Wikipedia im Richtungsstreit: „Masse oder Klasse?“ Nutzer, Autoren und Administratoren in der Diskussion

Wikipedia ist eine der am meist besuchten Internetplattformen der Welt. Die Online-Enzyklopädie beruht darauf, dass jeder sich leicht als Autor registrieren kann, eigene Beiträge verfassen, andere erweitern, korrigieren, ergänzen – und das alles unentgeltlich für das Gemeinschaftswohl. Seit 2003 wächst Wikipedia immer weiter, und damit wachsen auch die Probleme: „Masse oder Klasse“ lautet zurzeit eine heftige Auseinandersetzung beim deutschen Wikipedia: Nutzer, Autoren und ehrenamtliche Administratoren driften in zwei Lager, die schwer zu versöhnen scheinen.

Ausschlaggebend für die aktuelle Diskussion war ein Beitrag zu einem Verein, der am 30. September 2009 bei Wikipedia eingestellt wurde. Nicht nur, dass der Vorsitzende des MOGis-Verein „Missbrauch von Internetsperren“ auch gleichzeitig Autor des Eintrags war, was als unschön gilt, der „Verein“ war auch rechtlich gesehen gar kein eingetragender Verein. Es entstand im Administratorenteam von Wikipedia eine Diskussion, ob dieser Beitrag geblockt werden sollte oder nicht.

Da das Vereins-Thema „Internetsperren“ zu dieser Zeit öffentlich breit diskutiert wurde, fanden sich auch in anderen Wikipedia-Artikeln Verweise auf den MOGis-Verein. Nachdem die Administratoren länger darüber online diskutiert hatten, löschten sie sowohl den Artikel selbst als auch die Verweise – und das führte zu einem Massenaufstand von Nutzern und der deutschlandweiten Blogger-Gemeinde.

Wie funktioniert Wikipedia?

Um die Qualität des Online-Lexikons zu gewährleisten, gibt es in jedem Land ehrenamtliche Administratoren, die über die Einträge wachen. Um Adminstrator zu werden, muss man sich hierarchisch hocharbeiten. Zuerst registriert man sich als „angemeldeter Nutzer“, nach Freischaltung wird man „bestätigter Nutzer“. Frühestens zwei Monate und 200 Artikelbearbeitungen später wird man, wenn man möchte, „stimmberechtigter Nutzer“. Als „Sichter“ kann man nun Artikel durchsehen und auf Vandalismus hin prüfen.

Hat man daran Interesse, kann man sich als „Sichter“ von anderen stimmberechtigten Nuterzn zum Administrator wählen lassen. Nur diese gewählten Administratoren können Artikel löschen oder störende Benutzer bzw. IP-Adressen sperren. Und auch dies nicht allein, sondern nach einer online geführten Löschdiskussion mit anderen Administratoren. Hier wird abgestimmt: „löschen“ oder „behalten“. In Deutschland gibt es zurzeit etwa 300 Administratoren, die jeden einzelnen Beitrag und jede Änderung überwachen.

Durch die Eskalation rund um den MOGis-Verein werden die Fronten zwischen den freilassenden „Inklusionisten“ unter den Administratoren und den „Exklusionisten“ härter. Die Inklusionisten wollen so wenig wie möglich eingreifen, sie argumentieren, dass die Zugriffe auf die Beiträge das Problem von selbst lösen: irrelevante Beiträge werden eben weder gelesen noch bearbeitet.

Die Exklusionisten hingegen legen Wert darauf, dass Wikipedia vom Qualitätsanspruch her mit anderen Enzyklopädien mithalten kann. Sie argumentiern nach dem Grundatz: „Klasse statt Masse“. Außerdem geben sie zu bedenken, dass ein unkontrolliertes Einstellen von Artikeln durch jedermann unweigerlich zu rechtlichen Konsequenzen führt: schon häufiger hatte Wikipedia Ärger wegen Urheber-oder Persönlichkeitsrechtsverletzungen.

International sind die Wikipedia-Richtlinien ganz unterschiedlich. Das englischsprachige Wikipedia ist ausgesprochen inklusionistisch – dort erlaubt man auch Kurzartikel, so genannte „Stubs“. Im deutschsprachigen Wikipedia sind die Kriterien für „Relevanz“, die für die Löschung oder Veröffentlichung eines Beitrags ausschlaggebend sind, sehr unterschiedlich. Für „Messen“ heißt es nur lapidar: “Prinzipiell sind Messen relevant, die allgemein als führend gelten“. Zum Thema Busunternehmen hingegen gilt die bürokratische Weisung für relevante Artikel:

„Relevant sind Busunternehmen und Verkehrsbetriebe, wenn sie im Auftrag einer Stadt, eines Landkreises, des Bundeslandes oder des Staates ÖPNV mit eigener Liniengenehmigung (in D §42 PBefG), Konzession und/oder Verkehrsvertrag betreiben oder mindestens 3 nationale Fernbuslinien mit eigener Liniengenehmigung (in D §42 PBefG) betreiben oder in besonderem Zusammenhang mit einem Ort stehen, z. B. besondere historische Leistungen erfüllt haben oder jährlich mindestens 1 Million Fahrkilometer leisten oder 50 000 Fahrgäste befördern oder Verkehrsverbünde sind, denen relevante Unternehmen angehören oder die Unternehmen beauftragen.“

Die Relevanz-Diskussion wird auf breiter Ebene geführt. Es ist durchaus denkbar, dass aus den vielen kreativen Lösungsvorschlägen ein neuer Impuls ins Leben gerufen wird, der der Wissens-Plattform frisches Blut gibt. So könnte neben jedem Beitrag ein Zeitstrahl erscheinen, der dem Leser die Relevanz durch Statistiken veranschaulicht. Zumindest ist zu hoffen, dass die Administratoren, die viel Zeit und Verantwortung in ihr Hobby stecken, nicht durch massenhafte Schelte entnervt aufgeben und dadurch das Projekt gefährdet wird. Auch wenn ein „Gegeneinander“ kurzfristig attraktiver für den Hormonspiegel ist, ein „Miteinander“ kann langfristig durchaus auch erfüllend sein.

Quelle: FAZ

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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