Christian Spließ: Die Frage wann ein Tweet urheberrechtlich geschützt ist und wann nicht ist in Deutschland bisher rechtlich nicht geklärt. Nach zahlreichen Protesten von Twitterern stellt Welt Kompakt daher die Print-Rubrik „Tweet des Tages“ ein.
Das Urheberrecht kennt den Begriff der Schöpfungshöhe und den Werkbegriff – um die Wikipedia zu zitieren:
Ein Werk im Sinne des § 2 Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) muss eine konkrete, „wahrnehmbare Formgestaltung“ aufweisen, sich also von einer allgemeinen Idee und von anderen Werken unterscheiden. Und es muss sich nach § 2 Abs. 2 UrhG um eine „persönliche geistige Schöpfung“ handeln. Dieses Kriterium schließt einerseits Zufallsentstehungen und von Tieren produziertes aus. Andererseits verlangt es eine dem Schöpfer zuzurechnende Individualität des Werkes.
In Rechtsfragen ist die Wikipedia vielleicht nicht die beste Quelle, sie fasst aber in diesem Zitat das Wesentliche zusammen: Ein Werk in diesem Falle ist auch eine zufällig vor sich hingesungene Melodiefolge auf der Straße, fünf Worte die auf einzigartige Weise zusammengestellt oder geschrieben werden – kurz: Es ist die Individualität des Werkes, die zählt. Allerdings ist bisher die Frage nicht geklärt, ob ein Tweet an sich immer die notwendige Schöpfungshöhe aufweist. Man kann sich streiten ob die Aussage, man habe gerade ein Ei gegessen wirklich schützenswert ist – andererseits sind aber auch schon Bücher aus aphoristischen Tweets zusammengestellt worden. Wie die Verlage in diesen Fällen verfahren sind, ist leider nicht bekannt.
Zitat oder nicht Zitat?
Die Welt versucht sich herauszureden – dass die Rechtslage unklar ist, erwähnt sie natürlich auch. Sie führt das Argument ins Feld, das Abdrucken des Tweets sei ein Zitat. Das aber wirft die Frage auf, was für ein Zitat das komplette Abdrucken eines Tweets sein soll. Für wissenschaftliche Werke gilt das sogenannte Großzitat – aber auch nur hier. Das kleine Zitat dagegen – und darauf beruft sich die WELT wohl – muss in irgendeiner Beziehung zu der eigenen Leistung stehen, beispielsweise als Erörterungsgrundlage, man nimmt zu etwas Stellung, versucht ein eigene Hypothese zu beweisen.
Das ist aber im kompletten Abdruck eines ganzen Satzes mit Quellenangabe des Autors – und hier lässt sich auch streiten, ob nicht auch noch die URL des Tweets hätte abgedruckt werden müssen, allein es reicht in der Regel den Autoren zu nennen – zumindest fraglich. Die WELT setzt sich nicht in einem eigenen Leitartikel mit dem Thema Twitter auseinander und zitiert Beispiele. Sie druckt das entstandene Werk – einen Aphorismus – in voller Länge ab. Ob Rechtsanwälte das als kleines Zitat gelten lassen würden? Zudem kommt noch ein Kriterium dazu: Der Umfang des Zitats muss dem Zweck angemessen sein. Spätestens hier wird es kompliziert: Was heißt angemessen? Hier ist eine breite Diskussion Tür und Tor geöffnet – es mag angemessen sein online Tweets zu retweeten, da der Nutzer eine stillschweigende Zustimmung gegeben hat. (Außer acht lässt die Argumentation der WELT übrigens geschützte Twitteraccounts: Wie ist es hier, wenn der Nutzer eindrücklich nicht möchte, dass seine Meinung öffentlich erscheint?) Doch wie ist es im Print? Und vor allem: Die WELT verdient mit den Tweets Geld.
