In Deutschland gibt es die verschiedensten Interessenverbände. Mehr als 5.000 davon verfolgen vor Allem politische Interessen für ihre Mitglieder und betreiben Lobbyarbeit. Es gibt Berufsverbände, Verbände in der Wirtschaft, Wohlfahrtsverbände, Sport- und Hobbyverbände, Kulturverbände und Verbände mit gesellschaftspolitischen Zielsetzungen. In der heutigen Zeit wird Social Media für Verbände immer wichtiger, um den Mehrwert für ihre Mitglieder zu erhöhen, als Lobbyist die Verhandlungsmacht gegenüber Stakeholdern zu stärken, Förderprojekte zu generieren, Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen – und die Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit zu steigern. Im Folgenden einige Tipps, wie man als Interessenverband in Wirtschaft, Kultur, Freizeit und/ oder mit gesellschaftlichem Auftrag eine effektive Social Media Strategie entwerfen kann.
Welche Ziele setzt sich ein Interessenverband?
Interessenverbände finanzieren sich häufig zusätzlich zu den Mitgliedsbeiträgen durch Produkte wie Spenden, Zertifikate, Prädikate, Aus- und Weiterbildungen mit Prüfung, Events, Messen etc. Ihr ureigenes Interesse ist in jedem Fall die Gewinnung und Bindung von Mitgliedern. Nur ein starker Verband kann erfolgreiche Lobbyarbeit betreiben, und nur die Unterstützung der Mitglieder führt dazu, dass der Verband wächst.
Konnte man früher mit der „Mitgliedszufriedenheit“ wachsen, braucht es heute zunehmend eine richtige „Mitgliedsbegeisterung“, da durch die Auflösung traditioneller Strukturen auch das selbstverständliche Existenzrecht eines freiwilligen Verbandes sinkt: Ist das Mitglied nicht zufrieden, wechselt es den Verband – oder verzichtet auf die Interessenvertretung komplett.
Die unternehmerische Zielsetzung eines Interessenverbandes setzt sich zusammen aus Mitgliedergewinnung, Mitgliederbindung – und der erfolgreichen Vermarktung von Produkten und Projekten.
Wie kann Social Media bei diesen Zielsetzungen unterstützend wirken? Wie finden Verbände die passgenaue Social Media Strategie?
Strategieentwicklung für Verbände
Schritt 1: Motivieren und Ziele definieren
Im ersten Schritt ist es wichtig, die Motivation der Entscheidungsträger im Verband zu sichern. Denn es ist unmöglich, nur aus der Marketing- und PR-Abteilung heraus (übrigens haben viele Interessenverbände weniger als 10 festangestellte Mitarbeiter) eine erfolgreiche digitale Kommunikationsstrategie zu entwickeln. Das kann nur über alle Geschäftsbereiche hindurch gelingen – die aktive Mitarbeit der Akteure ist unumgänglich, wenn die interaktive Kommunikation mit Verbandsmitgliedern nachhaltig und überzeugend gelingen soll.
Schritt 2: Zielgruppen und Bedürfnisse analysieren
Im zweiten Schritt wird mit möglichst viele Funktionsträgern eine Zielgruppenanalyse erarbeitet:
- Welche bisherigen Erfolge bei der Mitgliederbetreuung waren besonders herausragend?
- Welche Ziele als Interessenvertretung sind besonders erfolgreich umgesetzt worden – was waren die Erfolgsfaktoren der erfolgreichen Lobbyarbeit?
- Wie setzen sich die Mitglieder zusammen- über welche Wege werden Mitglieder gewonnen – warum wurde gekündigt – wie lang ist die durchschnittliche Verweildauer im Verband – erfolgreichste Mitgliederakquise etc.
Schritt 3: „Persona“ definieren
Wie genau sieht das ideale Mitglied des Interessenverbands aus: Alter, Geschlecht, Berufsstand, Bildungsstand, Familienstand, Region, Interessen, Verhalten, Aktivitäten im Verband etc. – mündend in der der Feststellung: „Ich bin begeistertes Verbandsmitglied, weil…..“ (ca 300 Wörter).
Versuchen Sie, im Team mindestens drei solcher „Personas“ zu definieren und bildhaft auszugestalten. Beachten Sie, dass auch Funktionsträger – vor Allem, wenn sie ehrenamtlich tätig sind, eine solche Zielgruppe für die Social Media Strategie sind. Sie sollen sich gewürdigt, respektiert und bereichert fühlen. Gerade in Sportvereinen sieht man, wie schwierig es in der heutigen Zeit ist, ehrenamtliche Funktionsträger zu finden – auch ein Sportverein ist ja im engeren Sinne ein „Interessenverband“.
