Was ist besser? Familie, Staat, oder Sozialdarwinismus?

Wir befinden uns gerade in einem grundlegenden wirtschaftlichen und finanzpolitischen Umbruch. Nicht nur die Corona-Pandemie und ihre immensen Kosten und Existenzvernichtungen sind dafür verantwortlich, sondern auch die digital disruptive Innovationskraft, welche durch Kontakt- und Reiseeinschränkungen unglaublich an Tempo und Potenz gewinnt. Ich vermute, dass dauerhaft viele Arbeitsplätze verloren gehen an Automatisierung und die Überlegenheit maschineller Intelligenz. Doch was soll man tun mit den vielen Menschen, die als Produktionsmittel bzw. Fach- und Führungskraft obsolet werden? Ist ein staatlich finanziertes Grundeinkommen für alle, die nicht mehr arbeiten können oder wollen, die Lösung?

Selig sind die Armen…

Ich war ja in meiner Pubertät überzeugte „Jesus People“. Mir erschien die Zusammenführung von Hippie-Bewegung und meinem revolutionär-sozialpolitischem Idol Jesus perfekt. Ich verschlang regelrecht alle Buchstaben des Neuen Testaments und sog alles auf, was auch meine Vision war (und ist): Den Armen und Ausgestoßenen in aller Konsequenz folgen, Reichtum als Barriere zu Freiheit und Mitgefühl verstehen, sich von der Blutsfamilie befreien… Moment, was war das mit der Familie? Sich von der Blutsfamilie trennen? Vater und Mutter im Stich lassen, um Jesus zu folgen?

Schutz vor Not durch die Familie?

Durch meinen wunderbaren Beruf des Lehrens und Coachens habe ich viele verschiedene Kulturen kennen lernen dürfen. In Ländern und Gesellschaften, in denen es viel mehr Armut gibt als bei uns, ist die Familie das Einzige, was schützt, wenn man in Not gerät. In vielen Kulturen sind Familien riesige Gebilde und können aus tausenden von Menschen bestehen. Geld, Job, Heirat, Altersversorgung, Kinderaufzucht, Einfluss, Karriere oder Business – alles Wichtige im Leben ist abhängig von dem Familiensystem, dem man angehört.

Je hilfloser der Einzelne der Obrigkeit ausgeliefert ist, desto wichtiger ist die Familie. Sich aus ihr zu entfernen bedeutet, ein Leben als Ausgestoßener zu führen. Nur die Wenigsten trauen es sich. Und die allermeisten würden auch nie auf die Idee kommen. Selbstverständlich lieben sie ihre Familie über alles! Die Familie gibt Schutz, Trost, Liebe, Sinn, Anerkennung und Zukunft.

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay 

Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Jesus die Bindung an die Familie als ebenso einengend empfand wie die Bindung an Besitz. Willst Du wachsen, brauchst Du Freiheit. Weiterentwicklung und Innovationskraft entstehen, wenn Einzelne sich aus ihrem System lösen und als Rebell Dinge wagen, die man nicht darf. So entstehen Unternehmensgründer, politische Visionäre, wissenschaftliche Pioniere, Aussteiger und soziale Reformer. Wollen wir aus dieser finanzpolitischen Krise etwas Gutes schaffen, wäre die Rückkehr zu Familiensystemen sicher keine gute Lösung.

Eigenverantwortung statt Schutz vor Not?

Nicht nur in den USA können wir beobachten, was es heißt, wenn der Staat nur eingeschränkt als Obrigkeit akzeptiert wird. Unter der Prämisse „Jeder Mensch hat das Recht auf Streben nach Glück“ steht die Freiheit des Individuums ganz oben auf der Werteskala. Gerät man in Armut oder wird darin geboren, muss man dementsprechend ungeschützt die Konsequenzen tragen.

Auch in den USA sind Familiensysteme ein wichtiges Auffangbecken,. Außerdem gibt es schrecklich viel Gewalt, Kriminalität, Obdachlosigkeit und Elend. Schwer vorstellbar, dass wir diese Freiheits-Ideologie kopieren wollen. Oder wollen wir dulden, dass an den Rändern der Großstädte immer mehr Elendsquartiere entstehen und die Gefängnisse überquellen? Der soziale Friede ist ein wertvolles Kleinod. Lasst ihn uns um Gottes Willen bewahren.

Alimentierung durch den Staat?