Vermessen halte ich übrigens die Meinung von Robert Gutjahr, dass wer nicht irgendwo erwähnt werden sollte doch dann bitte nicht twittern solle. Ich halte viel von ihm, in diesem Falle aber geht es – mal wieder wie so oft in der Geschichte des Internets übrigens – um die Frage: Darf jemand mit fremden Inhalten Geld verdienen? Das ist der Kern der Sache. Ob Retweets erlaubt sind oder nicht, ob jemand stolz sei im Print gefunden zu werden – letzteres ist kein Argument, ich habe Reservationen gegenüber dem Springer-Konzern und möchte meinen Namen nicht unbedingt in der Zeitung erwähnt sehen wie etliche andere auch wohl – ist nichtig. Der Springer-Verlag verdient mit fremden Inhalten Geld. Ironischerweise sind die Verleger ja allesamt gegen die Kostenloskultur im Netz, solange es aber der eigenen Sache dient bedienen sie sich selbst daraus? Ohne Honorare zu zahlen und mit dem Argument: „Hey, sei froh, du bist in der Print-Zeitung erwähnt?“ Wenn das mal nicht ironisch hoch Acht ist und längst schon dagewesen – um 2007 nämlich herum.
Geldverdienen mit fremden Inhalten
Die Diskussion an sich ist nicht neu und wiederholt sich offenbar immer mit einem neuen Medium oder einer neuen Art mit anderen Werken umzugehen. Schon die ersten Blogger mussten sich mit der Frage herumschlagen, ob Zeitungen ihre Inhalte komplett abdrucken durften – ich erinnere mich noch lebhaft an die Diskussion um die Zeitung „Die Presse“ übrigens und ein ähnliches Argument wie Gutjahr es jetzt anführt gabs damals auch schon. Richtiger wird es dadurch aber nun nicht.
Bei Blogs ist es mittlweile etwas geregelt: Plumpe Versuche wie „Die Presse“ haben Blogger überlebt, andere Heransgehensweisen von Print-Zeitungen an die neue Form des Schreibens haben sich herausgebildet – bis zur Einrichtung von Blogs bei Zeitungen selbst. (Auch wenn ich die ersten Versuche der WAZ in dieser Hinsicht damals grauenhaft fand. Bevor Lyssa Redakteurin wurde – man stellte damals einfach nur die Zeitungsartikel online und nannte es ein Blog. Wobei…)
Twitter ist in dieser Hinsicht etwas komplizierter: Eine Pressemeldung hat eine Schöpfungshöhe – eventuell jedenfalls wenn sie originell genug formuliert ist – sie soll aber ausdrücklich versendet und weitergegen werden. Das steht zwar nirgendwo so eindeutig in der Quelle selbst geschrieben, ist aber Usus. (Jedenfalls habe ich nur bei Photos den Vermerk gesehen, diese seien nur im Gebraucht mit der Meldung selbst honorarfrei abzudrucken, ansonsten möge man bitte die Rechte erwerben.) Reine Links auf Zeitungsartikel wird allerdings auch keine Zeitung ernsthaft abdrucken – Zeitungen und fremdverlinken ist eh ein Thema für sich.
Wenn allerdings ein Tweet so interessant ist, dass er für abdruckwürdig gehalten wird – und Tweets mögen tagesaktuell sein, man kann mir aber nicht erzählen dass man nicht eben schnell den Twitterer selbst per Twitter fragt ob man einen Text zitieren darf, selbst bei der Herstellung einer Zeitung gegen Abgabetermin nicht – (wenn, dann sollte man vielleicht fragen, ob man den Tweet wirklich unbedingt jetzt drucken muss oder obs nicht wirklich etwas Zeit hat).
Wenn also ein Tweet interessant ist, wird er wohl irgendwie individuell sein, originell sein und damit eine Schöpfungshöhe erreichen. Fragen sollte man dann in der Regel schon, das gebietet die Höflichkeit – ob die WELT das tat entzieht sich mir momentan. Dann aber, wenn man auch noch Geld mit dem Abdruck macht geziemt es sich zumindest ein Honorar in welcher Höhe auch immer zu zahlen. Und genau das scheint die WELT bisher vermieden zu haben und es ist gut, dass sich Twitterer explizit dagegen aussprechen, dass Tweets abgedruckt werden sollen. Denn nur so lässt sich eine Debatte darüber anregen wie in Zukunft in dieser Hinsicht verfahren werden soll.