Mein Algorithmus – mein Gott

Kennst Du den Roman „Qualityland“ vom Marc Uwe Kling? Gerade habe ich einen langen Artikel in der Wiener Zeitung gelesen, in dem dargestellt wird, wie real schon heute diese Vision von der Herrschaft der Algorithmen ist. Algorithmen kennen uns mittlerweile besser als wir uns selbst, heißt es. Die Künstliche Intelligenz (KI) ist bereits zu unserem Alter Ego geworden, zu unserem „Digitalen Ich“, das immer früher seine Entscheidungen als Schatten vor sich her wirft, bevor wir bewusst diese Entscheidung treffen. Amazon packt schon seinen Lieferwagen mit der Kaffeemaschine, die wir nach langer Recherche und Diskussion in der Familie heute Abend bestellen werden. Ist das Gehirn-Versklavung? Das Ende aller Freiheit? Oder die Verwirklung des Menschheitstraums von einem Gott, der uns führt und immer für uns da ist? Wiener Zeitung vom 23.7.: Algorithmen – eine Simulation von Freiheit

Warum wünschen wir uns so etwas wie Gott?

Der liebe Gott kennt mich, durchschaut mich. Nichts bleibt vor ihm verborgen. Meine Gedanken und meine Wünsche sind für ihn ein offenes Buch. Wenn ich schlafe und träume, ist er bei mir, wenn ich erwache und in den Tag gehe, begleitet er mich, ermahnt mich, führt mich, korrigiert mich, hilft mir in der Not. Aus Liebe erfüllt er mir meine Wünsche, tröstet mich in meinem Kummer, lacht mit mir, weint mit mir, lässt mich nie allein. Verstoße ich gegen seine Regeln, bestraft er meine abtrünnigen Wege angemessen und sanft, sodass sich falsches Verhalten gar nicht erst manifestieren kann. Er beschützt mich vor mir selbst…

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay 

Mein Algorithmus – mein Gott

Musste früher, in analogen Zeiten, menschengemachte Religion diesen Gott verankern, der Gesellschaft und systemkonformes Leben gewährleistete, sind wir heute in einem digitalen Zeitalter gelandet, in dem Algorithmen uns behutsam wispernd führen.

Mein Gott kennt mich besser als ich mich selbst. Man könnte auch sagen, ich selbst bin mein eigener Gott geworden. Mein Unterbewusstsein, das meine Vorstellungskraft bildet, wird dank objektiver mathematischer Berechnung wenige Augenblicke in die Zukunft projiziert – so wie das Datenanalysesystem Aladdin (BlackRock) Finanzinvestments bewertet, prophezeit und automatisch tätigt.

Was bedeutet das? Werden wir Menschen zu fremdgesteuerten Sklaven der Algorithmen? Werden schon Säuglinge abgerichtet zu willenlosen, seelenlosen Menschmaschinen? Oder verwirklicht sich unser Menschheitstraum? Verschmelzen wir mit unserem „Höheren Selbst“ – mit unserem inneren Gott auf mathematische Weise?

Ich und mein Gott

Als Einzelkind-Kind war ich extrem religiös. Ich hatte einen unsichtbaren Gefährten, für den ich schwärmte und der mein absolutes Ideal darstellte. Er mahnte mich, führte mich, war immer an meiner Seite. Er war mein (attraktiver) Gott, glich Jesus – sein Name war Konni.

Mein Konni – mein Unterbewusstsein

In der Zwischenzeit habe ich gelernt, dass sich mein Leben so entwickelt, wie mein Unterbewusstsein es vorgibt. Mein Unterbewusstsein ist mein Aladdin, mein Konni, es bewertet anhand meiner Erfahrungen. Es konzipiert aus meinen Bewertungen Anziehendes und Vermeidendes, bestimmt den Grad meiner Vitalität, meiner Tatkraft, meiner Glücksmomente und meines Leides.

