Zerstören soziale Netzwerke unsere Kultur? Verkümmern unsere sozialen Fähigkeiten?

Eva Ihnenfeldt: Heute morgen habe ich – wie jeden Morgen – meine virtuell zusammengestellte Zeitung gelesen und stieß auf einen Artikel in der Weltonline mit dem Titel: „Soziale Netzwerke schädigen soziale Fähigkeiten“. Mir hat der Beitrag von dem Kommunikationscoach Robert Spengler gut gefallen, und doch auch meinen Widerstand hervorgerufen. Ich selbst leide wie viele andere auch unter den 1,5 bis 2 Stunden am Tag, die ich schon allein mit E-Mails verbringe, und ich kenne die Nöte vor allem junger Menschen, die sich gegen die Flut an Facebook-Posts kaum stemmen können und es ganz schrecklich finden, wenn Alles und Jedes dokumentiert, fotografiert und kommentiert wird.

Beitrag von Robert Spengler in WeltOnline

Doch stellen wir uns ein mal vor, Jemand würde die Zeit zurück drehen. Wir landen wieder im Jahr 1990, dem Zeitalter vor „Millenium“, als wir noch allein auf Telefon und Post angewiesen waren, um zu kommunizieren. Kein Handy, kein Internet, keine Mails. Fiel in der Schule Unterricht aus, erfuhren wir Eltern es per Telefonkette (berufstätige Mütter hatten hoffentlich einen AB).

Familienangehörige, die ins Ausland verzogen sind, rief man maximal einmal die Woche an und stellte die Uhr daneben – es war so teuer! Man hatte privat seinen festen kleinen Freundeskreis – und von diesem ausgehend konnte man auf Parties oder Feiern eventuell neue Menschen kennen lernen – aber das war dann vor allem Glückssache. War man geschieden, verwitwet oder schon ein etwas älterer Single, blieben nur spezielle Einrichtungen für „Einsame Herzen“ – und natürlich Aktivitäten in Vereinen, wenn man sich neu verlieben wollte – oder 5 Zeilen-Anzeigen im Wochenendteil…

Von Konzerten, anderen Events und spannenden Plätzen erfuhr man über Mundpropaganda. Meist ging man immer wieder dahin, wo man eben immer hinging. Die Familie kam jeden Sonntag zum Essen, oder einmal im Monat, oder zu Geburtstagen und Weihnachten und Ostern. Jeder Angehörige wurde einzeln angerufen, wenn etwas Wichtiges passiert war. Nachbarn erzählten Einem, was in der Umgebung so passiert war. Ja, es war auch schön, so heimatlich – aber es war eng begrenzt – für Abweichungen wurde immer viel Energie gebraucht, und viel Willenskraft.

Doch viel entscheidender als privat waren die geschäftlichen Konsequenzen in einer Welt ohne Web 2.0!

Wollte man eine Veranstaltung organisieren, lud man per per Brief oder Karte ein (Tausend Menschen erreichen kostete mit Druck und Arbeitszeit etwa 1.000 bis 3.000 DM). Wollte man sich als Existenzgründer bekannt machen, inserierte man in Zeitungen (Ein Inserat, das einmal erschien, kostete im Lokalteil mindestens 250 DM). Werbung war für die „Großen“, Selbstständige gab es nur wenige. Sie kamen einfach nicht durch mit ihrem schmalen Budget für Werbung und Marketing.

Ich möchte weder privat noch geschäftlich zurück ins letzte Jahrtausend. Sicher gibt es auf dem Jahrmarkt der Kommunikationsmöglichkeiten tausend Stolperfallen, die dem Menschen das Genick brechen können: Vom BurnOut bis zur Verkümmerung sozialer Fähigkeiten, von der digitalen Prekariats-Dummheit bis zur narzisstischen Selbstentfremdung. Immer, wenn etwas entscheidend Neues er- und gefunden wird, gibt es diese gefährlichen Konsequenzen, das bleibt nicht aus. Je stärker die Wucht, desto stärker der Rückstoß.

Eva Ihnenfeldt (links) als eine der GastgeberInnen auf der BARsession im Juni 2012 - in Dortmund

Doch gerade ich als Frau bin zutiefst dankbar, welche Möglichkeiten mir die Kommunikation des neues Jahrtausends bietet. Ich kann mich beruflich und geschäftlich entwickeln, ich kann täglich neue interessante Menschen kennen lernen (natürlich dann auch im „Wirklichen Leben“), ich kann lernen, recherchieren, forschen und immer schlauer werden, ich kann mit einer einzigen Mail, einem einzigen Post hunderte bis tausende von Menschen erreichen und mich dadurch bis nach China und in die USA verbreiten!

Ich sehe natürlich auch, dass es viele Opfer gibt. Wer weiß, vielleicht bin ich selbst irgendwann ein solches Opfer – man wird sehen. Aber die Möglichkeiten von Selbstverwirklichung, Freiheit und Kreativität geben mir so viele Schätze in die Hand, dass ich sehr gern die Gefahr der Überlastung in Kauf nehme.

Täglich erfahre ich Glücksmomente durch Mails, Posts, Tweets und Kommentare. Täglich rufen mich Menschen an, die ohne Social Media nie von meiner Existenz erfahren hätten. Mein Freundeskreis wandelt sich langsam und beständig wie ein lebendiges Biotop. Menschen kommen hinzu, Menschen gehen fort – alles entwickelt sich so, wie es am besten passt – ohne Streit, ohne Urteil, ohne unnötige Störungen. Wir planen, entwickeln, setzen um, bauen auf, beginnen neu.

Es ist wie ein Wunder, und mich erfüllt tiefe Dankbarkeit für dieses Wunder. Also danke Euch allen, meine Freunde, die ich durch Twitter, Blog, Facebook, Newsletter und Web 2.0-Events kennengelernt habe. Danke Euch Allen, die die Mühe auf sich nehmen, interessante News und Tipps und Veranstaltungen über das Web zu verbreiten und uns alle daran teilnehmen zu lassen. Wir bauen eine neue Welt, in der sich räumliche Grenzen auflösen, wir schaffen eine globale Community, die sich über Sympathie und Vertrauen findet – Jeder sucht sich die Menschen aus, die zu ihm passen (und ich finde meine Community ausgezeichnet klasse!) – Nur nicht süchtig werden, nicht oberflächlich, nicht gedankenlos, nicht perfektionistisch und nicht gierig – dann ist es gut – oder?

Eva Ihnenfeldt
PR und Unternehmenskommunikation
SteadyNews
Tel.: 0231/ 77 64 150
E-Mail: [email protected]

 

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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One thought on “Zerstören soziale Netzwerke unsere Kultur? Verkümmern unsere sozialen Fähigkeiten?

  • Reply Detlef Schumann 16. Juni 2012 at 11:57

    Dieser Bericht bringt es auf den Punkt.
    Im Gutenbergmuseum zu Mainz, wird das heutige Web, mit der Erfindungder Buchdruckkunst verglichen.

    Damals ging es der Kirche und ihrer teilweise sehr eigenwilligen Vorstellung von Glauben “ an den Kragen „.
    Heute müssen Regierungen und Diktaturen die Möglichkeiten der schellen weltweiten Verbreitung von Missständen fürchten.
    Ob sie deshalb von ihrem schändlichen tun lassen ist ungewiss, es lässt aber hoffen, dass viele schreckliche Dinge aus Angst vor Entdeckung unterbleiben.
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