Die hier eingebettete arte-Dokumentation ist sehr aufschlussreich für alle, die sich für die menschlichen und ökologischen Konsequenzen der Fast-Fashion-Produktion interessieren. Tatsächlich hat sich der Wirtschaftszweig „Mode“ in den letzten Jahrzehnten unglaublich in die Höhe geschraubt. Viele Kleidungsstücke werden von den Konsumenten nur noch ein-, zweimal getragen, bevor sie wieder entsorgt werden. Die Dokumentation beleuchtet mehrere Aspekte dieser Entwicklung, die vielleicht noch am Ehesten vergleichbar ist mit der Entwicklung auf dem Möbel- und Dekomarkt. Auch hier werden vorwiegend Wegwerf-Produkte produziert, die sowohl bei der Herstellung als auch bei der Entsorgung der Umwelt Schaden zufügen. Und das häufig unter Arbeitsbedingungen, die brutal und ausbeuterisch sind – auch hier in Europa.
Was ist Fast Fashion?
Erfunden wurde „Fast Fashion“ von Zara, dem zentralen Tochterunternehmen des nordspanischen Konzerns Inditex. Jeden Monat (!) werden bei Zara dreiviertel der Kollektion ausgetauscht. Der Gründer von Zara und Inditex, Amancio Ortega, ist heute der reichste Mann Spaniens. Die Idee hinter Fast Fashion: Kollektionen wechseln so schnell, dass Kundinnen häufig wiederkommen wollen. Langeweile und Sättigung werden vermieden. Außerdem setzt Zara auf möglichst geringe Produkt-Preise, um die gefürchtete „Kaufreue“ der Fashion-Kunden/Innen zu vermeiden.
Ewigkeiten lang war Mode ein Privileg der Reichen. Luxus wurde nur von denen gelebt, die sich von der Masse abhoben. Das normale Verbraucher trug Kleidung aufgrund von praktischen Erwägungen, Rollen und Anlässen, viele Kleidungsstücke über Jahrzehnte.
Auch heute ist es noch sehr aufwändig, Luxus-Mode zu produzieren: Exklusives Design, Netzwerke, Werbung, Image, Marke, das alles kostet und ist nur für eine kleine Zielgruppe erhältlich… Zara hingegen setzt auf Nachahmung von exklusiver Design-Mode und auf das Prinzip von Fast-Fashion. Mit Fast-Fashion werden Luxus-Design-Produkte analysiert und für die Fließband-Produktion umgestaltet. Designer der Fast-Fashion-Marken werden zu Spionen. Sie erhalten Schulungen, wie Copyright-Verletzungen vermieden werden.
Der psychologische Wandel des Konsumenten: Wir ertragen heute nichts Wiederholtes mehr. Alles muss ständig neu sein. Wir fühlen uns ständig von unserer Außenwelt beurteilt. Social Media Kommunikation beschleunigt das weiter. Drei Viertel der Posts bei Instagram drehen sich um Fashion und Beauty.
Neuroökonomie: Die Beeinflussung des Einkaufsverhaltens funktioniert in erster Linie über den Preis. Der Verbraucher denkt, er würde Geld sparen anstatt auszugeben. Die zweite Beeinflussung geschieht über Verknappung: Entscheidungen können unter Zeitdruck emotionaler getroffen werden. Zum Dritten kommen permanente Reize hinzu. Statt traditioneller Werbung setzen die Fast-Fashion-Marken auf Influencer bei Instagram, TikTok und Co. Social Media Kommunikation erzeugt das Gefühl von zwischenmenschlicher Bindung. Social Media Influencer werden zunehmend nach Erfolg bezahlt, weil Produkte direkt verlinkt werden können in den Storys, Videos und Bildern. Kleidung wird angeboten, verkauft und gekauft wie Drogen. Übrigens: der Shoppingsucht erliegen auch Männer. Zwar findet man bei Männern in der Kommunikation mehr Sport- und Lifestyle-Elemente, doch die Kaufgewohnheiten sind ähnlich wie bei Frauen.
Der logistische Prozess: Von der Produktion bis zur Lieferung
Die Lieferungen bei den meisten Online-Händlern sind meist kostenlos. Selbstständige Liederboten liefern mit ihren Privat-PKW’s aus. Für 6,7 Stunden Lieferumfang erhalten sie in Frankreich ca 78 Euro. Von diesem Betrag müssen Benzin und alle anderen Aufwendungen selbst bezahlt werden. Zara kooperiert mit großen Paketzustellern. Der Paketzusteller gibt seine Aufträge an prekär arbeitende Selbstständige. Diese sind oft nicht versichert und arbeiten nahe der Illegalität.
Wie in Großbritannien Fast-Fashion produziert wird
Boohoo ist ein Online-Fashion-Riese mit dem Label Prettylittlething. Dieses Label produziert extrem preiswerte Kleidung für Teenager und Twens. Kleider werden schon für unter 10 Euro angeboten. Gefertigt werden die Kollektionen nicht in Bangladesch oder China – produziert wird in England. Die Stadt Leicester war schon früher Zentrum der Textilwirtschaft. In den 60er Jahren begann die Talfahrt, da die Produktion ins Ausland verlagert wurde. Doch seit 2008 gibt es ein erneutes Hoch. Heute ist Leicester wieder Fashion-Zentrum. Viele kleine Nähereien mit 20, 30 Mitarbeiter/Innen produzieren für Fast-Fashion-Hersteller. Da Leicester in der Mitte von Großbritannien liegt, wird viel Zeit gespart. Denn die schnelle Lieferung ist das Wichtigste in der Fast Fashion Branche.
