Filmemacher Klaus Stern („Versicherungsvertreter“): Suche Visionäre und Größenwahnsinnige…

MEG Party in Melsungen 2007: Mehmet E. Göker ist der Dritte von links

Was haben Andreas Baader, der Bürgermeister einer nordhessischen Kleinstadt und ein Versicherungsverkäufer gemeinsam? Was ist es was den Filmemacher Klaus Stern antreibt, wenn er diese – und andere – Menschen und Unternehmen beobachtet und Filme produziert, die uns unmöglich unberührt lassen? Warum hat der Film „Versicherungsvertreter“ nun auch den Helmut Schmidt Journalistenpreis gewonnen und  was ist das überhaupt: „Größenwahn“? SteadyNews sprach mit Klaus Stern über seine Motivation und seine Filme.

SteadyNews:Herr Stern, ich habe die Fragen ein bisschen aufeinander aufgebaut wie einen Marketingplan. Darum die erste Frage. Was ist Ihre „Unternehmensvision“? Warum gibt es STERNFILM und was ist das Alleinstellungsmerkmal Ihrer Filmprojekte?

Klaus Stern: Zusammengefasst könnte man sagen: Ich suche Größenwahnsinnige – vor allem bin ich spezialisiert auf Größenwahnsinnige aus dem nordhessischen Raum. Ich finde es bemerkenswert, dass in diesem ehemaligen

MEG Party in Melsungen 2007: Mehmet E. Göker ist der Dritte von links

MEG Party in Melsungen 2007, v.l.n.r.:, Frank Kettnaker, , Vertriebschef der Alten Leipziger / Hallesche;  Oliver Kuhlmann, Vertriebschef der Gothaer; Mehmet E. Göker, Gernot Schlösser,  AXA-Vorstandschef (m); Bernhard Lüneborg, Vertriebschef der Hallesche Krankenversicherung; Roland Zimmer, Chef der AXA Krankenversicherung; sternfilm// © Ulf Schaumföffel

Zonenrandgebiet so viel Menschen leben, die an etwas Großes glauben und die etwas aufbauen – aber auch oft genug damit scheitern. Ich will zeigen, wie Politik im Hintergrund funktioniert.

Meistens setze ich bei meinen Filmen bei aufsteigenden Projekten an, und oft genug erlebe ich während der Dreharbeiten (die manchmal über Jahre gehen) auch den Niedergang. Wenn ich eine Produktion beginne denke ich immer ergebnisoffen. Ich versuche meinen Protagonisten gegenüber fair zu sein. Es geht eigentlich noch weiter: Ich muss meine Protagonisten lieben, sonst kann meine Arbeitsweise nicht funktionieren.

SteadyNews: Der aktuelle Hit ist ja nun immer noch der Film „Versicherungsvertreter“ – seit Kurzem kann man die DVD kaufen. Der Film lief in der verkürzten Version schon häufiger im Fernsehen, und jeder der in den Genuss kam, muss anschließend darüber reden. Es ist so unglaublich, wie sektiererisch Mehmet Gökers Reich aufgebaut war, wie bedingungslos ihm seine Versicherungsverkäufer folgten, und wie das Zusammenspiel von Krankenversicherungen, Politik und dem „Größenwahnsinnigen“ Mehmet G. funktionierte. Wer diesen Film kennt, weiß schon eine ganze Menge über die Fädenzieher im Hintergrund…

Klaus Stern: Dazu kann ich eine schöne Geschichte erzählen. Jetzt läuft ja der Gerichtsprozess gegen Mehmet Göker und ich war vor einigen Tagen dort (Mehmet Göker selbst war natürlich nicht erschienen). Der Richter sprach mich an: „Übrigens habe ich ja Ihren Film gesehen, ganz famos. Jeder der über Mehmet Göker reden will, muss eigentlich diesen Film sehen.“ Darauf der Staatsanwalt: „Und jetzt ist auch die DVD heraus gekommen. Die kann man jetzt kaufen“. Das war schon toll, so etwas erlebt man wirklich nicht alle Tage.

SteadyNews: Die nächste Frage: Was ist Ihr Motiv? Sie können ja von STERNFILM gut leben – aber Geld verdienen ist selten eine tragende Unternehmensvision. Was treibt Sie und was ist das Ziel?

Klaus Stern: Ach so viel ist das eigentlich nicht. Ich bin kein Weltverbesserer und will da nichts Großartiges erreichen. Ich will unterhalten, und ich freue mich, wenn Menschen aufgewühlt aus dem Kino kommen, diskutieren und eine Meinung bekommen. Eigentlich will ich nur zum Nachdenken anregen. Bewusstheit schaffen ist mein Ziel.

SteadyNews: Zielgruppe Ihres Unternehmens sind ja die Protagonisten, also vor allem „Größenwahnsinnige“. Wie schaffen Sie es, dass sich der Bürgermeister Henner Sattler von Ihnen zweieinhalb Jahre filmen ließt, wie gewinnen Sie Mehmet Göker dafür, sich freiwillig von Ihnen so vorführen zu lassen – kennen diese Menschen Ihre Filme nicht und haben keine Ahnung, worauf sie sich einlassen?

Ich kenne Menschen aus der Gemeinde Beberbeck in Nordhessen die wissen, wie menschlich enttäuscht ihr Bürgermeister Henner Sattler von Ihnen ist – das ist mir unbegreiflich. Diese Posse aus der Provinz konnte doch nur tragisch komisch enden – war ihm das wirklich nicht bewusst?

