Social Media Strategie: Schluss mit den „Eitelkeitsdaten“ wie Likes, Shares, Kommentare

Seit ich Social Media Marketing unterrichte (seit rund zehn Jahren), sind Kennzahlen bzw. KPIs (Key Performance Indikatoren) in jedem Lehrgang und bei jedem Coaching ein zentrales Thema. Wie kann man Erfolge berechnen? Was kann eine Organisation tun, um sich anhand von Social Media Engagement ständig weiterzuentwickeln in Bezug auf die spezifischen unternehmensrelevanten Ziele?

Während früher Erfolge gemessen wurden, indem man Reichweite und Interaktionen

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

abzählte (wie viele Follower, Freunde, Kontakte – wie viele Likes, Shares, Kommentare) ist man heute sehr viel weiter. Die typischen Eitelkeitsdaten interessieren immer weniger Vorgesetzte. Was zwischenzeitlich begriffen wurde: Die Qualität der Beziehungspflege entscheidet! Social Media Kommunikation beruht auf Wertschätzung und Dialogbereitschaft. Ich zeige mal, was sich in den letzten zehn Jahren entwickelt hat aus meiner Erfahrung:

Phase 1: Xing und Twitter
Als Social Media auch in Deutschland zum Marketing-Begriff wurde (so um 2008) gab es hier vor Allem Xing und Twitter. Facebook wurde ebenfalls 2008 für den deutschen Kulturraum verfügbar gemacht – galt jedoch in der ersten Zeit als soziales Netzwerk für Jugendliche und Studenten – in Konkurrenz zu MySpace und StudiVZ.

Bei Twitter vernetzten sich die Architekten der Web 2.0-Community – der digitalen Graswurzel- Bewegung. Von dort aus starteten viele Anwendungen und Projekte, die das Netz weiter brachten. Hier wurden BarCamps diskutiert und verbreitet, hier lernte man sich persönlich kennen über Hashtags und Meetings.

Bei Xing baute man berufliche und geschäftliche Netzwerke auf. Damals waren viele aktive Xing-Nutzer selbstständig. Xing stand in engem Zusammenhang mit der Existenzgründer-Bewegung, die über staatliche Fördermittel auflebte. Man organisierte sich in Xing-Gruppen, traf sich zu Xing-Events und nutze die vielseitigen Möglichkeiten, zu kooperieren und am Markt erfolgreich zu sein.

Phase 2: Facebook und die Gewinnspiel-Hysterie
Die ersten Unternehmen wie die Telekom oder die IngDiBa entdeckten auch in Deutschland schon sehr früh Facebook als Marketinginstrument. Damals waren Fanpages so aufgebaut wie private Facebook-Profile. Wie heute in Facebook-Gruppen konnten damals alle Fans direkt in den Newsstream posten. Das führte zu vielen Shitstorms – aber auch zu einem lebendigen Beziehungs-Austausch, der das lebte, was wir uns heute wünschen: Unternehmen zum Erleben und Mitgestalten.

Alle wollten Fans anlocken und es war in den ersten Jahren nach 2008 sehr beliebt, Facebook-Gewinnspiele für den Fanaufbau zu nutzen. Doch das böse Erwachen kam rasch hinterher. Was nützen Fans, die nur wegen des attraktiven Gewinns zum Fan werden? Riesige Fanpages hatten zu 90 Prozent Fans, die sich überhaupt nicht für das Unternehmen interessierten – und dementsprechend inaktiv waren. Das führte zu einem dramatischen Abrutschen der Sichtbarkeit. Facebook-Gewinnspiele werden heute fast nur noch so konzipiert, dass sie keine „Gewinn-Abgreifer“ anlocken. Denn die können mit ihrer Passivität ganze Facebook-Communities zerstören.

Phase 3: Von der Masse zum Engagement
Nachdem in Phase 2 alle Unternehmen auf „Masse“ geeicht waren und die armen Social Media Manager die verrücktesten Strategien anwenden mussten, um die Fanzahlen bei Facebook-Seiten künstlich in die Höhe zu treiben, kam die Phase des Engagements als Kennzahl. 

