Von Facebook-Freunden, die andere Wertesysteme vertreten: Entfreunden? Streiten? Mund halten?

Facebook macht es uns allen nicht leicht. Während wir früher bei Familienfeiern und anderen Veranstaltungen mit heterogener Zusammensetzung  Konflikten aus dem Weg gehen konnten, indem wir uns körperlich entzogen, müssen wir bei Facebook eine aktive Entscheidung treffen bei Wertediskussionen: Ausfechten, Vermeiden oder Verbannen. Auch ich komme – da ich Smalltalk und Beliebiges bei Facebook als Zeitverschwendung betrachte, unweigerlich immer wieder in Situationen, wo ich mich entscheiden muss: Soll ich meine „Filterblase“ verkleinern und jemanden entfreunden? Soll ich mich auf eine langwierige Diskussion einlassen in der Hoffnung, zu überzeugen? Soll ich brisante Themen vermeiden oder gar Freundeslisten erstellen, um mich und Gleichgesinnte vor anderen Wertesystemen zu schützen?

Hurra, ich habe eine Entscheidung gefunden!

Bildquelle: F.J. Baldus

Gerade ist wieder so eine Diskussion entbrannt über die Frage, wie sich der Westen in Syrien verhalten soll – und gegenüber anderen autoritären Herrschern im arabischen Raum. Ich selbst bin für lange, nicht ermüdende, diplomatische Verhandlungen und lehne Gewalt ab (ja, ich habe vor kaum einem anderen Beruf so viel Respekt wie vor diplomatisch arbeitenden Politikern – was für ein harter, schwieriger Job, in Konflikten Diplomatie zu wählen statt Krieg!) andere Menschen in meiner Facebook-Freundesliste wünschen sich hartes Durchgreifen des Westens. Sie wünschen sich die entschlossene Vernichtung von Herrschern wie im Irak, in Libyen – und jetzt eben auch in Syrien die Vernichtung von Assad. Sie sind überzeugt davon, dass wir im Westen den ethischen Konzepten dieser und anderer arabisch geprägter Kulturen überlegen sind und sich daraus unser Recht auf Gewaltausübung ergibt – auch wenn es gegen Völkerrecht verstößt.

Ich habe lange überlegt, wie ich mit diesen Kommentaren umgehen soll (ich hoffe, ich habe dieses mir widersprechende Wertesystem einigermaßen neutral und richtig beschrieben – zumindest habe ich mich ehrlich bemüht). Auf der einen Seite möchte ich meine Freunde, die so denken und fühlen wie ich, vor dem Wertesystem der überzeugten Angreifer schützen; auf der anderen Seite möchte ich nicht handeln wie in Erich Frieds Gedicht „Die Maßnahmen“: Die Feinde werden geschlachtet, die Welt wird freundlich. Die Bösen werden geschlachtet, die Welt wird gut.

Würde ich mich so verhalten und die meiner Meinung nach „Gefährlichen“ aus meiner Facebook-Freundesliste werfen, würde ich genau das tun, was mich doch von ihnen unterscheiden soll! Ich will nicht schlachten, vernichten, ausstoßen – ich will einladen und Geborgenheit vermitteln. Ohne Ansehen der Person.

Ich habe keine Wahl

Dann habe ich mich erinnert an die Werte unseres christlichen Abendlandes, in dem Religion heute (leider) kaum noch eine Rolle spielt. Jesus wurde verraten von einem Freund, der sich nicht mit dem Wertesystem dieses Bewegungs-Anführers identifizieren konnte. Da hätte Jesus Judas vielleicht früher aus seiner „Filterblase“ werfen sollen, um Folter und Vernichtung aufzuschieben. Doch die junge Christengemeinde nach Jesus Tod überraschte vor Allem dadurch, dass sie trotz Alledem und Alledem NICHT dazu überging, nur wahre Gesinnungsgenossen zuzulassen. Ob reich, ob arm, ob Rassist, Ausbeuter, Krimineller, Schweinefleischesser oder Soldat (also Mörder)- jeder war willkommen und konnte die Frohe Botschaft von „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ an sich selbst überprüfen.

Genau so will ich doch sein und leben! Ohne Ansehen der Person jeden gleich lieb haben und mich freuen, weil es ihn oder sie gibt. Ob Erdogan, Assad, Trump oder Putin – alles Menschen wie Du und ich. Menschen, die ihre Kindheitstraumata mit sich rumschleppen und Menschen, die durch alle möglichen Einflüsse und Schlussfolgerungen ihre zur Verfügung stehenden Ressourcen nutzen, um die Unterdrückung und Zerstörung des Gegners zu ermöglichen. War nicht auch Paulus zunächst so ein Saulus? Und ist es nicht äußerst kaufmännisch und unchristlich, zwischen dem Mächtigen und dem Angestellten aus der Nachbarschaft zu unterscheiden?

