Willkommen in den umzäunten Gärten: Bye, bye, RSS?

Zunächst öffnet man den Google Reader im eigenen Account

Stellen Sie sich vor, es gäbe eine Technik, mit der Sie die Webseiten, die Sie täglich besuchen möchten auf einen Schlag und auf einen Blick vor sich sehen könnten. Sie könnten dann mit einem Programm bequem alle Webseiten zu bestimmten Themen in Ordner versammeln, hätten alles total super organisiert und das Beste: Immer, wenn es neue Inhalte von den Webseiten gäbe, dann würden die automatisch in diesem Reader-Programm erneuert! Und noch besser: Sie könnten die Links für später abspeichern, in die Sozialen Netzwerke verteilen, per Mail verschicken. Das wäre doch wunderbar! Ach, das gibts schon? Nein, nicht schon: Noch.

RSS stirbt aus

Immer mehr Webseiten, die neu programmiert und online gestellt wurden, scheinen die gute alte Technik des RSS zu vergessen. Es gibt einfach keine Möglichkeiten mehr, Inhalte von Webseiten per RSS zu abonnieren. Wenn Sie jetzt erstmal nachschlagen müssen, was RSS ist – dann liegt das vermutlich auch daran. Dabei ist die Really Simple Syndication – wobei das nur eine mögliche Langform für die Abkürzung ist, aber die Wirklich Einfache Syndizierung passt als Begriff noch am Besten – das Schweizermesser des Internets. Nicht nur Links zu Artikeln kann man mit RSS versenden, ohne RSS wären Podcasts nichts Weiter als On-Demand-Angebote, die man mühsam immer auf den einzelnen Webseiten suchen und anklicken müsste, damit man die auf die Festplatte herunterladen kann. Der RSS-Feed ist glücklicherweise sehr flexibel.

Doch RSS ist auf dem Rückzug. Nicht erst seitdem Yahoo den Dienst Pipes eingestellt hat – den ich immer noch schmerzlich vermisse, es gibt zwar Ersatz dafür, aber nicht so guten – und seitdem Twitter und Facebook die RSS-Feeds bei sich selbst gekappt haben. Früher konnte man seine Tweets und die von Anderen einfach in den Feedreader werfen, heute darf man die Accounts, denen man nicht folgen möchte aber die einen interessieren in Listen bei Twitter einsortieren. Früher war es kein Problem, Inhalte von Fanpages in Webseiten einzubauen, auch ohne die Widgets und Dienste von Facebook selbst. Jede Fanpage hatte einen RSS-Feed oder zumindest konnte man sich mit anderen Werkzeugen einen erstellen lassen und fertig war die perfekte Übersicht – ohne dass man die Fanpage direkt abonnieren hätte müssen. Oder das persönliche Profil des Bekannten, sofern das öffentlich war.

Und neuerdings wird bei Webseiten, die überarbeitet werden, offenbar gar nicht mehr unbedingt daran gedacht, das RSS-Format zu nutzen. Oder man kappt das bei Seiten, die vor Zeiten einst einen Feed besaßen. Offenbar ist man der Ansicht, dass man dieses Format nicht mehr brauche. Denn Menschen informieren sich heute bei Facebook, Instagram, Twitter und Co. Eventuell abonnieren die noch den Newsletter. Und wer sich dort informiert, bekommt immer die neuesten Informationen. Sofern die Algorithmen bei Facebook es zulassen. Und sofern man dort angemeldet ist. Das gilt in geringerem Maße auch für Twitter, wobei hier wohl noch keine Algorithmen direkt am Werk sind – aber es heißt ja immer wieder mal, Twitter plane auch die chronologische Timeline umzustoßen und Instagram hats ja längst schon getan. (Snapchat ist da außen vor, aber bei Snapchat verweilen die Inhalte ja auch nicht für länger auf den Smartphones der User. Ob Snapchat die dann nicht doch auf den Servern vorhält, das wissen wir nicht. Möglich ist es.)

Offene Wiese versus verschlossenem Garten

So schwer das Format RSS an sich auch zu verstehen ist – jedenfalls, wenn man mal aus Versehen auf eine Seite klickt und dann nur den generierten Code für den Feed sieht – so einfach ist eigentlich das Abonnieren. Vorbei die Zeiten als Internetbrowser noch keine eigenen Lösungen dafür boten sondern als man noch Programme wie Bloglines oder den Google-Reader dafür nutzte. Und das musste man damals auch, wenn man einen Überblick über die Blogs haben wollte – deren Software setzt bis heute ja RSS-Feeds ab. Also WordPress, Drupal, PHPNuke, Joomla – diese Systeme generieren von sich aus einen RSS-Feed. Früher musste man den zeitweise auch noch selber erstellen, aber früher gabs auch noch keine Trackbacks – wobei, die sind ja auch mittlerweile von den Pingbacks abgelöst. (Recherchiert bitte den Unterschied selbst, das würde jetzt wirklich zu weit führen. Danke.)

