Manchmal wünscht man sich ja gelegentlich in den Kopf eines Menschen hineinzuschauen. Gerne würde ich das jetzt bei Herrn Wiesemann tun, denn nachdem ich letzte Woche die Situation aus der Sicht des „Kommunikationsexperten“ – wohlmeinend sogar noch laut Herrn Wiesemann – beurteilt habe und bekanntlich zum Schluss kam, dass was immer der Geschäftsführer des UPHs jetzt auch tue, das UPH jetzt schon verloren hätte. Und dass jede Verlautbarung es noch schlimmer macht, die auf der eigenen Position beharrt. Letzteres ist dann leider auch eingetreten. Da die Positionen auf beiden Seiten feststehen scheint es müßig erneut das vorläufig letzte Kommuniqué des UPHs unter die Lupe zu nehmen – allein zeigt es erneut, dass Krisen-PR etwas ist, was man nicht eben nebenbei macht. Und wofür man dann tatsächlich Fachleute braucht.
Es geht nicht um Worte allein
Nachdem in der letzten Woche ein halbleises „Ich entschuldige mich für die Worte Shitstorm und Bürgerwehr“ kam, wird das jetzt in der aktuellen Pressemitteilung nach einer Präambel, bei der man beim Lesen ins Schwimmen kommt, nochmal etwas deutlicher gefasst. In der Vorrede und auch bei Facebook steht etwas davon, dass Wiesemann nach den Erfahrungen der letzten Zeit sich hingesetzt und einen konstruktiven Ansatz gefunden hätte. Das ist doch schon mal was, denkt der Leser, da hat jemand aus der Kritik doch gelernt und sich hingesetzt. Jetzt kommt bestimmt auch eine Entschuldigung für das eigene Verhalten, ein konstruktiver Vorschlag wie man mit dem Ganzen umgehen soll und überhaupt wird alles gut.
Denn dass der Umgang mit Kritikern auch in der letzten Woche nicht stattfand und dass nur denen geantwortet wurde, die der eigenen Meinung lobhudelten – das ist in der Form nun kein Dialog. Das ist auch kein Zuhören. Das muss jedem bewußt sein, der in solch einer Situation steckt. Nicht auf jeden Kommentar antworten, aber zumindest signalisieren: „Okay, war nicht so toll, wir denken momentan drüber nach.“ Danach sind die Kritiker dann auch meistens so nett einem eine Pause zu gönnen. Erneut hätte man jetzt hier die Gelegenheit dazu gehabt, aber sie wird wieder verschenkt.
Schauen wir uns aber mal an, was da als Erstes steht:
Unsere Geschichte ist voll von Erfolgen, die auf gesellschaftlicher Offenheit für unkonventionelle Menschen beruhen, und Initiativen engagierter Laien finden sich in allen Bereichen des Lebens. Selbst der hoch sensible Gesundheitsbereich stellt eine Mischung von Fachleuten, Ehrenamtlern, Selbsthilfegruppen und kommerziellen Gesundheitsanbietern dar.
Richtig. Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte voller Missverständnisse, um einen Werbespruch abzuwandeln. Es ist auch eine Geschichte des Scheiterns und des Versagens. Und auch eine Geschichte, in der Laien wirklich viel zur Gesellschaft beigetragen haben und ich muss das wissen, bin ich doch Mitglied einer Konfession, die sich dank eines gewissen Herrn Luther heute so formiert hat, dass gerade die Laien als Verwaltungsmitglieder von Gemeinden installiert worden sind. Insofern: Ja. Eine Gesellschaft braucht eine gesunde Mischung aus Experten und Laien. Gut. Jetzt aber kommt erneut das Argument des Gesundheitssektors, dessen Mischung von Wiesemann ungefiltert auf die des Bereiches Sicherheit übertragen werden möchte.
Sei schlau, ruf 110!
Das passt so nicht und auch hier kann ich wieder ein Beispiel anführen, welches in meiner Konfessionszugehörigkeit begründet ist. Die sogenannten Grünen Damen oder Grünen Herren sind im Krankenhausbereich durchaus tätig wenn es darum geht Menschen zu betreuen. Sie reden. Sie spielen. Sie lesen vor. Niemand aber käme auf die Idee, dass die Grünen Damen für eine Herzoperation zuständig sein würden. Ebensowenig greifen die Grünen Damen oder Herren in etwas ein, was sich „Gewalt“ nennt – bekanntermaßen haben wir immer noch Gewaltenteilung in Deutschland. Darum aber genau geht es und deswegen hakt der Vergleich und hinkt wie des Teufels Pferdefuss: Bürgerwehren – und egal wie sie sich in Essen jetzt auch nennt, es ist und bleibt eine – unterlaufen genau das Monopol des Staates. Nur der Staat hat das Recht Menschen zu verurteilen, wenn diese gegen die Gesetze verstoßen. Falls jemand mal im letzten Jahr die Kampagne von der Polizei in Bussen mitbekommen hat: Da hieß es ja auch nicht, der Bürger sei schlau, der sich in die Schlägerei selbst einmischt – nein, der Bürger ist schlau wenn er die 110 anruft.