Also werde ich meine Abgrenzungs-Facebook-Freunde, die Gegner bekämpfen wollen und von ihrer moralischen Überlegenheit überzeugt sind, weiterhin genau so in die Arme schließen wie die Freunde, die es mir so leicht machen, weil sie ähnlich denken und agieren wie ich – die Love & Peace People. Ich werde sie mit meinem Mitmenschlichkeits-Gefasel ärgern und ich werde sie sanft aber bestimmt daran erinnern, dass die drei Geistesgifte aus dem Buddhismus (Gier, Hass, Unwissenheit) dem Frieden auf Erden und dem Aufbau des Paradieses entgegenstehen. Ich werde meine Freunde, die meinem Wertesystem entsprechen, vor Beschimpfungen und Angriffen der „Überlegenen“ schützen, indem ich mich (wenn nötig) entschlossen dazwischenwerfe –  und ich werde viel dafür tun, damit sich immer mehr Facebook-Freunde trauen, ihre Meinung offen auszusprechen – ja, auch wenn es Pegida-und AfD-Anhänger sind – oder wenn sie gegen alternative Medien wie KenFM wettern.

Und welche Facebook-Freunde werde ich entfreunden?

Nur wenn jemand beleidigt, droht, primitive Schimpfworte benutzt und einschüchtert – dann werde ich unbarmherzig entfreunden. Dann ist die „rote Linie“ des Giftgas-Einsatzes überschritten. Und dann kann ich ja jetzt diesen Link als Nachricht erläuternd hinzufügen. Wie praktisch!

Also kommt alle gern auf Evas Facebook-Account und lasst uns diskutieren und debattieren. Überzeugt mich, kritisiert mich, ermahnt mich und lobt mich – alles gern gesehen. Hauptsache, wir Bürger mischen uns ein in die gesellschaftlichen Entwicklungen. Das liegt mir so am Herzen, dafür bin ich bereit, manche Lese- und Schreibminute einzugeben in die große Social-Web-Community der Welt.

„Am Anfang war das Wort“ – so beginnt das Johannes-Evangelium nicht umsonst. Lasst uns miteinander reden! Denn nur aus Gedanken und Worten wird die Zukunft gemacht.

 

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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3 thoughts on “Von Facebook-Freunden, die andere Wertesysteme vertreten: Entfreunden? Streiten? Mund halten?

  • Reply Tina Gallinaro 11. April 2017 at 08:27

    Hallo Eva, deine Zeilen treffen absolut jeden Nerv bei mir.
    Ich beobachte auch sehr oft, dass andere, nur weil sie anders denken, anders fühlen und vielleicht sogar nicht der gleichen Meinung sind wie der Rest der internetten Welt, manchmal gehörig in der Luft zerrissen werden. Da nutzt man sogar oftmals große Gruppe bei Facebook, um denn einfach mal den Macker raushängen zu lassen, um anderen zu zeigen, wie „cool“ man denn ist.

    Ich finde solch ein Verhalten wirklich unterste Schublade und habe mich dann auch sehr oft ohne ein groß angekündigtes „GoodBye“ sang und klanglos entfernt.
    Da wird einfach nicht lange gefackelt.

    Zudem wäre es mehr als ratsam, die politischen Weltgeschehen, religiöse Ansichten, und sonstige Weltanschauungsmerkmale in den sozialen Netzwerken erst gar nicht anzuschneiden. Das erspart viel unnötige Diskussionen, die oftmals eh nur damit enden, dass ein anderer nicht nur mit Wasser kocht 😉
    Leben und leben lassen !
    LG Tina

    • Reply Eva Ihnenfeldt 11. April 2017 at 13:43

      Hi liebe Tina, ja ich weiß ja, dass wir aus taktischen Gründen emotionale und kontroverse Themen meiden müssten – aber die „Bürgerin“ Eva in mir sagt, dass wir unsere Gesellschaft gerade über Social Media entscheidend mitgestalten und da eine enorme Verantwortung tragen. Ich will nicht nur Essensfotos und Urlaubseindrücke posten – ich will ja diskutieren und mich auch mal überzeugen lassen von guten Argumenten (was erstaunlich oft passiert). Der Umgangston ist entscheidend. Ich wünsche mir, dass meine Facebook-Freunde nachdenklich, intelligent und engagiert diskutieren. Dass sie sich das bei mir trauen können. Dass wir Fakten und Quellen zusammentragen. Dass wir uns fragen, ob Grundeinkommen zu „Faulheit“ führt oder zu gesellschaftlich relevanter Arbeit. Es gibt so viele wichtige Themen! Und Twitter mit den 140 Zeichen ist zu kurz dafür! Ich mach weiter, auch wenn mich manches Verhalten zugegebenermaßen erschreckt. Aber ein bisschen Zivilcourage schadet einer Eva nicht 😉 dann muss sie eben mal die Zähne zusammenbeißen und durch Konflikte durch´:)

  • Reply Newsletter der SteadyNews vom 11. April 2017 18. April 2017 at 07:54

    […] Lesen […]

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