Es geht nicht darum, sich durch die Kunst der „bedingungslosen Selbstliebe“ ein schmerzfreies, erfolgreiches, erfülltes Leben zu zaubern. Bedingungslose Selbstliebe kann es auch in Armut, Krankheit, Verlust, Angst, Schmerz und Krieg geben. Der Unterschied zu einem Leben ohne bedingungslose Selbstliebe ist, dass der sich selbst Liebende mit all dem, was ihm so über den Weg läuft als Schicksal, versöhnt ist. Der sich selbst Liebende ist gutmütig, verantwortungsbereit, lernfähig und tatkräftig. Er verurteilt nichts, nimmt das Leben wie das Wetter und macht etwas daraus. Im Folgenden ein kleiner Tipp, wie man lernen kann, sich selbst bedingungslos lieben zu lernen.
Das innere Kind von Herzen lieben
Theoretisch wissen wir es alle: Wir müssen unser inneres Kind lieben, um bedingungslose Selbstliebe zu lernen. Das Problem ist nur, dass die meisten Menschen ihrem inneren Kind gegenüber sehr zwiespältig sind: Auf der einen Seite tut ihnen das Leid ihres inneren Kindes unendlich leid – auf der anderen Seite verurteilen sie dieses innere Kind aufgrund seiner „Mängel“: Zu faul in der Schule, zu feige gegenüber anderen Kindern, zu begriffsstutzig, zu egoistisch, zu schüchtern, zu schwach, zu hässlich, zu sehr „Opfer“ von Mama, Papa, Schule… Das ist der Casus Knacksus: Wir sind nicht besser zu unserem inneren Kind wie die Anderen: Wie blöd ist das denn!
Lobe Dein inneres Kind ganz so, wie es war (und ist):
Frage Dein inneres Kind, wie es sich seine Zukunft vorstellt. Frage es, was es will vom Leben. Stell Dir vor, es ist drei Jahre alt, sechs Jahre alt, zehn Jahre alt. Was ist da, bevor die Pubertät einsetzt? Was ist seine Motivation, seine Leidenschaft, sein Weltbild? Hier einige Beispiele:
Max
„Was möchtest Du tun, kleiner Max?“
„Ich möchte groß und stark werden, möchte viel können und viel erleben, möchte glücklich sein, von meiner Familie geliebt werden und lauter schöne Sachen erleben.“
„Was musst Du beachten, um das zu erreichen, lieber Max?“
„Keine Ahnung… Ich denke, da werden meine Eltern für sorgen, dass sich meine Wünsche erfüllen. Die lieben mich ja, und Oma und Opa lieben mich auch.“
Marie
„Was möchtest Du tun, kleine Marie?“
„Ich möchte alles richtig machen, klug und fleißig sein, hübsch sein, anmutig und allen Menschen gefallen. Ich möchte, dass Mama und Papa stolz auf mich sind und Oma und Opa auch.“
„Was musst Du beachten, um das zu erreichen, liebe Marie?“
„Ich lausche stets darauf, was meine Umgebung von mir will. Familie, Lehrer, Freundinnen, Nachbarn, Jungen… Dann überlege ich, ob ihre Wünsche auch mit den Vorgaben meiner Familie zusammen passen. Wenn nicht, versuche ich, zu fliehen. Wenn ich nicht fliehen kann, versuche ich, mich zu wehren“
Felix
„Was möchtest Du tun, kleiner Felix?“
„Ich möchte der Beste der Besten sein, möchte überall Leistung bringen und verdiente Belohnungen dafür erhalten. Ich möchte Erfolg, Besitz, eine tolle Familie. Ich möchte der Welt zeigen, wer ich bin und was ich kann. Ich möchte Sportler sein und erfolgreicher Geschäftsmann“.
„Was musst Du beachten, um das zu erreichen, lieber Felix?“
„Ich raste nicht und verachte Nichtstun. Alles, was ich den ganzen Tag über tue, hat ein Ziel, einen Sinn. Ich bin ordentlich und gewissenhaft. Ich lese Bücher, aus denen ich lerne und schaue mir Sendungen an, die mich weiterbringen. Meine Eltern sind stolz auf mich – und Oma und Opa auch“.
Geschichten aus Grimms Märchen und dem Struwelpeter. Der verwöhnte Hans, der tüchtige Königssohn und die fleißige Goldmarie.
Doch nun zu mir – Was will denn ich? Was antwortet MEIN inneres Kind?
Eva
„Was möchtest Du tun, kleine Eva?“
„Ich möchte meine Ruhe vor der Welt da draußen, möchte allein sein und in meiner Fantasiewelt leben. Ich möchte auch als Erwachsene noch so leben können. Es soll nie anders sein. Ich möchte frei sein von dem, wie die Welt an mir zieht und mich bedroht.“
„Was musst Du beachten, um das zu erreichen, liebe Eva?“
„Ich muss mich unauffällig geben unter Menschen, muss so unsichtbar wie möglich sein. Wenn ich unsichtbar bin, übersehen sie mich und lassen mich in Ruhe. Ich lehne mich schutzsuchend an die Menschen, die mich mögen. Ich gehe den Menschen, die mich bedrohen, aus dem Weg.“
Wünsch Dir was
So viele Menschen, so viele Leben, so viele Wege und so viele Farben. Wenn Du mit Dir als Kind uns Gespräch kommst und Dich fragen kannst, was Du Dir wünschst, bist Du Deinem Ziel, Dich bedingungslos zu lieben, ein ganzes Stück nah. Nur wer sich selbst bedingungslos liebt, als Max, als Marie, als Felix, als Eva…. Kann Angst, Verlust, Krankheit, Schuld, Scham und Versagen annehmen.
Wir Selbstliebende meiden nicht die schmerzvollen Momente, wir umarmen sie und sorgen für sie wie für unser eigenes Kind. Wir schicken die Krankheit nicht fort. Wir nehmen sie an wie unser eigenes Kind. Wir lieben uns bedingungslos mit all dem, was das Schicksal uns beschert.
Als Max, als Marie, als Felix, als Eva… Denn wir wissen, dass es unsere Welt ist, in der wir leben. Unsere Abenteuer, unsere Herausforderungen, unsere Lektionen und unsere Aufgaben. Vielleicht sind wir nicht auf die Welt gekommen, um ausschließlich Lust und Spaß zu erleben. Wir haben Verantwortung für unser Leben wie für unsere eigenen Kinder. Oder wie für ein Kinderdorf mit lauter kleinen Waisenkindern. Alles, was da ist, gehört in unser Kinderdorf.
Klein und groß, stark und schwach, bequem und unbequem, gefährlich und freundlich. Wir lieben unsere Kinder wie uns selbst. In guten und in schlechten Zeiten. In Gesundheit und Krankheit, Erfolg und Not.
Wir bemühen uns, niemanden zu bevorzugen und niemanden abzuwerten. Unser Kinderdorf soll frei sein von Mobbing. Und wir lieben es, als Kinderdorf-Leiter/In immer souveräner, liebesfähiger, gutmütiger und gelassener zu werden. Es gibt nichts Fremdes auf dieser Welt. Es ist alles unser Dorf, unser Reich, unsere Welt. Und unser Dorf wird schöner und schöner und schöner – bis zum letzten Atemzug.
Amen.