Sich bei Facebook unterhalten? Missionieren? Profilieren? Oder besser mal gar nichts posten?

Ich persönlich erlebe um Weihnachten herum immer meinen emotionalen Supergau. Liebe, Melancholie, Kerzenlicht, Feuerwerk und Mitgefühl lassen mein Herz überschwappen – und das lasse ich auch meine armen Facebook-Freunde spüren. Bis mich dann endlich wieder Anfang des Jahres der Alltag einholt, kann ich mich kaum zurückhalten mit „weltverbessernden Posts“ voller Moral und gut gemeinten Ermahnungen. Doch heute schaute mir mein Sohn zufällig über die Schulter und meinte „Boah, ich glaube, Dir würde ich sofort entfolgen, das ist ja furchtbar! Du bist ja schon so schlimm wie die Veganer! Diese ganzen Missionare in den sozialen Netzwerken sind unerträglich“. „Ja, was soll ich denn sonst posten?“ fragte ich kleinlaut. „Vielleicht einfach mal gar nichts?“

Genug Stoff, um mich mal ernsthaft damit auseinanderzusetzen, was Facebook eigentlich für einen Sinn hat und was ich zukünftig eventuell ändern will. Beginnen wir doch mal damit, warum ich überhaupt jeden Tag mindestens einmal meinen Newsfeed durchscrolle: Was erwarte ich an News von Facebook und welche Freunde sind mir am liebsten?

Was liebe ich meinem Facebook-Newsstream

schneemaenner

Ich kann aber auch Nettes bei Facebook: Hier selbst geknipste Schneemänner am 2. Januar 2017 – Frohes neues Jahr!

Ich habe verschiedene Medien abonniert, die ich gern lese, um mich zusätzlich zu den mir vertrauten Leitmedien (Zeit, Süddeutsche, FAZ, Welt) über politische Hintergründe zu informieren. Telepolis ist da bei Facebook meine erste Wahl, aber auch „Der Freitag“ schätze ich sehr. Auch bei meinen Facebook-Freunden liebe ich es am meisten, wenn diese Videos, Bilder oder Links zu politischen Themen weitergeben – natürlich alles, was dem Nationalistischen und Rassistischen in unserer Gesellschaft Deutliches entgegensetzt und sich für Frieden, Gleichberechtigung der Menschen und Toleranz einsetzt.

Auch lese ich zwischendurch gern Posts von Freunden, die aufrichtig ihr Leben mit den Freunden teilen und sich nicht davor scheuen, auch Trauriges und sehr Persönliches zu zeigen. Ich glaube, dass diese Offenheit und dieses Vertrauen Mut machen und den Menschen zeigen, dass Jeder Schweres erlebt – sowie auch Glücklichmachendes. Ich bewundere meine Facebook-Freunde, die ihre innersten Gedanken mit der Community teilen und dadurch andere trösten und aufbauen.

Nicht so ganz spannend finde ich die Posts der Freunde, bei denen Urlaubsfotos, Essensfotos und Tiervideos im Mittelpunkt stehen. Vor Allem die vielen emotionalen Tiervideos scrolle ich sehr schnell durch, weil sie mir (als sauertöpfischer  „Missionar“) immer vorkommen wie infantile Ablenkungen vom Unrecht der Welt. Frei nach Brecht: „Was sind das für Zeiten, in denen ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt“. So als würden wir uns lustige, sich bewegende Bilderbücher angucken, weil wir „erwachsene Kost“ zu anstrengend finden. Immer auf der Suche nach dem schnellen Rührseligkeits-Kick? Das erinnert mich an die Klatsch-Presse und an Kitschfilme, das ist mir eher peinlich.

Gehe ich meinen Freunden auf die Nerven?

Ich denke schon, dass ich einigen meiner Facebook-Freunde auf die Nerven gehe mit meinen „Pamphleten“, die sicher auch immer wieder polarisieren können und bei denen ich sicher auch immer mal Irrtümer eingehe. Die Alternative wäre, tatsächlich bei Facebook den Mund zu halten und mich nur noch auf den Echtzeit-News-Generator Twitter zu konzentrieren. Doch bin ich dazu bereit? Was will ich eigentlich von Facebook?

Tatsächlich glaube ich, dass eine gesellschaftliche Debatte gerade heute sehr wichtig ist. Ich fände es ganz furchtbar, wenn wir aufhören würden, unsere Überzeugungen zu teilen und darüber zu diskutieren, ob unsere Politik verbesserungswürdig ist. Das, was wir früher im Familien- und Freundeskreis leidenschaftlich getan haben (und wo am Besten keiner ein Diktiergerät mitlaufen ließ 😉 ) hat sich ein ganzes Stück ins Internet verlagert – und das ist meiner Meinung nach auch gut so.

