Eine Geschichte aus der Schreibwerkstatt

Es gibt für uns Menschen drei Wege, zu Weisheit und innerem Frieden zu kommen: 1. Durch Erfahrung, das ist der Bitterste, 2. Durch Nachahmung, das ist der Bequemste – und 3. Durch Selbsterforschung – das ist der Edelste. (Konfuzius – Zitatabwandlung meinerseits). Ich bin umgeben von Menschen, die Therapien wählen, um ihrem Leid zu entkommen. Ich persönlich priorisiere die beständige Selbsterforschung, und dabei ist das Schreiben über allem zu preisen. Lust auf eine kleine Übung aus der Schreibwerkstatt?

Die Schreibwerkstatt

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

In jeweils vierwöchigen VHS-Kursen treffen wir uns einmal in der Woche abends mit unserer Kursleiterin Judith Greiß, um gemeinsam zu schreiben und das Geschriebene in der Gruppe vorzulesen. Je länger wir Kursteilnehmer dabei sind, desto mehr verändern sich unsere Texte. Früher oder später vergeht die besorgte Suche nach Anerkennung – und dann geht es so richtig los: Selbsterforschung durch fiktionale Texte ist meiner Erfahrung nach die edelste aller Möglichkeiten, sich selbst zu „therapieren“ und zu innerem Frieden und Weisheit zu gelangen. Natürlich muss man dafür nicht unbedingt in einer Gruppe gemeinsam schreiben, aber schön ist es schon – hier ein Appetithäppchen vom letzten Kursabend:

Thema Personifikation

Aus der Gruppe war zuvor der Wunsch entstanden, sich einmal darin zu üben, einem Gegenstand oder einem Tier menschliche Eigenschaften zu verleihen. Jede/r von uns fand einen ganz individuellen Ansatz. Ich persönlich wählte einen „Gegenstand“, mit dem ich mich in meiner ganzen Person am Besten identifizieren kann: Mit einer Feder, die durch ihr Leben treibt.

Ich verstehe, wenn Menschen sich Autoritäten zuwenden, die auf seelische Leiden spezialisiert sind. So wie man bei körperlichen Leiden den Arzt oder die Ärztin aufsucht, wählt man bei psychischen Problemen den/die Psychotherapeuten/In. Das ist eine hervorragende Möglichkeit, um Zugang zu bekommen zu Ursachen, Lösungswegen, Persönlichkeitsentwicklung.

Doch irgendwann ist die Therapiezeit vorbei – und da empfehle ich die beständige Selbsterforschung durch Schreiben, Malen, Gestalten, Schauspielen – kurz, durch künstlerischen Ausdruck…

Wer Lust hat, mag vielleicht mit der kleinen Schreibübung beginnen, die wir am Donnerstag von Judith Greiß (sie ist auch systemische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin) erhielten. Ich möchte diese noch mehr spezifizieren:

„Wärest Du mit Deiner ganzen Persönlichkeit ein Gegenstand, wer oder was wärest Du? Erzähle eine Geschichte zu Deiner ganz eigenen Personifikation.“

Es können Stichwörter sein, zwei oder drei Sätze, ein Märchen, eine sachliche Abhandlung… wer schreibt, sucht in der Regel nicht nach Anerkennung – sondern ist auf der Suche nach sich selbst. Und hier meine Geschichte von Donnerstagabend:

Das Fähnchen im Wind

Kapitel 1

Es war einmal ein Fähnelein, ein Fähnelein klein, so weiß und rein, kein Stäubchen durfte auf ihm sein.

Es flog so hin, es flog so her, mal wurden ihm die Flügel schwer, mal trieb es in den Himmel hoch – und wieder runter auf den Grund.

Dann seufzte das Fähnlein und putzte sich sauber. Es runzelt die Stirn, es runzelt den Kiel. Das Fähnelein im Winde.
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„Du bist wie ein Fähnlein im Winde“. Mario seufzte, schüttelt den Kopf und runzelt die Stirn. Seine Mama muss lachen. „Ja, da hast Du Recht, lieber Junge. Ich weiß schon gestern nicht mehr, was ich vorgestern glaubte.

