Coaching-Plan: Raus aus der „Komfortzone“

Einige nennen es „Komfortzone“, andere nennen es Depression. Tatsache ist, dass in diesen Lebensphasen keine Kraft bzw. kein Wille besteht, sich auf die Wanderschaft nach etwas Neuem, Unvertrauten zu begeben. Verständlich! Da ich Menschen coache, deren Komfortzone leidvoll ist und ihnen erheblichen Kummer bereitet, ist es meine Pflicht, immer besser darin zu werden, ihnen dabei zu helfen, sich in das Unbekannte zu wagen. Dafür braucht man nicht nur Kraft, sondern auch Selbstvertrauen, eine Portion Verrücktheit, Mut – und ganz viel Versöhnung mit der Vergangenheit und Gegenwart.

Eva Ihnenfeldt

Die Menschen, die ich begleiten darf, haben verschiedene Formen von Depressionen. Ob unbewegliche Komfortzone oder leidvolle Depression, so groß sind die Unterschiede gar nicht. Wie mir vor einigen Tagen einer meiner geliebten Coachees erklärte: „In meiner Depression lebte ich in meiner eigenen Phantasiewelt. Ohne menschliche Kontakte, ohne Außenwelt, ohne Geld, ohne Willen. Nun bin ich aufgewacht und sehe das ganze Negative in der Welt. Also so toll ist das auch nicht…“

Verständlich oder? Also wie will ich coachen, ohne jemanden in meine Richtung zu drängen? Akzeptanz für alles ist meine Grundhaltung. Coachee hat keinen Bock mehr auf Veränderung und fällt in Gewohntes zurück? Ist ok. Behörden werfen Steine in den Weg? Ist ok. Am Schluss ist alles schlimmer als zuvor? Ist ok. Eva hat komplett versagt? Ist ok. Wunder geschehen und Mauern verschwinden dauerhaft? Ist ok.

Nun können wir starten.

1. Phase des Coachings – Entspannung.
Zunächst geht es darum, einfach bewertungsfrei zuzuhören. Ich darf mir keine eigene Meinung bilden, sauge die Worte des Coachees auf wie klares Wasser. Immer wieder stelle ich Verständnisfragen, um tiefer zu graben nach dem Quell des Verstehens. Anekdoten und Erinnerungen lasse ich zu, auch wenn sie mir zunächst langweilig erscheinen. Storytelling ist wichtig! Die Kunst dabei ist, den Goldstaub in den Geschichten herauszufiltern.

Manchmal kann es hilfreich sein, dass ich nun auch von mir und meiner Kindheit und meiner Persönlichkeit erzähle. Doch nicht immer. Manche Coachees haben das Bedürfnis nach „Gerechtigkeit“. Sie wollen sich verständlicherweise nicht alleine entblättern – da schafft meine eigene Offenheit Vertrauen.

Andere nehmen mich gar nicht so sehr als real existierenden Menschen wahr. Für sie bin ich eher eine Art Projektionsfläche oder wie ein sprechender Spiegel. Bei diesen Menschen ist die Kunst, dass sie sich nach und nach selbst coachen können. Wenn ich gut bin, kann ich sie ermutigen, selbst ihre Veränderung zu finden und in kleine Schritte aufzuteilen. Doch da, wo Begegnung und Berührung stattfinden kann, sind es Liebe und Vertrauen, die zu Erkenntnis und Tatkraft führen. Beide Verläufe sind gleich ok – nur anders.

2. Phase des Coachings: Versöhnung und Vision
Nun sollte die Versöhnung kommen mit allem, was da ist. Ich bin ok, Du bist ok, alles da draußen ist ok. Mit selbst als Begleiterin hilft es, mein persönliches Elternritual von mir auf meine Coachees zu übertragen (heimlich für mich allein sage ich es zu Hause auf). Hat Jemand eine schreckliche Kindheit mit Folter und Missbrauch überlebt, bete ich für mich das Dankgebet für genau diese Mutter und diesen Vater. Genau sie waren die Richtigen, die meinen Coachee zu dem geführt haben, was und wer sie oder er geworden ist. Und das, was und wer mir da begegnet, ist wunderschön und kostbar.

Habe ich für mich die Wahrheit akzeptiert, dass das Elternritual auch für meine Klienten zutrifft, ist mein Coachee kein „Opfer“ mehr, sondern ein Kriegsveteran. Mein Mitleid wandelt sich in Respekt und Wertschätzung – er oder sie hat es überlebt! Respekt! Ich muss da nicht mal drüber sprechen (einige sind ja noch voller Hass auf ihre Eltern und dass sie so viel leiden mussten). Die Hauptsache ist, ich fühle es in mir: Respekt und Bewunderung für alle Überlebenden.