Jetzt kann man einwenden, dass doch die Polizei nicht gegen einen Bürger habe, der aufmerksam ist, der auf die Nachbarn achtet und der ein gutes Sozialleben haben möchte. Das hat sie auch nicht. Die Polizei ist aber zu Recht gegen Bürgerwehren, die sich Rechte anmaßen, die sie nicht besitzen. Denn der Kontext, in dem der Bürger sich bewegt nennt sich immer noch Das Bürgerliche Gesetzbuch. Bürgerwehren stehen da nicht darüber. Und es ist kaum zu sehen, dass in Großstädten die Polizei nicht rechtzeitig herbeigerufen werden könnte um somit den Paragraphen 229 des BGBs geltend zu machen.
Wer zum Zwecke der Selbsthilfe eine Sache wegnimmt, zerstört oder beschädigt oder wer zum Zwecke der Selbsthilfe einen Verpflichteten, welcher der Flucht verdächtig ist, festnimmt oder den Widerstand des Verpflichteten gegen eine Handlung, die dieser zu dulden verpflichtet ist, beseitigt, handelt nicht widerrechtlich, wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde.
Der Worte sind genug gewechselt
Zurück aber zum Statement von Herrn Wiesemann:
Die besser Informierten dürfen den Kontakt nicht abbrechen, wenn jemand falsche Worte verwendet. Denn genauso wie so mancher selbst nach häufiger Belehrung nie ein guter Sänger wird, werden die meisten von uns nie in der Lage sein, Worte exakt zu verwenden.
Wer hier mit den besser Informierten gemeint ist? Vermutlich all die konstruktiven Kritiker, aber genauer wissen wir das beim Lesen nicht. Und würde man sich die Kritiker angesehen haben, dass wäre klar, dass es hier nicht um „Worte, Worte, nichts als Worte“ – Hamlet – geht. Nein, es ist nicht die Wortwahl. Es ist das Verhalten nach der berechtigten Kritik, das übel aufgestoßen ist. Und Belehrung – das ist so ein Wort, dass man richtig oder falsch verstehen kann. Man kann belehrend sein und sich als Allwissender aufspielen, vermutlich möchte Wiesemann das so gedeutet haben. Man kann aber belehren und gleichzeitig verständnisvoll sein. Jeder Chorleiter weiß, dass man Sänger durchaus belehren muss weil sie sonst nämlich immer wieder an der einen Stelle einen Ton zu tief singen. Das muss man denen also schon sagen, sonst klappt das Stück nicht und die Probenarbeit kommt nicht vorwärts. Es ist der Ton, der die Musik macht. Also gerade so wie man formuliert und wie man auf den Anderen eingeht.
Aber, so wird man einwerfen, das möchte man im UPH jetzt doch? Man möchte doch jeden 1. Sonntag mit den Leuten ins Gespräch kommen? Dazu hat man doch einen runden Tisch eingerichtet? Ja, hat man. Das ist auch anerkennenswert, noch anerkennenswerter wäre aber, wenn man statt diesem offenen Konzept nicht das eigene Haus geschlossen hätte als die Proteste auf der Straße stattfanden. Ein wenig erinnerte das an das Verhalten, das andere Polizeiwachen im fiktiven Ankh-Morpork taten als die besorgten Bürger die Polizeiwachen stürmten: Sie verriegelten sich und boten damit dem Zorn der Bürger erst recht einen Anlass. Schade, dass Herr Wiesemann offenbar Herrn Mumm nicht kennt, der in „Die Nachtwächter“ anders reagiert. Er öffnet gerade die Wache um den Leuten zu zeigen, dass sie eigentlich keinen Grund zur Besorgnis haben. Ein schönes Beispiel übrigens für Krisen-PR und man sollte sich das merken. Die passende Gelegenheit dafür allerdings ist verstrichen. Jetzt wäre endgültig der Platz für einen organisierten Tisch mit dem Sprecher der Bürgerwehr, mit Vertretern der Polizei, mit den Kritikern von Essen stellt sich Quer und mit einer breit angelegten Diskussion darüber, ob a) die Polizei nun wirklich nicht mehr Herr der Lage ist und b) wie man verständnisvoll miteinander umgeht. Das wäre jetzt dringend angeraten. An einem Ort, der nicht das UPH ist, also neutraler Boden. Und nein, es geht wirklich nicht um Worte, aber das will nicht verstanden werden sein:
Die besser Informierten haben die permanente(!) Aufgabe, nachsichtig gegenüber falsch verwendeten Worten zu sein…
Ich weiß nicht, moment, nein: Ich weiß schon! Ja, meine Nachsicht hört dort auf wo Leute eine Weltauffassung haben, die konträr zum Grundgesetz steht. Und wenn diese Leute sich in einer sogenannten Bürgerwehr versammeln, die öffentlich auf Facebook bekanntgab was man so für Ansichten hab – dann hört meine Nachsicht aber sowas von auf…
Wohlgemeint? Lernbereit? Wie stellt man das fest?