Plötzlich wollten alle Unternehmen einen möglichst hohen Prozentanteil an Likes, Kommentaren, geteiten Posts. Das war die Zeit des „Cat-Contents“ und des „Clickbaits“. Mit Cat-Content bezeichnet man Inhalte, die zum Liken, Teilen, Kommentieren verführen. Katzen und andere niedliche Tiere sind da besonders gefragt, aber auch Umfragen, polarisierende Themen, Empörendes und Faszinierendes kann zu vielen Reaktionen der Fans führen (wenn man Glück hat).

Clickbait bezeichnet die Strategie, über sensationsgeladene Überschriften die Fans dazu zu bekommen, auf einen Link im Post zu klicken. „12 Jahre lang waren sie glücklich verheiratet. Dass sie ihn auf so brutale Weise verlassen würde hatte niemand geahnt“. Man angelt über immer ähnlich aufgebaute Headlines Traffic. Fans klicken aus Neugier auf einen Beitrag – und sind dann oft genug enttäuscht, weil der Artikel nicht hält, was die phantasieanregende Überschrift versprach.

Phase 4: Die große Enttäuschung
In der nächsten Social Media Phase kam dann die große Enttäuschung. Egal, ob man massenweise Fans einkaufte für ein paar Dollar, oder ob man über geschickten Content die Engagementrate hochtrieb – die gewinnorientierten Ziele eines Unternehmens wurden häufig nicht einmal minimal beeinflusst.

Während kleine Unternehmen häufig durch ihre Social Media Aktivitäten neue Kunden gewannen und Bestandskunden zu Empfehlern machten, fragten sich vor Allem die großen Consumer-Brands, was das Ganze eigentlich soll. TV-Werbung und Plakatwerbung lässt sich messen – Social Media enttäuscht bei den Absatzzahlen. Ohne Anzeigenschaltung bei Facebook waren die meisten Fanpages auch kaum noch sichtbar bei den Fans. Die Ent-Täuschung konnte wirken.

Phase 5: Ein bunter Garten voller Blumen
Heute leben wir in einer Zeit der verschiedensten Social Networks. Facebook hat sich zum etablierten Standard entwickelt, Instagram hat den Berufsstand der Influencer hervorgebracht und wird zur visuellen virtuellen Shopping-Mall. Snapchat und TikTok zeigen die nähere Zukunft – WhatsApp als „Dark Social“ Kanal übernimmt die Führung bei der persönlichen Kommunikation.

Endlich sind auch große Unternehmen so weit, dass sie strategisch ihre gewinnorientierten Ziele mit der Bedeutung von effizienten Social Media Strategien verbinden können. Schluss mit den Eitelkeitsdaten wie Likes, Shares, Comments – hin zu einer intelligenten Nutzung der sozialen Netzwerke, um echte Beziehungen aufzubauen zu Stakeholdern, Meinungsführern und Super-Fans, die die eigene Marke mit ihrer Begeisterung wie eine Fackel tragen.

Echtzeit-Kundensupport, Community-Produktentwicklung, Marktforschung, Firmentransparenz und die emotionale Bindung zur Marke (Love-Brand) sind wahre Kennzahlen, die wirklich nicht ersetzt werden können durch Werbebotschaften und Cat-Content.

Der Beruf des Social Media Managers wird anspruchsvoller und wertiger. Echte Strategen, die mit Marketing-Feeling an die Sache herangehen und zwangsläufig auch die ganze Unternehmenskultur beeinflussen, werden zu einem wichtigen Teil der agilen Unternehmenspolitik. Statt Eitelkeitserfolge rücken Ziele wie Produktverkauf, Review-Marketing (Empfehlungsmarketing), Personalentwicklung, Love-Brand-Politik und Kundenservice in den Mittelpunkt. Der Verbraucher will echten Mehrwert – Unterhaltung hat er überall genug.

Leseempfehlung im HORIZONT: Forrester und sein Report: Unternehmen brauchen keine isolierte Social Media Strategie (erst registrieren – dann sind alle gesperrten Beiträge im HORIZONT frei lesbar. Lohnt sich!)

 

 

 

 

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert