„Warum bist Du selbstständig?“ Eva Ihnenfeldt erzählt

Der VGSD (Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V.) hat dazu aufgerufen, eine eigene Geschichte zu erzählen zum Thema „Warum bin ich eigentlich selbstständig?“ Wer auch noch Lust hat mitzumachen: Hier steht genau, wie es geht und was der Verband mit den eingesendeten Geschichten plant. Nun aber zu meiner Geschichte: Ich kam 2004 zur Selbstständigkeit durch eine traumatisierende Erfahrung als Angestellte. Ich war damals dermaßen geschockt durch das, was ich ein Jahr lang erlitten hatte, dass ich mir schwor: „Lieber schlaf ich unter der Brücke, als je wieder abhängig Beschäftigte zu sein“.

Geld verdienen musste ich allerdings als alleinerziehende Mutter. Konnte ja schlecht mit meinem 12-jährigen Sohn unter besagte Brücke ziehen 😉 . 2004 war das Jahr, in dem die SPD/Grüne-Regierung die Hartz-Gesetze durchsetzte und damit die ganze Republik verändern sollte: Arbeitslosenhilfe wurde gestrichen und durch Hartz-IV ersetzt. Die Unabhängigkeit erwachsener Menschen innerhalb einer Familie wurde gestrichen und durch die „Bedarfsgemeinschaft“ ersetzt. Da mein Arbeitslosengeld im August 2004 auslaufen würde, musste ich als irgendetwas erfinden, was uns Beide ernähren konnte. Ich musste mich irgendwie selbstständig machen, bevor es zu spät war…

Eine eingetragene Genossenschaft für Gründer

Damals gab es vom Staat großzügige Förderprogramme zu „Ich-AG“ und „Existenzgründung“. Damals gründete man keine StartUps – damals gründete man, um zu überleben. Im Ruhrgebiet lag die Arbeitslosenquote bei über 10 Prozent. Es war dramatisch.

Mit 45 war man zu alt…

Auf einer geförderten Informationsveranstaltung für Gründungsinteressierte waren über hundert Betroffene – ich war regelrecht erschlagen von den vielen Menschen, die bisher als Ingenieure, Manager, Kaufleute, Kommunikationsprofis etc. ihr gutbürgerliches Leben finanziert hatten – und nun plötzlich auf der Straße standen. Mit 45 war man damals schon zu alt für eine weitere Vermittlung. Gerade Akademiker schienen betroffen zu sein und sahen sich vor dem Abgrund.

Mein alter Nissan Micra wurde dann zum „Reklameauto“ der Geschäftsführerin der Gründergenossenschaft Witten e.G.

Wut als Gründungsimpuls

Damals war ich wütend. Wütend auf den Staat, der mit einem Federstrich Deutschland zum Niedriglohnland reformierte auf Kosten so vieler braver, loyaler Angestellter, die mir vorkamen wie sehr junge Bremer Stadtmusikanten. Wütend auf die Coaches und Reforminstitutionen, die mit ihren Workshops und Versprechungen Laien in die Selbstständigkeit drängen wollten. Wütend auf das ganze System, für das Menschen nichts weiter sind als Produktionsmittel, die man skrupellos ins Elend abstürzen lässt mit ihren teuren Familien, Krediten, gesellschaftlichen Verpflichtungen.

Wie eine Hummel, die fliegen lernt

So wurde ich also selbstständig. Die Eva, die aus Protest „unter der Brücke hausen wollte“, gründete eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer. Es war eine wunderschöne Zeit. Ich lernte Betriebswirtschaft und Marketing wie eine Hummel, die fliegen lernt – die Flügel sind zu klein – aber sie fliegt einfach. Ich lernte verhandeln, netzwerken, analysieren. Ich lernte, was es bedeutet, sich finanziell unabhängig zu machen von dem traditionellen deutschen Angestellten-Dasein. Ich lernte Strategien.

Aus Ingenieuren wurden Webdesigner und Dozenten, aus Managern wurden Unternehmensberater und Software-Vertriebler, aus angestellten Buchhaltern wurden freie Buchhalter mit eigenen Kunden. Nur sehr wenige der rund 500 Gründer, die wir mit Unterstützung der Arbeitsagentur begleiten konnten, gründeten Unternehmen mit Angestellten – doch zurück in die Arbeitslosigkeit fiel fast niemand. Irgendwie ging es immer weiter – und die Gemeinschaft half dabei, Krisen zu überstehen und sich in die neue Rolle einzugewöhnen.

Von der Geschäftsführerin zum Freelancer

Seitdem hat sich viel verändert. Mit dem Rückgang der Arbeitslosigkeit wurden die öffentlichen Förderprogramme zurückgefahren. Die Menschen wollten wieder in sozialversicherungspflichtige Anstellungen – der Gründerboom war vorbei. Ich wurde zur Beraterin und Dozentin für Marketing und Social Media – das hatte ich schließlich als Geschäftsführerin der Gründergenossenschaft gelernt – Learning by Doing.