Und wenn wohlmeinende und lernbereite Unperfekte sich in einer Art beteiligen wollen, die nicht wünschenswert ist, dann müssen besser informierte Menschen sich Mühe geben, Wege aufzuzeigen, wie sie sich mit ihren Mitteln und Fähigkeiten auf bessere Weise einbringen können. (…) Im Bereich Prävention, Resozialisierung, Aufmerksamkeit, Betreuung ist eine Menge für engagierte Bürger zu tun, die damit höchst effektiv unser aller Sicherheit steigern können. Man muss es ihnen nur erklären, und dazu muss man mit ihren reden!
Ach ja, Liebe und Frieden und so – aber so einfach ist das nicht. Erstmal: Zu einem Treffen werden nur Leute kommen, die genügend dazu motiviert sind. Und selbst wenn diese Leute erscheinen heißt das noch lange nicht, dass sie lernbereit und wohlmeinend sind. Wie genau aber stelle ich denn jetzt fest, wer da sich nur lernbereit zeigt und wer nicht? Woher weiß ich, dass die Leute die Wahrheit sagen und nicht lügen? Blödes Alltagsdilemma, kennt man ja vielleicht vom Bahnhof her, wenn einen jemand anhaut und meint, er bräuchte nur noch ein paar Euro weil er sonst kein Ticket ziehen kann… Zum Zweiten: Diese besser Informierten können sich Mühe geben wie sie wollen, wenn die Anderen ein Weltbild haben, dass dicht ist. Ich empfehle zum Realitätsabgleich einen Besuch bei PEGIDA, jeden Montag wird man feststellen, wie ungeheuer dialogfähig und total lernbereit diese Menschen sind. So dialogfähig, dass sie jetzt schon anfangen Reporter anzugreifen. Nein, man darf nicht verallgemeinern, sicher nicht, jedoch – so einfach ist das alles nicht. Deswegen: Fachleute heranholen. Recherchieren. Nachschauen wer die Leute sind. Einschätzung abholen, ob man mit denen überhaupt reden kann. Fachleute fragen. Damit ist nicht nur die örtliche Polizei gemeint sondern auch Leute, die Soziale Arbeit leisten und die die Problematik kennen. Bestens geeignet sind dafür z. B. Fussball-Fanbeauftragte, sicherlich aber finden sich in Essen noch andere Fachleute, die eine Einschätzung geben können und die für Diskussionen und Lösungsansätze parat stehen. Immer noch ist mir nicht klar, ob Wiesemann das beim ersten Mal auch so dachte – ob er vielleicht schon wirklich Leute angeschrieben hatte, die im Bereich des Sozialen Experten sind. Wenn ja, dann hat er es nicht verlautbaren lassen. Und fragt man mich: Ich glaube, das hat er auch nicht in Betracht gezogen. Nun, es wäre ja jetzt nochmal eine Gelegenheit dazu gegeben…
A propos: Wo sind eigentlich die positiven Beispiele von denen Wiesemann immer redet? Kann man die konkret irgendwo sich ansehen? Gibts da Quellen für? Mit Verlaub, ich kenne mich in Essen nicht unbedingt so aus, aber sicherlich muss es da doch ein oder anderen Link geben? Stimmt, finden sich sicher auf der Webseite zum Projekt Essen 2030. Oder? Ich muss da Projekte, die etwas mit „Sicherheit“ zu tun haben übersehen. Bestimmt gibt es aber noch andere Projekte, die nicht von der Stadt registriert sind und die total gut funktionieren was den Bereich „Sicherheit“ anbelangt? Wenn es die gibt, dann hat man sicherlich doch Experten an der Hand, die man einlädt und mit denen man am offenen Tisch… Ich wiederhole mich.