Die Legende vom brennenden Haus

Da gibt es die Legende vom brennenden Haus. Ein Wanderer erblickt ein brennendes Haus und ruft dem Bewohner im oberen Stock zu: „Verlasse das Haus! Es brennt!“ Doch dieser zögert. „Was erwartet mich da draußen? Ist es wirklich draußen besser als im Haus? Ist die Aufforderung ein Trick? Vielleicht fängt es an zu regnen und ich steh ohne Schirm draußen – während der Regen von allein den Brand löscht. Und überhaupt – übertreibt der Wanderer nicht ein bisschen?“ In der Legende geht der Wanderer kopfschüttelnd weiter. Wir Coaches tun das nicht.

Goldgräber

Wenn die Versöhnung mit sich selbst stattgefunden hat, folgt die Phase der Sinn- und Willensfindung. Nun heißt es zu graben nach dem Gold, für das sich ein Aufbruch lohnen könnte. Hier gibt es viele Möglichkeiten. Antriebsgeschwächte Menschen brauchen uns, damit wir ihre Hand führen. Wir unterstützen sie zart dabei, ihre Gedanken zu strukturieren und zu festigen. Wir hüten uns davor, ihnen unseren eigenen Ehrgeiz überzustülpen. Wir führen nur ihre Hand dabei, aus Gedanken-Wirrwarr Worte zu formen.

Alles ist erlaubt in diesem Prozess. Die Finanzen sind egal, die Barrieren sind egal, die Realisierbarkeit ist egal. Wir wagen es, das Unmögliche zu träumen. Es ist wie Magie.

Natürlich gelingt das nicht auf Anhieb. Man braucht Geduld und Sensibilität für den rechten Moment. Manchmal kommt dieser magische Moment erst nach 20 Stunden Coaching – manchmal kommt er gar nicht… Nichts erzwingen wollen, alles zulassen, das fällt manchmal schwer.

Hilfsmittel für die Erkenntnis der Vision:
Ich selbst arbeite nicht gern mit Methodenkoffern, habe ich festgestellt. Doch das liegt an mir. Jeder Coach ist anders. Es gibt unzählige Methoden und Techniken, um Menschen dabei zu helfen, ihren Traum zu finden: Karten, Fragen, Strukturen, Meditationen, Rollenspiele… Ich bewundere meine Kollegen, die damit arbeiten.

Ich selbst kann es nicht. Ich kann nur fühlen, denken, reden und handeln. Ich kann nur Aufrichtigkeit geben, analytischen Verstand, Respekt und meine Art von Liebe = Vereinigung für den Moment unserer Begegnung. Ist es vorbei, ist es vorbei ohne Anhaftung. Dann gehen wir wieder auseinander. (Meine Coachees vermissen mich in der Regel auch nicht nach unserem gemeinsamen Weg. Und darauf bin ich stolz. Bloß keine Dankbarkeit! Bloß keine Anhaftung!).

3. Phase des Coachings: Strategie und Umsetzung
Ist der „Sinn“ gefunden, kommt der einfachste und schwierigste Teil die 3. Phase des Coachings. Wir verlassen die Komfortzone und beginnen mit dem Training.

Der Coachingprozess ist wie ein Hausbau. Ausschachten. Fundament legen. Boden, Wände und Dach bauen, Leitungen legen… Super. Doch dann geht der Feinkram los. Diese mühseligen letzten 20 Prozent. So ist es auch beim Coaching. Je mehr wir zu den Gewohnheiten und Routinen kommen, desto schwieriger wird es, ernst zu machen mit dem Entschluss, die Komfortzone zu verlassen. Nun heißt es trainieren, trainieren, trainieren… Und das jeden verdammten Tag. Wie Bruce Lee es als Kampfsportler tun musste – Tag für Tag für Tag…

Woher die Disziplin nehmen?

Da haben wir die Disziplinierten, die schon als Kind Pflichten und Programme erfüllen mussten bzw. Glücksgefühle daraus gezogen haben, dass Mama und Papa sie liebteb und förderten. Die Sportler, die Musiker, die Leistungsbringer in der Schule, die „Kinderarbeiter“ die ihren selbstständigen Eltern halfen. Manche von ihnen verweigern sich irgendwann und kehren die Richtung um – doch die meisten sind auch als Erwachsene erfolgreich. Werden sie krank, landen sie nicht bei uns, nicht in der Langzeitarbeitslosigkeit.

Bei uns landen eher die Schulversagen, die Gemobbten, die Verwöhnten, Ungeliebten, die Vernachlässigten. Die, die aus Bitterkeit und  Schmerz heraus kaum noch Tatkraft in sich haben, und die, die nie gelernt haben, was Disziplin ist. Ein Kind kann vielleicht dazu gebracht werden, jeden Tag Geige zu üben – aber wer fängt schon als Erwachsener damit an und hält durch?

