Zukunft der Werbung: Kenne mich, verstehe mich, sprich mit mir…

Internationale Studien zu Werbebudgets und dem Verhältnis von Online-Werbung, TV und Print zeigen, dass digitale Bewerbungen von Produkten und Marken immer weiter in den Vordergrund geraten. Zwar liegt TV weiterhin knapp an erster Stelle, doch Social Media und Suchmaschinen-Ads (Paid Search) folgen. Leider verstehen Werber immer noch sehr selten, wie man die völlig andere Infrastruktur des Webs sinnvoll nutzen kann, um mit den Werbungen interessant und attraktiv zu sein. Nutzer haben gelernt, Werbung aus Webseiten und Plattformen zu ignorieren.

Im Targeting werden auch in unseren Tagen vor Allem „Alter und Geschlecht“ als Auswahlkriterium eingegrenzt. Interessen, Persönlichkeitsmerkmale und Stimmungen spielen nur selten eine Rolle. Wie könnte denn nun Werbung idealerweise aussehen? Was müsste passieren, damit Verbraucher digitale Werbebotschaften lieben und wünschen?

Wir wollen alle kaufen…

Eins ist wohl klar: Dadurch, dass Sparen keine wirklichen Anreize mehr bietet, wollen die allermeisten Menschen konsumieren. Das Geld das rein kommt, muss auch wieder raus.

Verbraucher wünschen sich in ihrem Konsumdrang Inspirationen, um je nach Stimmung, Interessensgebiet und Wertesystem neue Produkte zu entdecken, zu bewerten und komfortabel zu erwerben. Verbraucher ärgern sich zum Beispiel, wenn sie vor Kurzem ein Produkt gekauft haben – und anschließend auf vielen Seiten im Netz für genau diese Kategorie Werbeanzeigen sehen. Was soll das? Hab ich doch schon!

Ursache für dieses primitive Interessenstargeting ist wohl, dass die Targeting-Filter weiterhin sehr rudimentär angewandt werden von vielen Marketern: Alter, Geschlecht, Sales. Fertig.

Wir wollen alle kaufen. Wir wollen gesehen werden, verstanden werden, anhand unserer Sehnsüchte und Spontankicks abgeholt werden von Unternehmen, die uns als Kunden umgarnen.

Nach welcher Werbung sehnt sich der Mensch im Web?

Es gibt zum Einen den Fall, dass wir eine konkrete Kaufabsicht haben. Das ist dann relativ einfach: Wir googlen das entsprechende Produkt und erhalten Google Adwords Anzeigen. Oder wir gehen direkt zu Amazon und suchen dort nach dem Produkt.

Hier könnte man anhand unseres Persönlichkeitsprofils zwar noch Einiges optimieren, indem man uns die zu uns passende Werbung bietet (humorvoll, provokativ, edel, nachhaltig, berührend. Gern passend zu unserem Körper, Familienstand, Geschlecht, Alter und unserer Lebenssituation…) doch das Wichtigste steht fest: Wir suchen nach etwas, was wir kaufen/ buchen/ wählen können.

Doch Social Media steht bei den Werbebudgets noch vor Programmatic-Advertising auf Platz zwei. Und bei Social Media Anzeigen (absoluter Marktführer Facebook) wird der Nutzer stets überrascht von Werbebotschaften. Er ist nicht auf der Suche nach Produkten – Produkte sind auf der Suche nach ihm.

Dank der nahezu lückenlosen Überwachung unseres Webverhaltens können über selbstlernende Computersysteme komplexe Profile unseres Konsumentenverhaltens erstellt werden. Zwar sind private Daten und Kommunikationen bei Facebook, Google und Co nicht öffentlich sichtbar – doch die Konzerne nutzen auch diese verborgenen Daten, um in anonymisierter Form Schlüsse zu ziehen über den Webuser: Interessen, Emotionen, Stimmungen, Charaktereigenheiten.

Wir wollen Werbung, die uns versteht wie ein guter Freund und Ratgeber!

Wir können uns also mit Fug und Recht wünschen, dass Werbeanzeigen kein notwendiges Übel mehr sind, um gewünschten Content zu konsumieren – nein, wir wollen Werbeanzeigen, die mit uns in Beziehung treten und uns das überreichen, wonach wir uns gerade am intensivsten sehnen:

  • Streit in der Familie? Wir sehen im Facebook-Newsstream ein zu Herzen gehendes Kurzvideo, das uns zu köstlichen Alkoholika führt. Trink Dir Einen! Dann kannst Du auch Deine Familie wieder gelassen ertragen…
  • Einen herrlichen Tag krönen? Inspirationen bei Instagram und Co geben uns Ideen, wie wir durch Käufe und Buchungen unserem Glück die Krone aufsetzen können, Glückliche Menschen kaufen mehr und teurer als traurige Menschen. Gebt uns Stoff für unsere manischen Minuten – wie schnell sind sie wieder vorbei – und dann ist es zu spät
  • Frust über Erlebnisse am Arbeitsplatz? Wir sehen Freizeiterlebnisse, die uns verwöhnen nach einem stressigen Arbeitstag, oder am Wochenende, oder im nächsten Urlaub. Wir werden geführt zu Bezahl-Content, der an unserer Persönlichkeitsentwicklung interessiert ist…
  • Frisch verliebt sein? Wir sehen fröhliche, emotional berührende Stories, die beweisen, wie mächtig Liebe ist – immer gekoppelt an Produkte, die wir unserer Liebsten/ unserem Liebsten schenken könnten. Oder was wir gemeinsam unternehmen können. Oder wie wir unsere Attraktivität für den/die Liebste/n steigern könnten…
  • Shopping-süchtig? Je nach Kleidungsstil und Geldbeutel erhalten wir ständig neue Inspirationen für unseren Kleider- und Schuhschrank. Mit passenden Schminktipps wird unser Outfit vorausschauend abgerundet. Selbstverständlich erhalten wir ungefragt Informationen, wo wir in geografisch passender Lage die Ware anfassen und anprobieren können – am Besten direkt mit genauer Wegbeschreibung.