Weil ich gestern was erlebte, was alles verändert – und zack, fühle ich heute das Gegenteil dessen, was ich vor dem Gestern noch so sicher und fest vertrat. Nun bin ich gespannt auf das morgige morgen – und jeden Tag, den ich noch hab’….“

Kapitel 2

Das Fähnlein lässt sich auf einer Zeitung nieder, kein Lüftchen weht, sodass Ruhe entsteht. Das Fähnlein kann lesen, ein Wunder! Kann sehen, verstehen die Worte. „Schützet die Fliegen!“

Ein Flieglein lässt sich neben dem Fähnelein nieder, es putzt sich die Flügel und wartet ein wenig. Das Fähnlein schaut rüber – schau schau, es kann sehen! – es fängt an zu lieben – und zack, ist das Fliegelein schon wieder fort.
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Mario erholt sich von seiner Mudda bei seiner Familie, die einfach und sicher, ohne die Unwägbarkeiten des Wechsels. Ohne das Hin – und – Her – und – Hin…

Mudda spricht draußen auf einer Mauer mit einem Bettler über den Sinn. Lässt sich belehren von seinen Lehren, denn nur, wer gelitten, kann ein wenig versteh’n.

Kapitel 3

Das Fähnlein malt mit seinem Gefieder auf eine Leinwand aus Lehm und aus Stroh. Oben ein Monster, darunter ein Eimer, daneben der Brunnen mit Wasser darin. „Ein Loch ist im Eimer, mach’s zu dumme Liese, womit denn? Mit Stroh – doch das Stroh ist zu lang.“ Kein Wasser, keine Rettung, nur Dürre und Tod. Das Monster lacht brüllend. Das Fähnlein bewundert sein braunbeiges Werk. Es ist vollbracht.
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Mama ist sauer. Die Menschen sind faul! Ein Loch ist im Eimer, sie verdursten neben Brunnen. Sie torkeln zum Abgrund, mal so und mal so. Ihr Sohn seufzt ergeben, morgen wird sie wieder retten. Es lohnt nicht, zuzuhören, es ist mal so und mal so.

Kapitel vier

Das Fähnlein erhebt sich zur strahlenden Sonne. Es fliegt immer höher, wo die Engelein wohnen. Man freut sich dort droben über Fähnleins Besuch. Abwechslung im Himmel ist immer willkommen. Das Fähnlein tankt Kraft. Das fällt ihm nicht schwer.
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Mama sitzt im Park, sie muss nicht lang warten. Man setzt sich zu ihr, sie tut einfach gut. Strahlt mit den Augen, strahlt so wie zwei Kerzen, gutmütig hört sie die Klagen sich an. Sie stellt manchmal Fragen, sie deutet und irrt sich. Erklärt, was sie fühlt bei des anderen Wort. Manchmal provoziert sie, manchmal kritisiert sie, doch sie tut gut, warum, weiß ich nicht.

Mario konnte die Mudda begleiten, als sie den letzten Atemzug tat. Ganz sanft schlief sie ein, bei Schwestern und Pflegern, so welk im riesigen Bett – ach so klein. Nun ist sie verschwunden, enthoben, verweht. Mario weiß, dass es ihr gutgeht, dem ewigen Fähnlein im Winde.

Kapitel fünf

Das Fähnlein spürt, es ist alles anders – so wirklich anders, es ist nun vorbei. Nun kehrt Ruhe ein in des Lebens Gewimmel, nun ist endlich Frieden, und alles bleibt still.

Fähnlein und Mama reisen gemeinsam. Fähnlein als Wolke, Mama als Geist. Geist ist Wolke, und Wolke ist Geist. Für immer und ewig, wie es so schön heißt.

Letztes Kapitel

Schlafe, mein Seelchen, schlaf, Mutter Erde, schlafet ihr Menschlein und alles, was ist. Schlafet für immer, vereinigt mit Allem, schlafet, vergesset, was gewesen mal ist.

Alles verbunden, alles ist eins. Schlafet den traumlosen Schlaf. Keine Zeit, kein Gericht, kein Paradies, keine Hölle. Egal, was mal war, es ist niemals mehr nicht. Nie wieder, nie wieder, nie wieder ist nicht.

Eva Ihnenfeldt, 19. September 2024

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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