Eine dritte „Persona“ könnte ein Multiplikator, Entscheidungsträger, Stakeholder sein, der für die Lobbyarbeit des Verbandes entscheidend ist. Sie würden staunen, wenn Sie wüssten, wie interessiert und sorgsam so mancher Politiker oder Entscheider Ihre Webaktivitäten verfolgt! Gerade bei dieser sensiblen Zielgruppe ist es wichtig zu erkennen, wie man den potentiellen Unterstützern Mehrwert bringen kann. Sei es über ein Foto, ein Interview, einen Veranstaltungshinweis… Versetzen Sie sich in Ihren wichtigsten Influencer hinein, indem Sie ihn visualisieren und seine Bedürfnisse verstehen.
Schritt 4: Social Media Marketing Strategie entwickeln
Nachdem über diese Zielgruppenanalyse der Kundennutzen mit allen Beteiligten bei der Entwicklung der Kommunikationsstrategie lebendig und bildhaft erarbeitet werden konnte, kann die Strategie festgelegt werden. Eine Strategie ist stets die Taktik, der alle Maßnahmen untergeordnet sind. Da man es nie allen Zielgruppen zugleich recht machen kann, entscheiden Sie sich zunächst für eine explizite Zielgruppe: Mitglieder, Stakeholder, ehrenamtliche Funktionsträger, Mitarbeiter…
Die kreative Erarbeitung der Strategie ist wichtig, um nicht Zeit zu verschwenden mit überflüssigen Facebook-Posts und anderen Social Media Aktivitäten, die keinen Wert haben. Ein konservativer Verband wird strategisch vielleicht zu dem Schluss kommen, dass Facebook – wenn überhaupt – nur als Archiv für Pressemitteilungen, Veranstaltungshinweise und News genutzt wird, die zusätzlich auch über andere Kanäle verbreitet werden. Ein junger Verband wiederum wird vielleicht in einer geheimen, geschlossenen Facebook intensiv und „amerikanisch locker“ kommunizieren, ohne auf Etiketten und Standesdünkel Rücksicht zu nehmen. Egal, für welche Maßnahmen man sich letztendlich entscheidet, Grundalge ist die Strategie: Mit welchen Strategien werden wir welche unternehmerischen Ziele erreichen?
Zwei Beispiele für mögliche Social Media Strategien
Arbeitgeberverband Industrie/ stahlverarbeitendes Gewerbe
Diese Zielgruppe (mittelständische Arbeitgeber in der Industrie) erwarten vom Verband, dass er sie in tariflichen Auseinandersetzungen berät und vertritt, dass ihre Auszubildenden betreut werden, dass die Personalabteilung umfangreiche Weiterbildungen erhält für die HR-Politik – dass der Verband politisch die Interessen der Industrie-Arbeitgeber in der Region vertritt und häufig in der Presse etc. erscheint. Eventuell wünschen sich die Unternehmer auch ein exklusives Netzwerk, in dem man sich regelmäßig austauschen kann (in einem angemessenen Rahmen).
Social Media Strategie des Verbandes: Eine eigene Xing-Gruppe pflegen, weil die Personaler dort am aktivsten sind bei der Suche nach Talents.Von der Xing-Gruppe aus (man muss sehr viel selbst leisten – von den Xing-Gruppen-Mitgliedern kommt erfahrungsgemäß so gut wie nichts an Input) aus behutsam in eine interne Facebook-Gruppe umleiten, um gerade die Personaler unter 40 als Unterstützer und lebendige Community zu gewinnen.
Auf der Verbandsseite einen visuell attraktiven Social Media Newsroom mit den Aktivitäten des Verbandes – und, wenn gewünscht, auch der Mitglieder befüllen – gern automatisiert per RSS-Feed. Alle drei Monate könnte man an die Inhaber/ Geschäftsführer der Mitgliedsunternehmen einen persönlichen Brief senden mit den Erfolgen der letzten drei Monate – und einer Einladung zu einem „Unternehmer-Meeting“ – zu einem speziellen Thema, das die Unternehmer interessiert.
