gerät eine Gesellschaft in die Gefahr, dass sich gewalttätige Auseinandersetzungen hochschaukeln. Bürgerwehren sind keine „nachbarschaftlichen Schutzengel“, die ängstliche Menschen nach Hause begleiten, Bürgerwehren sind selbstorganisierte zivile, ehrenamtliche Sicherheitskräfte, die (wie in den USA schon häufig üblich) ihre Umgebung und ihre „Community“ vor feindlichen Kräften beschützen wollen.

Wie agiert eine Bürgerwehr?

Ich denke mir eine Bürgerwehr im harmlosesten Fall aus: Brave ältere Herren und mitfühlende Hausfrauen machen sich seit Köln Sorgen um die Sicherheit ihrer Töchter und weiblichen Angehörigen. Sie verabreden sich in kleinen Gruppen von zwei, drei Bürgern, gehen am Bahnhof, in Vergnügungsvierteln, in Parks und in ihren Wohnvierteln „spazieren“. Jeden Abend zwischen 18.00 Uhr und 4.00 Uhr morgens sind diese Bürgerwehr-Grüppchen unterwegs. Selbstverständlich sind sie nicht uniformiert, tragen jedoch Jacken und Mützen, die sie erkennbar machen – schließlich wollen sie ja Menschen beschützen. Das Mobiltelefon immer griffbereit, halten sie Ausschau nach Unregelmäßigkeiten und sind bereit, jederzeit die Polizei zu rufen, wenn sie ernsthafte Gefahr erkennen.

Im Stadtpark ertappen sie Jugendliche beim Kiffen – rufen die Polizei. In der Fußgängerzone sehen sie eine Gruppe Punker, die sich dort lautstark streiten – rufen die Polizei. In ihrem Wohnviertel fallen ihnen zu später Stunde drei junge Männer auf, die „nordafrikanisch“ aussehen. Die Gruppe wird in angemessenem Abstand verfolgt, bis die Männer das Wohnviertel großräumig verlassen haben. Das Mobiltelefon war während dieser gesitteten Verfolgung immer griffbereit – versteht sich.

Einmal wöchentlich trifft sich unsere Bürgerwehr und erzählt von den Vorkommnissen. Natürlich ist es ein bisschen frustrierend, wenn überhaupt nichts passiert ist. Lange diskutiert man hingegen über die Ereignisse, die die Existenz der Bürgerwehr rechtfertigen. Von Woche zu Woche wird man überzeugter von sich und kann sich bald nicht mehr vorstellen, wie ein Leben ohne Bürgerwehr ausgesehen hat. Zu Hause erzählt man in der Familie und der Nachbarschaft, was sich alles Gefährliches zugetragen hat – endlich begreifen auch die Naivsten, wie schlimm es um uns steht – wir müssen handeln!

Was hingegen machen unsere kiffenden Jugendlichen, unsere betrunkenen Punker, unsere nordafrikanisch aussehenden jungen Männer? Bestenfalls trauen sie sich ab 18 Uhr nicht mehr auf die Straße (ist das bestenfalls?). Wahrscheinlich diskutieren auch sie über diese Spaziergänger, die ihnen ständig die Polizei auf den Hals hetzten – oder sie unheimlich stumm verfolgen. Ob sie zu wenig Phantasie und Kampfgeist haben, sich gegen die lästige Störung zur Wehr zu setzen? Ob sie das alles einfach so über sich ergehen lassen und sich eingeschüchtert zurückziehen?

Und was ist mit der Polizei, die ständig zu allen möglichen Einsätzen gerufen wird. Natürlich wissen die auch ohne Bürgerwehr, dass nachts im Park gekifft wird, dass die Punker in der City sich betrinken und zur Aggressivität neigen. Sollen diese Polizisten nun ständig von Bürgerwehr-Auffälligkeit zu Bürgerwehr-Auffälligkeit rasen, weil sie sozusagen die „Dienstleister der Steuerzahler“ sind und gefälligst ihre Pflicht tun sollen?

Warum ich keine Bürgerwehr ertragen kann

Ich gehe manchmal mit dem Hund nachts in den Stadtpark. Ich will dort nicht auf eine Bürgerwehr treffen – die kiffenden Jugendlichen sind mir tausendmal lieber. Ich will auch nicht, dass junge Männer, die „nordafrikanisch aussehen“, abends Angst haben und lieber zu Hause (oder im Flüchtlingsheim) bleiben, weil sie unter Generalverdacht stehen. Und auch die lautstark streitenden Punks in der Fußgängerzone vertraue ich viel, viel lieber den geschulten Beamten von Polizei und Ordnungsamt an, als Rentnern, die durch Zeitung und Fernsehen entgegen aller Polizeistatistiken überall Sodom und Gomorra wittern.

Ich habe kein Vertrauen in den gesunden Menschenverstand der Massen. Wenn ich beim Spazierengehen mit dem Hund in Gespräche mit Nachbarn gerate, wird mir in 9 von 10 Fällen schlecht, so brutal und dumm sind die Meinungsäußerungen über Fremde, die nicht zur „Wir-Gruppe“ gehören. Gebt diesen Menschen Macht in die Hand, und sie werden dieses Land umkrempeln, aber gründlich.

Was ich mir wünsche

Ich wünsche mir Profis und Pragmatiker an den Spitzen der Macht. Keine Ideologen, keine religiös Motivierten, keine Führer-Charismatiker und keine „Ich tu alles, was die Wähler wollen, wenn ich nur gewählt werde“ Opportunisten. Ich wünsche mir ein gesundes Miteinander von Legislative, Exekutive und Judikative. Ich wünsche mir eine geregelte Gewaltenteilung – und dazu wünsche ich mir eine Presse, die nicht jedem Massen-Kick hinterherrennt, um Traffic zu generieren, sondern Journalisten, die professionell ihren Beruf als „vierte Macht im Staate“ ausüben: nüchtern, unbestechlich, investigativ.

Bitte lasst nicht zu, dass es Bürgerwehren gibt in einem Land, das mit Blockwarten und besorgten Bürgern innerhalb kürzester Zeit ein unberechenbares Regime aus Gewalt und Angst errichtet hat. Bitte, liebe Polizei, wehret den Anfängen und schickt die besorgten Bürger konsequent nach Hause – auch wenn sie kein Pfefferspray mit sich führen und auch wenn sie noch keine T-Shirts haben drucken lassen mit ihrem Vereins-Namen. Lasst die Bürgerwehr-Facebook-Gruppen sperren und die Versammlungen auflösen. Seid eindeutig und kompromisslos. Es geht so verdammt schnell, dass der Funken zum Flächenbrand wird, und dann ist es womöglich zu spät…

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Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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