In der Arte-Mediathek und bei YouTube (unten eingebettet) gibt es bis zum 21.06.24 eine hoch spannende Dokumentation über Frauen im Nationalsozialismus. Bisher galten Frauen, die in der Zeit von 1933 bis 1945 zu Tätern wurden (zum Beispiel als sadistische KZ-Aufseherinnen) als abnorm, unweiblich, als weibliche Kuriositäten. Die Dokumentation hingegen zeigt, wie begeistert zum Beispiel die Zwangsmitgliedschaft im Bund Deutscher Mädchen von sehr vielen Mädchen angenommen wurde – anscheinend standen sie den Jungen aus der Hitlerjugend in nichts nach.
In beispielloser Aufarbeitung wird gezeigt, was ein vorherrschendes Gesellschaftssystem mit Menschen macht. Ist es gesellschaftlich vorteilhaft, „Untermenschen“ und „Volksfeinde“ zu verachten, zu quälen, sich an ihrem Leid materiell zu bereichern und sie zu vernichten, scheinen Frauen nicht über mehr Mitgefühl und „Mütterlichkeit“ zu verfügen als Männer.
Ärzte und Krankenschwestern
Ich wusste vor dieser Dokumentation nicht, dass der größte Berufsstand in der NSDAP Ärzte waren – ich meine – Ärzte! Hat man nicht von Ärzten ein ähnlich hohes Bild wie von Müttern, die alles für ihre Kinder tun würden? Anscheinend wollten Ärzte (Ärztinnen gab es nicht viele) nicht nur aus Nächstenliebe und aufopferndem Altruismus heraus medizinisch arbeiten…
Auch bei den Krankenschwestern gab es erstaunlich viele, die die erste Massenvergasung von Menschen im Nationalsozialismus mit professioneller Überzeugung aktiv durchgeführt haben – „unwertes“ Leben wurde bis in die Gaskammern ohne nennenswerte Verweigerung der Frauen organisiert und begleitet. Pflegekräfte, die schon vor 1933 seelisch, geistig und körperlich Behinderte betreut haben, folgten erstaunlich mühelos der neuen gesellschaftlichen Doktrin. So wie Erich Fried es auf den Punkt brachte „Die Kranken werden geschlachtet – die Welt wird gesund“.
Die Maßnahmen – Gedicht von Erich Fried
Und wer bin ich?
Seit ich mich kenne, frage ich mich, wer ich gewesen wäre im Nationalsozialismus. Ich hoffte immer, ich wäre eine Widerstandskämpferin gewesen – oder wenigstens Heldin, die Juden versteckt hätte – aber ich weiß heute, dass es nicht so ist. Ich bin zwar systemkritisch und gesellschaftlicher Status bedeutet mir nichts, doch ich bin skrupellos genug, um dem Hungernden das Brot zu verweigern und die Klappe zu halten, wenn mir politische Kritik beruflich schaden könnte. Damit kann ich ruhig schlafen – ich bin mit mir versöhnt.
Das Folgen der Obrigkeit
Aber ich weiß, wie fragile jede Gesellschaft ist und wie schnell es geht, dass Völker sich in Verbrecher verwandeln – und das innerhalb weniger Jahre. Ob wegen Karriere, wegen Profit-Orientierung, wegen Lustgewinn, Freizeitvergnügen oder wegen gesellschaftlicher Anerkennung: Nur wenige Menschen sind in der Lage, sich aus Nächstenliebe dem Strom entgegenzusetzen. Und viel zu viele haben Freude daran, Hässliche, Traurige, Unwerte, Faule, Kranke und Alte ausgerottet zu wissen.
„Die Welt wird gesund und schön, wenn es nur weniger umweltzerstörende Menschen gäbe.“
So lautet das heutige Narrativ. Mal sehen, wie es umgesetzt wird – ich hoffe, nicht allzu brutal und skrupellos…
arte-Mediathek Frauen der NS-Zeit – verfügbar vom 02/04/2024 bis 21/06/2024
… und man sollte dabei auch noch auf dem Schirm haben, dass auch die Nazis 1933 eine insgesamt sehr junge Bewegung waren. Das Alter bringt doch ein paar Vorzüge mit sich, selbst wenn man ein weißer Mann ist 🙂