Definitive Lösung – Fehlanzeige
Zum Schluss des Textes stellt Wiesemann zwar Fragen, liefert aber keine Antworten. Das ist nicht so günstig, wenn man gerade in mehreren Absätzen sich auf den Standpunkt stellt, dass es ja die (Bring)Schuld der „besser Informierten“ sei sich mit den „Umperfekten“ zu beschäftigen. Allein: „Doch wie kann sowas in Deutschland, einem der vermutlich schlauesten Länder der Welt, passieren?“
Da mir ja vorgehalten wurde, dass auch ich dazu keine richtige Lösung hätte – und ich mich verwundert frage seit wann ich Experte für Soziale Arbeit und Prävention von Nazigewalttaten sein soll: Nein. Eine endgültige Lösung für das Problem habe ich nicht zu bieten. Ich habe das Ganze auch nur vom Standpunkt des „Kommunikationsexperten“ – Wiesemann – betrachtet und unter die Lupe genommen, weil mich interessiert wie Krisen-PR funktioniert oder auch nicht. Das ist ein Teilbereich meines Jobs wohlgemerkt. Für die Debatte ob ein verständnisvoller Ansatz bei der Arbeit mit Nazis oder Jugendlichen, die in den Bereich hineinrutschen könnten nun sinnvoll ist oder nicht bin ich tatsächlich nicht der richtige Ansprechpartner. Das wären und sind andere.
Aber immerhin würde ich jetzt am Ende des Textes nach der oben gestellten Frage etwas Konkretes in der Hand haben wollen. Weiter oben schlug ich ja schon vor, dass man jetzt eine Expertenrunde ansetzt, die nicht im UPH stattfindet, dass man den Dialog, den man propagiert, dann auch mal eingeht und nicht unverbindliche Termine ansetzt. (Sonntags? Um 10:00 Uhr? Wirklich?) Eine organisierte, gut geplante, gut vorbereitete Veranstaltung – ja, das wäre vielleicht ein Anfang. Aber was kommt im Text dann?
Lösungen entstehen durch freundliches Wettstreiten wohlmeinender Menschen, die sich respektieren, während sie offen sichtbar verschiedene Wege ausprobieren, voneinander lernen und so viel schneller voran kommen, als wenn alle den gleichen Weg gehen würden:
- Das Problem liegt m.E. nicht darin, dass wir alle verschieden sind und auch nicht an unseren unterschiedlichen Wegen.
- Das Problem liegt m.E. an übersteigertem Selbstbewusstsein von manchen, die sich ganz sicher sind, dass sie es richtig wissen, und dass Alternativen nicht gedacht werden dürfen.
- Seid nicht so selbstsicher!
Na, wenn das mal kein generelles Abwatschen von Kritikern ist, dann weiß ich das auch nicht. Ja, Lösungen entstehen durch das Reden. Aber wenn Sie geredet hätten, Herr Wiesemann, würde ich jetzt nicht eine Bouteille durch ein Sieb gießen müssen um den Kork aus dem Wein rauszufischen. Genau das nämlich ist nicht passiert. Das Reden. Und da ist das schon etwas seltsam, wenn man einerseits das fordert, andererseits aber nicht reden will. Das passt nicht zusammen, da sind etliche Klafter Lücken. Und zum Schluss dann noch alle Kritiker den Satz entgegenzuwerfen, ja, mit Verve geradezu den Handschuh ins Gesicht klatschen zu lassen – ich würde mich das nicht trauen. Ich wäre nicht so selbstsicher zu behaupten, dass ich grundlegend Recht hätte. Gut: Ich behaupte nicht, dass ich Recht habe. Ich behaupte aber aus meiner Expertenwarte, aus der wohlmeinenden und ratgebenden: Schlechte Formulierung. Ganz schlecht. Aber auch gut insofern, als ich jetzt einen Schluss-Strich unter die Sache ziehe. Ich sehe: Wiesemann setzt und fordert Dinge, die er selbst nicht eingehalten hat. Er sieht nicht ein, was falsch war sondern verharrt auf seiner Position. Und ähnelt damit genau den Leuten, die er ins UPH hätte einladen wollen, denn auch diese beharren auf ihren Standpunkten und sind nicht diskussionsbereit. Schön. Nein, nicht. Schade. Und damit ist es gut. Also gut im Sinne von Ende. Wir wissen ja jetzt, dass man Wörter und Worte genau definieren muss, sonst versteht man die falsch…
Christian Spließ, Social Media Manager, machte schon Social Media als es noch Web 2.0 hieß. Seit 2004 beobachtet er die aktuellen Entwicklungen und hilft mit Rat und Tat, wenn es darum geht Inhalte kompetentgenau an die Zielgruppe zu vermitteln.