Dabei ist RSS nicht nur ein Format. RSS steht auch für eine bestimmte Einstellung. Eine, die eng mit dem Gedanken zusammenhängt, dass die Informationen im Netz frei fließen sollen. Und frei verfügbar sein sollten. Klingt heute angesichts der unzähligen „verschlossenen Gärten“, in die man nur gelangt wenn man sich anmeldet und die dann sich auch nach außen abschotten, angestaubt nostalgisch und hübsch utopisch. Wer einen RSS-Feed von seiner Seite online stellt, der weiß eigentlich, dass er damit die aktuellsten Inhalte seiner Webseite in die Weite des Netzes verschickt. Natürlich kann man dann nachsehen und messen, wie weit der RSS-Feed wirklich verbreitet wird oder wer auf ihn zugreift – Feedburner existiert tatsächlich ja immer noch und ist immer so minimalistisch im Design wie damals, als Google den Dienst aufkaufte. Heutzutage ist das irgendwie selbstverständlich geworden, dass man Inhalte einfach so verteilen kann. Aber die Revolution, die mit der Technik des RSS-Feeds aufkam und die mit einem Schlag es ermöglichte, interessante Inhalte zu sortieren und zu ordnen – die Revolution muss man wohl wirklich selbst miterlebt haben, um das Format RSS zu lieben und zu schätzen. Wenn Twitter und Facebook „geschlossene Gärten“ sind, dann ist RSS genau das Gegenteil: Eine Wiese, die für alle offen ist und die viele Blumen anbietet.

Bye, bye, RSS?

Nimmt man dann noch hinzu, dass Zeitungsverlage längst schon damit beschäftigt sind ihre Inhalte nur noch gegen Bezahlung anzubieten und das Mickrige, was noch auf den Online-Seiten kostenfrei steht ohne RSS-Feed anzubieten – dann ist es Zeit, dass wir uns Gedanken darüber machen, ob und wie RSS noch in diesen Zeiten bestehen kann. Die Vorteile für RSS liegen auf der Hand: Nur durch den eignen Verstand und die eigene Neigung vorsortiert bekommt man sämtliche Inhalte einer Quelle auf einen Blick. Dadurch entkommt man zwar leider nicht der Filterblase – die allerdings kein neues Phänomen ist, früher gabs auch nur die Lokalzeitung vor Ort, bestenfalls mal zwei, die für eine analoge Filterblase sorgte – aber man kann die Informationen, die man haben möchte besser steuern. Und man bekommt wirklich alle Informationen. Kein Algorithmus, der die sortiert, nein, chronologisch immer aktuell rollen die Nachrichten in den Feed-Reader und man kann sie für später abspeichern – und besser wiederfinden als bei Facebook oder Twitter. Und: Dienste wie IFTTT wären ohne RSS teilweise gar nicht denkbar. Viele der sogenannten Rezepte nutzen RSS-Feeds als Ausgangspunkt für Aktionen, die einem das Leben leichter machen.

Allerdings: Mit jeder neuen Webseite, die neu ins Netz gestellt wird und die nicht mit WordPress oder ähnlichen Systemen erstellt wird verringert sich der Vorrat von RSS-Feeds. Teilweise ist auch den Machern auch nicht mehr einsichtig, warum man die Technologie nutzen sollte. Und RSS ist auch nie einfach zu erklären gewsesen – man muss schon mal einen Feed abonniert haben um zu verstehen, was die Technik bringt. Da auch immer mehr Menschen bei Twitter oder Facebook sind und dort als Erstes die Nachrichten des Tages – oder des Tages davor, oder davor, je nachdem – ist das Wissen um RSS im Schwinden begriffen. Das wäre durchaus schade, denn eigentlich ist das Internet nicht für „verschlossene Gärten“ gedacht sondern um das Wissen miteinander zu teilen. Und die Informationen. Immerhin: Beim RSS-Reader ist die Gefahr für Fakenews nicht ganz so groß – außer man abonniert natürlich Breitbart, aber wenn man das tut ist man eh schon längst wieder in einer sehr eigenen Filterblase…

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