So bleibt doch eigentlich nur der Aufbau eines Grundeinkommens, das den vielen gezahlt wird, die in unserem zukünftigen Wirtschaftssystem überflüssig werden? Schließlich arbeiten schon heute knapp 75 Prozent der Deutschen im Dienstleistungsbereich – davon rund ein Drittel im öffentlichen Dienst bzw. in Unternehmen mit Finanzierung durch Steuergelder. Man könnte doch Menschen, die ohne Gegenleistung ein Grundeinkommen erhalten, sozusagen als weiteren Zweig des „öffentlichen Dienstes“ betrachten?
Statista: Verteilung der Erwerbstätigen in Deutschland 2020

Ich bin da skeptisch muss ich gestehen. Wenn die finanzielle Eigenverantwortung in die Hände der Obrigkeit gegeben wird, erscheint mir das nicht nur gruselig bei Vergleichen zu China und den Erfahrungen mit sozialistischen Gesellschaften – es erscheint mir auch unlogisch, wie das Ganze finanziert werden soll. Maschinensteuer? Vermögenssteuer? Einheitliche Umstrukturierung des globalen finanzpolitischen Systems? Weltregierung mit dem Privileg der unendlichen Geld-Schöpfung?

Ich glaube außerdem, dass der Mensch es braucht, stolz auf sich zu sein. Ich glaube, dass finanzielle Unabhängigkeit und Freiheit von einer regelsetzenden Obrigkeit wichtig sind, um Kreativität, Forschergeist, Disziplin und jegliche Art von Querdenken zu erzeugen. Egal ob die Familie bestimmt, was man aus seinem Leben macht, oder ob das politische System sich zu Ersatz-Eltern aufschwingt, die Konsequenz könnte eine Schwächung des individuellen Willens und der individuellen Leistungsfähigkeit und Schöpferkraft sein. Ich will in keiner Gesellschaft von geschwächten Menschen leben. „Hunger ist des Arbeiters bester Freund“ trifft zumindest auf mich total zu. Nur wenn ich ums Überleben kämpfe, wage ich Dinge, die ich sonst nie wagen würde. Bisher waren das stets meine besten Momente, in diesen Zeiten habe ich mich weiterentwickelt habe. Nur wenn ich musste, habe ich meine gewohnte Komfortzone verlassen. Das hat mich stark gemacht.

Was nun?

Ich wünsche mir zum Einen tatsächlich eine Gesellschaft, in der die Armen, Hilfsbedürftigen und Arbeitsmüden ein Recht auf Wohnen, Heizen, Essen, Trinken und wärmende Kleidung haben. Dazu wünsche ich mir eine Gesellschaft, die jedem Menschen die Möglichkeit bietet, darüber hinaus mit seinen individuellen Träumen, Fähigkeiten, Leidenschaften und Möglichkeiten Geld zu verdienen. Ich wünsche mir ein überschwängliches Bildungssystem, das jeden kleinen Menschen ausbildet und bei seinem Weg in ein würdevolles Leben freundlich begleitet. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der jeder etwas bekommt, und in der jeder etwas gibt. So entsteht Leben in Würde.

Wir wollen keine Bettler, wir wollen eine Gesellschaft aus Menschen, die jeden Tag stolz auf sich sind – und die sich beschützt wissen, weil sie nicht in existenzielle Not geraten, wenn sie aus einem bisherigen Zustand ausbrechen oder verstoßen werden. Ich wünsche mir, dass wir uns gegenseitig bereichern mit dem, was uns individuell auszeichnet. Jeder Mensch hat etwas Besonderes zu geben, und Keine/r von uns ist unwichtig. Ich wünsche mir, dass die Arbeitsmüden arbeitsmüde bleiben können – und doch einen Weg finden, sich bereichernd in ihre Umgebung einzubringen. Jede/r ist wichtig, egal wie alt, eingeschränkt oder traurig er oder sie ist. Das wäre mein Paradies – eine Gesellschaft von stolzen Menschen.

Vielleicht würde sich dann auch die Finanzierungsfrage im Nichts auflösen, weil ja alle was tun würden? Keine Ahnung. Ich wünsche es mir sooooo sehr, dass ich bereit bin, die Konsequenzen dafür in Kauf zu nehmen.

Streaming-Empfehlung: Another Reality

Falls jemand wissen möchte, welche Auswirkungen das Leben in riesigen Familienclans haben kann, empfehle ich diese deutsche arte-Dokumentation, die nun bei Amazon Prime zur Verfügung steht. Fünf junge Männer aus der arabischstämmigen Rap-Community erzählen, wie sie als Mitglied von Parallelgesellschaften in Deutschland aufgewachsen sind, wie und warum sie zu Kriminellen wurden und was das Gefängnis mit ihnen gemacht hat. Und sie erzählen, wie schwer es ist, sich von seiner Familie zu emanzipieren.
Amazon Prime: „Another Reality“ – Dokumentation aus Deutschland, 2020

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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