Arte listet den kompletten Prozess auf: Die Fabrik erhält eine Auftragsanfrage per Foto, es erfolgt der Schnitt, ein Muster wird erstellt, dieses Muster wird an den Kunden plus Angebotspreis gesendet, bei Auftragserteilung beginnt der Start der Produktion – alles innerhalb von nur 12 Tagen. China, Vietnam oder Bangladesch würden das nie schaffen. Bei Fast Fashion geht um Stunden und Minuten.
Das Ganze bewegt sich auch mitten in Europa in einer nahezu rechtsfreien Zone: Subaufträge werden an Produzenten vergeben, die nicht kontrolliert werden. Einstellungen erfolgen im Express-Verfahren. „Alles gegen Cash – keine Überweisungen“ bekommt eine Journalistin zu hören, die sich undercover bewirbt. Gearbeitet wird von Montag bis Samstag, von 8 und 18 Uhr kann oder muss oder darf gearbeitet werden. Wenn die Muster noch nicht genehmigt sind, werden die Arbeiter einfach wieder nach Hause geschickt – ohne Entschädigung. Sie tragen das gesamte Risiko. Zu Anfang arbeiten frisch Eingestellte zwei Wochen lang ohne Bezahlung. Das ist die Einarbeitungsphase. Danach erhalten sie 3 Pfund die Stunde (nicht einmal Hälfte des Mindestlohns. Der liegt bei 7 Pfund.). Nach drei Monaten wird dann der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn gezahlt, wenn nach der Probezeit übernommen wird. Was nicht verwundert ist, dass die Hälfte der Einwohner Leicester‘s Migranten sind. Bohoo und dem Tochterunternehmen Prettylittlething wird „moderne Sklaverei“ vorgeworfen. Nach Offenlegung der Produktionsbedingungen fiel die Aktie regelrecht ins Bodenlose. Der Konzern verspricht Veränderung.
Umweltverschmutzung: Von wegen nachhaltige Viskose
Ökomode liegt im Trend. Marken, die mit Bio, Nachhaltigkeit und veganen Materialien werben, werden von den Verbrauchern bevorzugt. So erfreut sich das Kunstseidegarn Viskose großer Beliebtheit. Es wird als besonders umweltfreundlich angepriesen. (Holz – Zellstoff – Viskosefaser – Garn – Stoff). Sehr wenige internationale Konzerne teilen den kompletten Viskose-Markt unter sich auf. Über 80% der globalen Viskosefaser-Produktion finden in China, Indien und Südasien (insbesondere Indonesien) statt.
Die indische Aditya Birla Group ist mit der größte Viskose-Lieferant. Für die Herstellung wird hochgiftiger CS2 Schwefelkohlenstoff eingesetzt. Bei der Viskose-Produktion sind die Arbeiter dem übelriechenden Gift ausgesetzt. Neurologische Symptome und andere giftbedingte Gesundheitsfolgen wurden in den vergangenen Jahrzehnten kaum erforscht. Arte zeigt in der Dokumentation erschreckende Krankheitsbilder, die nicht nur die Arbeiterinnen und Arbeiter zeigen – sondern auch sämtliche Dörfer, die durch die verseuchten Gewässer des Konzerns belastet sind. Lähmungen, Wachstums- und Sprachverlust, geistige Behinderungen, Gefäßschäden und viele weitere schwere Krankheitsbilder werden gezeigt. Der Konzern bemüht sich, dass die Kranken in den firmeneigenen Krankenhäusern behandelt werden, damit die Auswirkungen der Viskose-Produktion nicht in die Öffentlichkeit gelangen.
Anfang 2020 kam es endlich zu einer Überprüfung der Fabrik. Behörden fordern eine Studie zu den gesundheitlichen Schäden für die Arbeiter und Anwohner. Schon 2018 hat Birla angefangen, Wasser aus Tanks an 22 Dörfer auszuliefern. Doch für die Bewässerung der Felder wird vergiftetes Wasser weiter genutzt. Bisher gibt es keine eindeutigen Beweise zwischen Erkrankungen und Birla. Die weltweite Nachfrage nach Viskose explodiert auf jeden Fall weiter.
Fazit der Dokumentation
Es gibt keine nachhaltige Mode. Recycling ist bei Fast-Fashion nicht möglich. Nicht einmal ein Prozent der Altkleider kann wiederverwertet werden. Die Textilien sind eine sehr problematische Form von Müll. Die Chemiefasern werden noch hunderte Jahre auf der Erde bleiben.
Weitaus weniger zu konsumieren ist keine Lösung für die Industrie. Und somit auch keine Lösung für unsere renditeorientierte Wirtschaft. Wohlstand, Bildung, Emanzipationsprozesse und beständiges Wachstum beruhen zurzeit darauf, dass immer mehr Produkte entdeckt, gewünscht und gekauft werden. Gibt es eine Lösung, um diesen Teufelskreis zu verlassen?
„Gibt es eine Lösung, um diesen Teufelskreis zu verlassen?“
Nur so ein Gedanke: Vielleicht sein Geld vor allem in Dienstleistungen auszugeben?
Ich denke, es gibt viele Möglichkeiten! Minimalismus, Frugalismus, CO2-Sparsamkeit, Bürgergeld und immer niedrigere Renten… Ich bin gespannt, ob Deutschland hier eine Vorreiterrolle einnehmen wird – zum Beispiel mit Tauschbörsen…