Dank Sprachassistenten, Big Data, KI, Geo-Targeting, Algorithmen und Filtern kann es doch nicht so schwierig sein, uns in dem Moment abzuholen, in dem wir einen latenten Kaufwunsch verspüren. Wir fragen Alexa nach dem Wetter – da können wir uns doch gleich mit dem Sprachbot darüber abstimmen, wie man bei diesem Wetter die Freizeit am angenehmsten verbringt. Shopping-Mall bei Regen? Gute Idee!

Die Menschen sind elendig überfressen, was Entertainment betrifft. Nur sehr wenige Werbespots sind soooooo gut und außergewöhnlich, dass wir sie uns anschauen, weil sie uns unterhalten. Und die Aussicht, dass wir aus Dankbarkeit für einen unterhaltsamen Spot das Produkt kaufen, ist im Digitalen sehr viel geringer als in der TV-Werbung. Auch das beweisen Studien: Schon nach wenigen Sekunden können wir uns an Anzeigen im Web nicht einmal erinnern. Wir haben gelernt, die Belästigungen zu ignorieren. Klickraten, Leads und Sales sind gering. t3n: Online-Werbung bleibt kaum im Gedächtnis

Ein Freund, ein guter Freund…

Wenn sich Werbung erst einmal verhält wie ein guter Freund, wird sich der Erfolg ganz anders einstellen. Menschen lieben es, mit Sprachbots zu sprechen und sich mit ihnen auszutauschen. Im Gegensatz zum Menschen sind Sprachbots zurückhaltend, geduldig und gelassen. Sie geben Auskunft ohne zu drängen. Überhaupt sind sie vertrauenswürdiger als ein menschlicher Verkäufer.

Wenn wir gelernt haben unser Web zu programmieren anhand der Werbung, die wir uns wünschen, können wir uns „Freunde“ aussuchen, mit denen wir etwa über Sneaker diskutieren oder über die Chancen und Risiken einer Kreuzfahrt. Wir „erziehen“ unsere Werbeeinblendungen, indem wir unerwünschte wegklicken und erwünschte loben und liken. Wir geben bei Google und Co ein, welche Produkte und Marken uns interessieren und welche wir ablehnen.

Natürlich müssen Google, Facebook und Co bei Programmatic Advertising aufpassen, dass sie ihre zahlenden Kunden nicht verärgern. Wenn die Postbank wüsste, wie sehr die Nutzer ihre spontan abspielenden Videos hassen, könnte das zu Verstimmungen führen. Doch die Richtung ist klar.

Verbraucher wünschen sich:

Überraschungen, Inspirationen, Informationen, Austausch, attraktiven Content und geduldige Beratung. Sie wünschen sich einen Freund, der sie im Angebotsdschungel führt und schützt. DAS sollte Werbung bieten!

  • Den Nachhaltigen sollte Werbung regionale oder auch weltumspannende Hintergrundinfos zu Food-Produkten und Home-Design geben. Sie sollte die Einstellung loben und ihn als guten Menschen herausstellen aus der verantwortungslosen Masse
  • Den Hedonisten sollte Werbung zum Lachen bringen und ihm den Spontankauf erleichtern. Schnelle Kicks und coole Sprüche machen glücklich.
  • Den Skeptiker sollte Werbung in Diskussionen verwickeln zu wertebasierten Themen, aber auch zu Qualität und Preis. Automatisierte Antworten und Angebote sollten Authentizität und Glaubwürdigkeit ausstrahlen. Skeptiker brauchen Zeit und Beweise, um zu vertrauen.
  • Den Performer sollte von Werbung als gleichwertiger Partner behandelt werden mit seinen vielen digitalen Geräten, über die wir synchronisiert und ergänzend mit ihm in Verbindung bleiben. Exklusivität und Status sind die Ebenen, die Marke und Perfomer verbinden.

Wozu braucht der Mensch noch menschliche Freunde, wenn er werbende Begleiter hat? 😉 Ach wie sehr werden wir unsere Werbung lieben, wenn sie in Gestalt des guten Geistes in unser Leben tritt und uns stets genau da abholt, wo wir gerade abgeholt werden wollen. Dank Targeting ist das schon heute möglich.

Dialoge müssen funktionieren, und unerwünschte Werbung loswerden muss funktionieren – dann schlittern wir in eine ganz neue Welt der menschlich maschinellen Kooperation. Dann wissen wir endlich: Computer sind die besseren Menschen – noch besser als Haustiere. Dann macht Werbung endlich glücklich.

 

 

 

 

 

 

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

2 thoughts on “Zukunft der Werbung: Kenne mich, verstehe mich, sprich mit mir…

  • Reply Kevin 10. Oktober 2019 at 17:33

    Vielen Dank, für deinen aufklärenden Beitrag. Ich fühle mich endlich verstanden 🙂 Es ist wirklich nervend und anstrengend, immer die gleiche Werbung geschaltet zur bekommen.

    • Reply Eva Ihnenfeldt 16. Oktober 2019 at 16:48

      Danke schön lieber Kevin! Nicht wahr? Wir wollen ja kaufen und Geschäfte machen! Aber wir sind keine Kinder, die mit Bonbons angelockt werden, um ihnen „beizubringen“, was gut für sie ist (oder auch nicht…). Wir wollen Augenhöhe und wir wollen ernst genommen werden. Und wir wollen hinter die Fassaden blicken. Ich hoffe, es wird wirklich schnell besser 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert