WeChat: Ist Social Media für viele Chinesen wie eine „Familienfeier in verlegener Atmosphäre“?

China ist im Bereich Social Media Kommunikation viel weiter als wir im Westen. Das liegt nicht nur an der schlecht ausgebauten Infrastruktur in den ländlichen Regionen, in denen das Smartphone Zentrum der Teilhabe am allgemeinen Leben bedeutet, das liegt auch daran, dass China durch den eigenen, regierungsgesteuerten Aufbau einer digitalen Kommunikationsstruktur ganz eigene Wege gegangen ist. Zentrum der digitalen Kommunikation ist die Smartphone-App WeChat – sozusagen eine Vereinigung von Facebook, WhatsApp, virtueller Bank, Buchungs- und E-Commerce-System. Für uns deutsche „Provinzler“ ist es interessant zu beobachten, wie ähnlich die Probleme hüben wie drüben sind: Abhängigkeiten, Ängste, Anpassungsdruck, Aussteigersehnsucht – kommt uns bekannt vor, nicht wahr?

Auch in China ist der Druck hoch, mit Familie, Kollegen, Freunden und anderen Menschen digital kommunizieren zu müssen. Viele Chinesen beklagen anscheinend, dass sie mehr auf ihr Handy schauen, als dass sie mit ihren Freunden oder ihrer Familie zusammen Zeit verbringen. Der chinesische Facebook-Newsstream heißt „Moments“ und verführt dazu, ständig gecheckt zu werden. Gibt es neue Posts von meinen Kontakten? Verpasse ich etwas Wichtiges? Wie viele haben wohl schon mein Bild geliked? Habe ich vergessen, ein Bild meines Freundes zu liken? Könnte ich ihn damit verärgert haben?

Moments ist, genau wie Facebook, in vieler Hinsicht ein Zeiträuber. Morgens schon vor dem Aufstehen mal eben checken, ob in der Nacht etwas Interessantes hinzugekommen ist, mindestens einmal in der Stunde nachsehen, was es an neuen Posts gibt – und an Reaktionen auf die eigenen Beiträge. Einige Freunde erwarten ja sogar, dass man ihre Beiträge weiterleitet „Wenn Du auch… teile das mit Deinen Freunden“ oder per WhatsApp „Leite diese …. an sieben Freunde weiter“.

Auch über die viele Werbung in ihrem Newsstream bei Moments beklagen sich wohl viele Chinesen. Während bei uns bei Facebook ja etwa jeder vierte, fünfte Post eine Facebook-Anzeige ist (was viele Nutzer nicht einmal erkennen können!), scheint es bei der chinesischen Variante durchaus auch mal über zehn Anzeigen hintereinander zu geben.

Bekannt ist uns auch das Problem, wenn Eltern, Kollegen oder gar Chefs eine Kontaktanfrage bei Facebook senden. In dem hier verlinkten Beitrag werden junge Nutzer zitiert mit dem WeChat-Vergleich: „wie auf einer Familienfeier in verlegener Atmosphäre“. Kennen wir auch gut nicht wahr? Familiengruppen bei WhatsApp, bei denen man ständig überlegt, wie man einen Satz formuliert und mit den passenden Emojis verziert, ohne dass man irgendjemandes Gefühle verletzen könnte.

Auch Chinesen bemängeln, dass dank der digitalen Kommunikation die Grenzen zwischen Beruf und Privat immer mehr verschwimmen. Das verstärkt die Arbeitsbelastung und setzt gehörig unter Druck.

Natürlich kann die chinesische Regierung ihre Bürger schlecht in die Nutzung der verschiedenen Dienste zwingen. Kann sein, dass tatsächlich immer mehr WeChat-User sich zurückziehen und ihre Abhängigkeit von Social Media besiegen. Dem Bericht nach sollen über 35 Prozent der User vorhaben, aus „Moments“ auszusteigen.

Ob wir wirklich alle müde werden von dem ewigen Handy-Gebimmel, den Push-Nachrichten und den überall aufdringlich winkenden Aufmerksamkeitsheischern? Schätze, Marc Zuckerberg und seine Mitbewerber grübeln ständig daran herum, wie sie das vermeiden können. Denn ist es einmal passiert, lässt sich die Aversion womöglich kaum noch wieder drehen. Dann sind sie weg, einfach weg.

Radio China International (CRI) Deutschland: Immer mehr Chinesen suchen die Flucht aus dem „Moments“-Wahn

Bildquelle: pixabay_unsplash

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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