Unser erster Abschlusskurs der Business Academy Ruhr (damals noch Business Academy Dortmund) mit Yusuf Tombul als Partner – und supertollen Teilnehmer/Innen. Danke für das Bild lieber @wolfgang attenberger

Die Business-Academy-Ruhr GmbH

Im Jahr 2011 gründete ich dann eine eigene Akademie zur Ausbildung von Social Media Managern mit IHK-Zertifikat. 2014 verließ ich dort die Geschäftsführung und zog mich als Gesellschafterin ebenfalls heraus aus der Business-Academy-Ruhr GmbH, die weiterhin erfolgreich ist und sich prächtig weiterentwickelt hat ohne mich.

…und zurück zum Freelancer

Seit 2014 bin ich wieder Freelancer. Ich habe gelernt, dass ich nicht zum Unternehmer tauge. Ich kann kein Chef sein und ich kann nicht in Hierarchien arbeiten. Ich brauche Freiheit und ich brauche Augenhöhe. Seit einigen Monaten habe ich mich von der Dozentin in der beruflichen Erwachsenenbildung umgewandelt zum Coach für Menschen im beruflichen Transformationsprozess. Ich liebe, was ich tue, und ich tue, was ich liebe.

In den 16 Jahren meiner Selbstständigkeit habe ich Eines gelernt „Es geht immer weiter“. Schließt sich eine Tür, geht eine andere auf. Als Selbstständige zählt nicht, was Du an Papieren vorweisen kannst – als Selbstständige zählt, was Du kannst und wie sehr Du bereit bist, abzuliefern.

Mein Lieblingsbild von mir: Als ich 2014 die GF der Business Academy verließ – und mal wieder keine Ahnung hatte, wie es weitergehen könnte. Danke für das Bild @franz-josef-baldus https://www.instagram.com/snackcontent_de/?hl=de

Warum ich meine Selbstständigkeit liebe

Ich liebe Herausforderungen, die mich bis an den Rand der Erschöpfung bringen. Ich liebe es, etwas anzufangen, wovon ich denke, es wird mich überfordern. Ich liebe das Abenteuer, mich zu beweisen und immer wieder neue Berge zu erklimmen, die unüberwindlich erscheinen. Ich liebe es, mich weiterzuentwickeln und ich liebe es, die Menschen glücklich zu machen, die sich mir anvertrauen.

Seit ich mich im August 2004 selbstständig gemacht habe, schlafe ich wie ein Bär. Ich kann ehrlich sein ohne mich verbiegen zu müssen, ich kann kommen und gehen, wie es passt. Ich allein trage die Konsequenzen dafür, was ich tue. Ich bin vielleicht ein prekärer Tagelöhner, habe keine soziale Auffangmatte – aber dafür bin ich ein freier Mensch mit geradem Rücken.

Selbstständigkeit macht gesund

Seit sechzehn Jahren war ich nicht einen Tag krank (und vorher litt ich unter chronischer Schlaflosigkeit und ständigen Infektionen). Ich habe immer noch Visionen und zu gern würde ich noch ein drittes Unternehmen gründen – obwohl ich bald 62 Jahre alt werden. Ich möchte arbeiten, bis ich tot mit dem Kopf auf die Tischplatte plumpse. Mit einem Lächeln auf den Lippen und dem Vertrauen, das es gut ist zu leben und ok ist, zu gehen.

Ich wünschte mir eine Welt, in der jeder Mensch seine Berufung leben kann. Egal, ob als Workaholic wie ich oder als Träumer mit viel Raum zum Verweilen und Nichtstun. Egal, ob als Techniker oder als Flyerverteiler, egal ob mit Studium oder mit abgebrochenem Hauptschulabschluss. Jeder ist etwas ganz Besonderes, das weiß ich. Ich habe tausende von Menschen in ihrem Change-Prozess begleiten dürfen in den vielen Jahren – und niemand ist besser und niemand ist schlechter.

Wer nicht an sich glauben kann und wer nicht stolz auf sich sein kann, wird krank. Wir alle brauchen eine Aufgabe und wir brauchen Respekt. Geld ist ok – ist eben Benzin für den Motor – aber das Eigentliche ist unsichtbar. Ich kann nicht akzeptieren, dass so viele Menschen Burnout-Höllen durchlaufen müssen – egal ob durch Überlastung im Beruf oder durch das Gefühl, nicht gebraucht zu werden und verachtet zu werden wie ein Bettler. Das macht mich immer noch genau so wütend wie 2004. Vielleicht gründe ich ja noch etwas (ich habe da so eine Idee…). Aber jetzt bin ich erst mal glücklicher freiberuflicher Jobcoach.

Love & Peace
Eure Eva

Eva im Februar 2020 – danke für das tolle Shooting lieber @frank peck https://www.frankpeck.com/

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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