Nun brauchen wir Coaches viel Geduld, Autorität, Konsequenz und Professionalität. Nun mutieren wir zum Personal-Coach. Sei es Ernährungsumstellung, sei es Tagesstruktur, sei es berufliche Weiterbildung, sei es intelligente Reflektion, sei es Selbstwirksamkeit – nun geht es um regelmäßiges Training und messbare Fortschritte.

Wir entwerfen Trainingspläne mit unseren Coachees, wir entwickeln Erfolgskontrollen, wir besprechen spürbare Konsequenzen bei Verstößen gegen die gemeinsam festgelegten Regeln. Wir schaffen regelmäßige Feedback-Zonen, in denen der Coach ebenso vom Coachee bewertet wird wie der Coachee vom Coach.

Regel Nummer Eins für Feedback-Runden: Immer erst das Gute/ Gelungene aufzählen, dann das Schlechte/ Misslungene – dann die Erkenntnis aus dem Ganzen: „Was hat es mir gebracht“.

Der Notfallplan

Wir entwickeln gemeinsam Notfallpläne für Krisen, wir führen Tagebuch (ja, auch ich), im Zentrum steht immer und immer der Trainingsplan und dessen Weiterentwicklung, wir sammeln Dinge, die in Schwäche stärken und in Phlegma „erziehen“. Wir suchen nach Möglichkeiten, immer wieder den Sinn zu definieren, das Ziel, die Vision. Das ist das Schwierigste im Coaching-Prozess: Was können wir tun, damit der uns Anvertraute auch später ohne uns zurechtkommt und nicht zurückfällt in die alte „Komfortzone“? Darüber schreibe ich noch einmal später ganz detailliert. Da muss ich noch viel lernen…

Grundsatz beim Coaching: Zeige Deinem Coachee (und praktiziere es selbst), dass wir alle Gestalter unserer Realität sind. Beweise durch Deine Haltung, dass auch seine Ausstrahlung auf seine Umgebung wirkt. „Glaube ich an den Sinn und das Gute, steckt das auch meine Mitmenschen an.“ Führe bei jedem Gespräch vom Traurigen ins Freudige. Klagt Dein Mitspieler im Onlinegame über die Arbeit, frage ihn, was denn gut war an diesem Tag! Jammert Deine Mutter über ihre Schmerzen, lobe sie dafür, dass sie so schön angezogen ist. Leidet Dein Kind unter der Schule, schreibe täglich mit ihm gemeinsam alles auf, was glücklich gemacht hat an diesem Tag.

Konzentriert sich Dein Gegenüber auf das Gute, ist er motivierter, mutiger, hat mehr Selbstvertrauen. Schaffe immer und überall Vertrauen. Ohne Vertrauen geht gar nichts. Und Vertrauen beruht auf der Fähigkeit zu lieben.

Thema „Mitleid“

Zum Schluss noch eine kurze Expedition zum Thema „Mitleid“. Menschen die sich nach Mitleid sehnen sind Menschen, die sich nach Aufmerksamkeit sehnen. Eigentlich geht es ihnen nicht darum, dass sich ihr Gegenüber in sie einfühlen kann. Dazu sind sie viel zu gefangen in ihrem eigenen Kosmos. Sie sind süchtig nach Aufmerksamkeit, da sie keinen echten Zugang zu anderen Menschen finden können. Natürlich gibt es auf der anderen Seite auch Menschen, die gern helfen und denen es guttut, Mitleid zu empfinden. Treffen diese beiden Menschentypen aufeinander, können sie sich wunderbar ergänzen.

Doch die meisten Menschen sind von den Mitleidheischenden unangenehm berührt. Sie haben das Gefühl, dass ihnen ihre Energie ausgesaugt wird von dem Mitleidheischenden. Nach kurzer Zeit verwandelt sich häufig das anfängliche Mitleid in Abneigung und Langeweile – die mitleidabhängigen Menschen werden gemieden und verkapseln sich noch tiefer in ihrem Unglück und ihrer Einsamkeit.

Was kann ein Coach tun, um solchen in sich verkapselten Menschen zu helfen? Wie oben beschrieben: geduldig zuhören ohne zu bewerten. Alles zulassen, ohne eigene Meinungen zuzusteuern. In sich wahrnehmen, dass auch dieser gequälte Mensch ein Held ist, ein Überlebender, ein Seelen-Gigant. Dann ist alles ganz einfach. Es sei denn, der Energiehungrige wohnt nebenan oder ist ein Familienmitglied… Dann muss man wohl oder übel Grenzen ziehen und lernen, „Nein“ zu sagen. Welch herrliche Übung! Bei Bettlern trau ich mich sogar ab und zu, die milde Gabe abzulehnen mit den Worten „Sorry, aber ich will nichts geben“. Ist immerhin ehrlich! Aber das trau ich mich wahrlich nicht immer …

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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