Klaus Stern: Menschen mit Visionen sind wahrscheinlich so überzeugt von ihren Projekten, dass sie ein mögliches Scheitern gar nicht in Betracht ziehen. Auch wenn in meinen Filmen die meisten Projekte scheitern sind sie überzeugt davon, dass ihnen das nicht passieren wird. Henner Sattler wusste bei Drehbeginn sehr wohl wer ich bin und was ich tue. Aber er glaubte so sehr an das „Größte Tourismus Projekt Europas“ in seiner nordhessischen Kleinstadt, dass er sich völlig öffnete – so entstand ein Film, der ein Lehrstück ist über Politik, Wirtschaft und die Gewinnung von Geldgebern für wirtschaftliche Projekte.

SteadyNews: Wie genau gehen Sie vor um Ihre Protagonisten zu überzeugen? Was passiert weiter, damit ein Film entsteht?

Klaus Stern: Erst einmal muss ich natürlich überhaupt die richtigen Menschen entdecken. Dann rufe ich sie an, wir treffen uns und ich bin ganz offen mit dem, was ich vorhabe. Ich gebe ihnen Filme von mir mit und einige Zeit später hake ich nach. Wir entwickeln gemeinsam einen Zeitrahmen (bei „Henners Traum“ waren es zweieinhalb Jahre). Ich erstelle ein Expose und werde als Produzent tätig. Das heißt ich kümmere mich um die Finanzierung – um die Filmförderung.

Dann wird das Drehbuch geschrieben, wir drehen mit einem Kameramann (das mache ich nicht selbst), und am Ende werden aus etwa 100 Stunden Filmmaterial 90 Minuten Film. Für den Schnitt arbeite ich mit einer Cutterin zusammen, aber selbstverständlich bin ich die ganze Zeit beim Schnitt mit dabei. Der Aufwand für die Finanzierung und den Vertrieb liegt bei etwa 35 Prozent des Projekts, Drehbuch und Dreh – und dann der Schnitt sind in etwa gleichaufwändig.

SteadyNews: Und wie vertreiben Sie Ihr Produkt?

Klaus Stern: Der Filmverleih übernimmt den Vertrieb für die Kinos, ich selbst spreche viel mit Journalisten. Eine Freundin von mit pflegt die Facebook Fanpage von „Versicherungsvertreter“ und eine andere Freundin übernimmt den Direktvertrieb der DVD‘s. Diese kann man direkt über die Websites bestellen – jedes Filmprojekt hat eine eigene Website.

SteadyNews: Und nun zum Schluss noch wie immer: „Was wünschen Sie sich von den Lesern der SteadyNews?“

Klaus Stern: Falls Irgendjemand einen „Größenwahnsinnigen“ kennt, den ich für ein neuen Filmprojekt portraitieren und begleiten könnte, wäre es toll, wenn er/ sie mich anschreibt. Ich suche Menschen mit Visionen, die im aufsteigenden Teil einer großen Idee sind, die wirtschaftlich etwas „bewegen“ wollen und Dinge wagen, die man eigentlich nicht wagt. Wenn diese Visionäre dann noch in Nordhessen wohnen – um so besser! Ich verreise nicht so gern und arbeite am liebsten rund um meine Heimat Kassel.

SteadyNews: Vielen Dank für dieses Interview. Ich selbst nutze als Marketing Dozentin immer gern „Henners Traum“ und „Versicherungsvertreter“ um Grundprinzipien des Marketings zu erläutern und wünsche mir, dass noch viele andere Menschen diese Filme ansehen – es ist einfach genial völlig legal hinter die „Kulissen der Macht“ blicken zu dürfen.

Klaus Stern
Goethestraße 32, 34119 Kassel
TEL +49 561 18429
[email protected]
www.klausstern.de

 

 

Und hier noch ein hr-Beitrag zu „Henners Traum“ – für mich als Marketing Dozentin wunderbar, um zu belegen, wie wichtig die Politik für den Erfolg sein kann…

3 thoughts on “Filmemacher Klaus Stern („Versicherungsvertreter“): Suche Visionäre und Größenwahnsinnige…

  • Reply Thomas Ludolph 18. Dezember 2012 at 15:20

    Die auf dem Artikelbild dargestellten Manager von privaten Krankenversicherungen sind größtenteils nicht mehr in ihrer damaligen Funktion tätig. Ob dies mit den enormen Forderungsausfällen in Bezug auf die MEG Pleite in Zusammenhang steht bleibt offen…

    • Reply Eva Ihnenfeldt 18. Dezember 2012 at 21:44

      Vielen Dank für die wichtige Anmerkung – und überhaupt…

  • Reply Detlef Schumann 23. Dezember 2012 at 22:44

    „Gier frisst Hirn“
    Leider fallen immer wieder Vorstände von Unternehmen auf findige Versicherungsmakler oder Vertriebe herein.
    Wenn ein Makler oder Strukturvertrieb seine Provisionen schon nach 12 Monaten verdient hat, ist es nicht schwer im folgenden Jahr den Vertrag des Kunden bei der nächsten Gesellschaft gegen neue Provision unterzubringen.
    Auf der Strecke bleiben dann oft die ehrlichen Ausschließlichkeitsvertreter.
    Leider gibt es kaum noch Versicherungsgesellschaften die sich auf ihren Exklusivvertrieb stützen.
    Jetzt hat die Politik die Haftungszeit auf 60 Monate erhöht und schon haben die Makler und Vertriebe als neues Verdienstfeld den § 204 VVG mit dem Tarifwechsel als Verdienstmodell für sich entdeckt.
    Da gibt es bestimmt wieder einige Vertriebsvorstände, die sich von Verkaufszahlen blenden lassen. Das dadurch die Tarifkalkulation der Krankenversicherer ad absurdum geführt wird und die Beiträge schneller steigen werden, ist zu befürchten.

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