Drei Argumente für die politische Diskussion bei Facebook

Erstens ist es bei Facebook auf Dauer unklug, sich so primitiv hängen zu lassen wie beim Familientreffen: „Die sollte man doch alle aufhängen“ wurde sicher nicht nur einmal geäußert bei unseren Feiern, wenn es um Politiker ging. Bei Facebook gibt es zwar auch diese unreflektierten Hater, doch so langsam spüren immer mehr Menschen, dass sie mit ihren Kommentaren auch bei der Nutzung von Fake-Accounts entlarvt werden können – hinterher steht noch Renate Künast vor der Tür und klingelt… Ich glaube, die öffentliche Diskussion erzieht uns nach und nach zu einem bewussteren Umgang mit Politik.

Zweitens kann es nicht sein, dass die Friedensliebenden und Menschenrespektierenden das soziale Netz den Nationalisten und Rassisten überlassen. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich Facebook-Videos aus den USA zu politisch brisanten Themen wie dem Krieg im Nahen Osten lese: Dort finde ich viel weniger Kommentare von primitiven Rechten oder Menschen, die bei Kritik sofort unterstellen, man sei „Verschwörungstheoretiker“ – anscheinend ist der Umgang der US-Bürger miteinander  sanfter und freundlicher. Kein Wunder, dass das gewünschte Verbot von „Hass-Kommentaren“ aus Deutschland kommt – vielleicht ist ja hier das weltweite Nest der Niederbrüller und Besserwisser? Zumindest finde ich es gut, dass man bei Facebook die Mentalitäten vergleichen kann, weil man überall Zugang hat und mitdiskutieren kann.

Und drittens empfinde ich diese politische Diskussion in den sozialen Netzwerken ein bisschen wie eine Dauer-Petition des Volkes. Heute schrieb ein lieber Facebook-Freund: „Natürlich gibt es bei uns genau so viele engagierte Friedensengagierte wie in den USA – wir nutzen nur weniger die sozialen Netzwerke“. Vielleicht hat er recht, vielleicht ist bei uns noch diese Spaltung stabil zwischen den „Prekären“, deren niedrige Fallhöhe die Hemmschwelle senkt, und den „Bildungsbürgern“, die sich vor der Öffentlichkeit und der Meinung der Anderen fürchten. Vielleicht braucht es noch einige Zeit, bis der Mut wächst, sich für seine Werte und seine Zukunftsvisionen von einer friedlichen, emanzipierten und erfüllenden Welt einzusetzen.

Missionare auf Facebook – unerträglich!

OK, ich gebe es zu, ich bin nun mal so. Ich gehe nicht auf Demonstrationen gegen Ramstein und die Beteiligung Deutschlands an Angriffskriegen, und ich schreibe auch keine langen E-Mail-Leserbriefe in der Süddeutschen. Ich sorge mich um den Frieden und ich habe ein verdammt schlechtes Gewissen wegen der ausufernden Konflikte um Öl, Rohstoffe und Zinserträge, die auf dem Rücken der Ärmsten und Hilflosesten ausgetragen werden.

Ich wünsche mir eine rundfunkgebührenfinanzierte Medienwelt, in der viele verschiedene Intellektuelle und Wissenschaftler zu Wort kommen – so wie in meiner Jugend, als der WDR noch der „Rotfunk“ war. Ich wünsche mir anspruchsvolle Hintergrund-Reportagen zu Wirtschaft, Rüstung, Politik, und nicht nur diese langweiligen Polit-Talkshows, die so gut wie keinen Mehrwert bringen, weil sie nur an der Oberfläche des Populismus kratzen. Ich will bei ARD und ZDF kein Rosamunde Pilchner-Programm – ich will Schulfunk von unabhängigen, investigativen Journalisten, die in Ruhe und ohne Druck von außen das aussprechen können, was Keiner hören soll – und was gut recherchiert und beweisbar ist.

Drum möge man mir verzeihen, wenn ich so weitermache wie bisher. Ja, es ist mir peinlich und ich höre direkt die vielen geduldigen Freunde stöhnen, wenn Eva wieder mal mit ihren Videos, Links und Bildern kommt. Aber ich glaube, dass wir wirklich etwas bewegen können, wenn wir uns äußern und dem etwas entgegensetzen können, was Deutschland so aussehen lässt, als wären wir ein Volk von Primitiven und Verkitschten und Selbstdarstellern und AfD-Wählern! Missionare auf Facebook – unerträglich. Ich verstehe, ich versuche, mich zu bessern, – aber wahrscheinlich bleibe ich denn doch, wie ich bin 🙁
Wenn trotz Alledem noch Jemand Lust hat auf Eva bei Facebook: Hier bin ich!

Hier ein ganz junges Beispiel: Ein US-Ex-Soldat klagt die Kriegspolitik an – und das Facebook-Video mit 1,8 Millionen Aufrufen und mehr als 2.300 Kommentaren geht um die Welt. Mal ehrlich, lohnt es sich nicht, das zu unterstützen? Und es lohnt sich übrigens auch, die Kommentare zu lesen – ganz andere Tonalität als bei uns in Deutschland. Ich glaube, wir haben noch viel zu lernen…

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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