Martha bügelt die Uniform ihres Ältesten. Sie kommt sich vor wie eine Mutter aus den Jahren des 1. Weltkrieges. Nun ist es also so weit. Ihr Kevin zieht in den Krieg gegen die Russen. Kevin sitzt auf dem Sofa und starrt auf sein Handy. Rasend schnell fliegen die Finger über den Bildschirm.
Kriegsvorbereitung im Jahr 2028: Sich motivieren, indem man feindliche Angreifer in einem Smartphone-Game vernichtet, bevor es dann so richtig losgeht. Kevin zieht in den Krieg. Über die Kopfhörer beschallt der Achtzehnjährige sein Gehirn mit animierenden Techno-Rhythmen und orgastischen Abschusssalven. Kevin zieht in den Krieg.
Martha denkt nicht mehr darüber nach, wie es so weit kommen konnte. Es ist zwecklos. Sie bügelt, weil gebügelt werden muss. Ab und zu schielt sie heimlich zu ihrem Sohn – ach, er ist so ein lieber Junge, so zart, so jung und so verletzlich.
Kevin hat es nie leicht gehabt. Schon in der Grundschule wurde er verhöhnt von seinen Mitschülern, weil er etwas dicker war und ungeschickt beim Sport. Auch die Lehrer schienen nicht viel von ihm zu halten. Kevin hatte Schwierigkeiten beim Rechnen, und Martha hatte keine Zeit, ihm zu helfen. Und überhaupt, sie hasste es, zu rechnen.
Martha musste viel arbeiten, um ihre zwei Söhne durchzubringen. Hartz IV kam für sie nicht infrage. Neben dem Vollzeitjob in einer Wäscherei ging sie noch putzen. Trotzdem war es immer knapp. Manchmal saß Martha bis in die Nacht am Küchentisch und rechnete. Wie sollte sie alle Rechnungen bezahlen und trotzdem noch genug Geld für Lebensmittel und alles Andere übrighaben?
Am Schlimmsten war es immer am Jahresanfang, wenn die Jahresabrechnungen kamen. Energie- und Wohnkosten stiegen ständig. Martha hatte dann schon mal Panikanfälle. Sie bekam Medikamente gegen ihre Angststörungen, aber bei so einem Panikanfall half gar nichts. Auch nicht das Wissen, dass die Anfälle vorübergehen. Panikanfälle sind wie Waterboarding. Man erstickt, ertrinkt, zerreißt innerlich. Man stirbt den Tod des Soldaten.
Martha denkt nicht mehr. Martha bügelt. Martha hört auch nicht mehr zu, wenn sie im Fernsehen und Internet berichten über den nahenden Sieg, die heldenhaften Soldaten, das opferbereite Volk, den zu vernichtenden, verachtenswerten Feind. In den kriegsrelevanten Regionen des Landes ist kaum noch ein Überleben möglich – alles ist zerstört. Die Armeen stehen sich im Häuserkampf gegenüber, es muss furchtbar sein. Die Zivilbevölkerung ist größtenteils auf der Flucht – nur einige Alte haben sich geweigert, ihre Heimat zu verlassen.
‚Gut, dass wir in einer Kleinstadt abseits des Krieges leben‘ denkt Martha. Kevin allerdings nützt das wenig. Kevin muss nun los. Kevin zieht in den Krieg.
Geschichte von Eva Ihnenfeldt, 15. Juni 2024