Das Mediengericht: Konstruktive Nachrichten

Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten? Ein anderer Ansatz kommt in Medienkreisen unter dem Schlagwort „Constructive Journalism“ in Mode: Beiträge präsentieren, die Hoffnung machen – oder sogar Lösungen vorschlagen.

dasmediengerichtMal plakativ angenommen, in Ihrer Stadt ist zwar kein Sack Reis umgefallen, aber unerwartet ein Baum, tausende andere Bäume aber nicht. Worüber berichtet nun Ihre Lokalzeitung? Natürlich über den Umfaller, nicht über die Standfesten. Warum? Weil Journalisten im Alltag nach Unregelmäßigkeiten suchen. Das Ungewöhnliche erscheint grundsätzlich berichtenswerter als das Gewöhnliche, die Ausnahme interessanter als die Regel. Schon allein aus Platzgründen wird sich Ihre Lokalzeitung daher im Zweifel dem gefallenen Baum widmen, statt in einer dicken Sonderbeilage alle noch stehenden Bäume vorzustellen. So weit, so nachvollziehbar.

Leider haben es diese Ausnahmen von der Regel häufig an sich, dass sie negativ sind. Vermutlich könnten Sie in der Zeitung lesen, was den Baum so plötzlich zum Fallen brachte (Unwetter? Sabotage?) und welchen Schaden er anrichtete (Autotrümmer? Verletzte?). Und es könnte sein, dass Sie sich anschließend nur noch mit Unbehagen den Bäumen in Ihrer Stadt nähern, zumindest aber mit einem skeptischen Blick nach oben.

Und das war lediglich die Lokalebene. Auf nationaler und internationaler Bühne geht es um weitaus mehr als um Bäume: Kreditkämpfe, Katastrophen, Kriege – da hilft auch kein skeptischer Blick mehr nach oben.

Ulrik Haagerup, Chefredakteur des Dänischen Rundfunks, hat sich Gedanken über die „bad news“ gemacht und ein Buch veröffentlicht, dass bei Medienmachern auch hierzulande auf Interesse stößt. Unter dem Titel „Constructive News“ kritisiert Haagerup das Nachrichtenverständnis von Journalisten, die sich bevorzugt auf das Schlechte dieser Welt stürzen und mit ihrer Berichterstattung darüber ihre Mitmenschen emotional belasten.

Jetzt könnte man auf die Idee kommen, Haagerup vorzuwerfen, dass er für eine rosarote Brille plädiere. Doch der Mann fordert keineswegs, künftig nur noch über positive Sachverhalte zu berichten, was ja eine unzulässige Verzerrung der Wirklichkeit ins andere Extrem wäre. Nein, er schlägt schlichtweg vor, das Positive stärker zu berücksichtigen und mit dem Negativen anders umzugehen: nicht beschönigend, aber „konstruktiv“, also lösungsorientiert.

Dazwischen liegt allerdings ein schmaler Grat: Denn wer möchte schon gerne vor einem Haar in der Suppe gewarnt und getröstet werden, dass es nicht viel mehr sind und die Suppe ansonsten sehr lecker schmeckt? „Spiegel Online“ hat das beispielsweise beim Thema „Windows 10“ ausprobiert.

Fraglich bleibt, ob Journalisten, die verstärkt als Problemlöser und Mutmacher auftreten, ihre eigentlich (mehr oder weniger neutral) informierende Rolle überdehnen. Aber lassen Sie uns den neuen Medientrend einfach mal beobachten – ganz optimistisch!

Ein Name des Volkes:
Michael Milewski

PS: Als Claus Kleber, sichtlich ergriffen, kürzlich im „heute-journal“ des ZDF von einem Busfahrer erzählte, der Flüchtlinge herzlich begrüßt hatte, war auch an dieser Stelle etwas von „Constructive Journalism“ zu spüren.

Das Mediengericht ist eine mehrgängig delikate, bisweilen beklagenswerte Angelegenheit: Manchen schmeckt nicht, was sie vorgesetzt bekommen, andere kochen sich sogar ihr eigenes Süppchen. Michael Milewski serviert Ihnen in seiner Kolumne anregende Kostproben aus der Medienküche, würzt kritisch nach – und lädt Sie genüsslich ein, beim Konsumieren unbefangen auch über den medialen Tellerrand hinauszuschauen.

Michael MilewskiKontakt zum Autor unserer Kolumne:
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