Freizeitverband: Verband für einen speziellen Freizeitsport mit Schwerpunkt auf Ausbildung, Zertifikate, Tipps und gemeinsame Unternehmungen
Die Mitglieder-Zielgruppe identifiziert sich sehr mit dem Sport und ist im Schnitt wöchentlich mindestens drei Stunden mit ihrem Hobby beschäftigt. Die emotionale Bindung an Verbandsmitglieder und die Ziele des Verbands ist sehr hoch – wenn auch die Bereitschaft, als Funktionsträger mitzuwirken, gering ist. Die Webaffinität ist hoch, da das Durchschnittsalter der Mitglieder um die 35 ist. Die politische Interessenvertretung spielt weniger eine Rolle – interessanter sind gute Plätze, Tipps und Gemeinschaftsaktivitäten für den Sport.
Social Media Strategie des Verbandes: Vom Newsletter aus (sehr hohe Öffnungsrate von 70 Prozent – mit bundesweitem Teil und regionalen Kategorien) werden gezielt Kampagnen gefahren, um die aktive Mitarbeit der Mitglieder im interaktiven Web zu fördern. Spaß, freundschaftlicher Wettbewerb und Stolz auf die eigenen Leistungen stehen im Vordergrund, um Kampagnen zum Erfolg zu bringen.
Facebook und eine interaktive Website, auf der man als Mitglied z.B. Urlaubstipps eintragen kann, sind Kern der Social Media Strategie. Man setzt auf Empfehlungsmarketing und verzichtet weitgehend auf die Ansprache externer Interessierter – es ist von außen auf den ersten Blick sichtbar, dass das Vereins- und verbandsleben der deutschlandweit agierenden Interessenvertretung professionell, anspruchsvoll, lebendig und voller praktischer Vorteile ist – diese sind aber nur für Mitglieder sichtbar.
Maßnahmenplanung bei der Social Media Strategie
Nachdem die Strategie gemeinsam erarbeitet und verabredet wurde, erfolgt die konkrete Maßnahmenplanung. Grundlage dieser Maßnahmenplanung sind Content-Marketing, Reaktionsprofil, Tonalität, Social Media Guidelines, rechtliches Wissen, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten. Eine Weiterbildung im Bereich Social Media ist für den- oder diejenige/n, die federführend die neue Kommunikationsstrategie verantworten, dringend anzuraten, um Kommunikations- und andere Fallen zu vermeiden.
Suchmaschinenoptimierung, Marktkenntnisse bei Agenturleistungen, Datenanalyse, Monitoring, Online-Marketing-Kenntnisse und andere Grundlagen müssen bekannt sein. Social Media ist anspruchsvoll und erfordert ständige Weiterentwicklung und den Aufbau eines Netzwerks aus Web-Influencern wie Bloggern und Twitter-Insidern. Social Media Experten sind täglich mit Recherche, Experten-Austausch, Forschen, lesen und teilen beschäftigt. Da sich in diesem jungen Marketingbereich in rasender Geschwindigkeit neue Möglichkeiten entwickeln, müssen Social Media Führungskräfte immer auf dem Laufenden bleiben.
Es empfiehlt sich, für die Content-Redaktion einen längerfristigen Plan zu entwickeln und so viel Struktur und Verlässlichkeit wie möglich in die Social Media Kommunikation zu bringen. Trotzdem ist es wichtig, genügend Freiraum zu lassen, um auf aktuelle Ereignisse reagieren zu können. Selbstverständlich müssen bei der Maßnahmenplanung selbstständige Verantwortlichkeiten geregelt werden – in einem Echtzeitmedium können redaktionelle Beiträge, Kommentare, Vernetzungen etc. nicht vor der Veröffentlichung vom Vorgesetzten abgesegnet werden. Neben der redaktionellen Planung ist es wichtig, Schulungen, Meetings und eine transparente interne Kommunikation zu planen, um weiterhin die Mitarbeiter zu integrieren, zu schützen und zu motivieren.
Eine Social Media Strategie im Verband ist kein Werbekanal, den man getrost einer Agentur anvertrauen kann, eine Verbands-Social-Media-Kommunikation ist eine grundlegende Erweiterung der Leistungen, die einen echten Mehrwert für die Zielgruppen darstellt. Darum ist es so entscheidend, gewinnorientierte Ziele an den Anfang zu stellen – sonst verliert man mit der Zeit die Lust und alles war umsonst.
Eva Ihnenfeldt
Marketing und Social Media
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