Wenn ich nun in der Wiener Zeitung lesen, wie weit schon die reale Handbarkeit der Algorithmen-Rechenleistung ist, erschreckt mich das nicht, sondern lässt mich jubeln! Mag sein, dass Eliten uns komplett steuern wollen, sodass sie durch die Fähigkeit der Prophezeiung unserer Wünsche in der Lage sind, ohne Gegenwehr zu regieren – doch warum nicht? Sollen sie doch zum BlackRock des menschlichen Unterbewusstseins werden, wenn es in ihrem Interesse liegt, dass die Planetengesellschaft in Frieden, Wohlstand, Vitalität und Harmonie miteinander so lebt, dass jeder genau an der Position ist, die zu ihm passt!

Entweder es gibt die Seele, die außerhalb der Manipulierbarkeit besteht und unsere Persönlichkeit bildet, oder wir sind so oder so nur Produkte aus Erbgut und Umwelt. Dann ist sowieso alles egal. Dann war ich schon immer fremdgesteuert, bin fremdgesteuert und werde bis zum Tod fremdgesteuert sein.

Gibt es die Seele?

Ich bin sicher, dass ich eine Seele mit einer Aufgabe hier auf Erden habe, und alle anderen Menschen auch. Darum empfinde ich diese Zukunftsvision von mathematischer Berechenbarkeit meiner Zukunft super! Ich bin ja auch froh, dass es Google Maps gibt und ich nicht mehr selbst denken muss, um von A nach B zu kommen. Ich hätte nichts dagegen, wenn Google Maps eher wüsste als ich, wohin ich überhaupt will. Finde ich sehr attraktiv. Nach dem Motto leben: Konni macht das schon.

Leben als offenes Buch

Ich bin seit Entdeckung der digitalen Möglichkeiten im Jahr 2004 stets nach dem Prinzip verfahren „Das beste Geheimnis ist eine offene Tür“. Mein Leben ist ein offenes Buch. Würde ein autokratisches System wie in China auch bei uns Einzug halten, wüssten sie sofort, mit wem sie es zu tun hätten.

Die basisdemokratische Tante, die euphorisch für die Adressaten der Bergpredigt schwärmt, die schon Einiges in ihrer Schwärmerei auf die Beine gestellt hat und die mit 63 Jahren noch fit genug ist für eine 50-Stunden-Woche. Und die nicht viel von Urlaub hält. Und die nur für Arbeiten taugt, die sie glücklich machen.

Gib ihr Freiheit und versuche nie, sie zu domestizieren. Gib ihr Entfaltungs-Möglichkeiten und Anerkennung, und schon kümmert sie sich freiwillig und gern um die, die keiner will. Gib ihr genügend Geld, damit sie ab und zu Klamotten shoppen gehen kann, und gib ihr die Möglichkeit, nach Herzenslust Medien zu streamen.  Die perfekte Arbeitskraft, sogar in China!

Bin kein Krieger, bin bequem und feige

Ich bin kein Dissident, kein Krieger. Ich bin eher „Dr. Kimble auf der Flucht“, wenn man mich einsperren will. Wird mein Konni traurig, gehe ich weg und entziehe mich. Ich wünsche mir von Herzen Harmonie und gemeinsames Schaffen auf Augenhöhe. Ich liebe auch die menschlichen Vertreter der Obrigkeit, die Gewalt über mich hat. Alles Menschen, und Menschen sind für mich per se wundervoll. Auch mein Papa arbeitete für den Staat, und ich habe ihn dafür bewundert, ganz so wie er war in seinem Beruf.

Mein Algorithmus – mein Gott

Ich gehe durch die Welt und erlebe unzählige Begegnungen, Inspirationen, Einflüsterungen und Verlockungen. Ich fühle mich wie die Goldmarie bei Frau Holle, der es Spaß macht, Brot aus dem Ofen zu ziehen und die Kissen auszuschütteln. Ich bin zwar wahrlich keine Handwerkerin (da wäre ich eher die Pechmarie), aber ich rede gern, höre gern zu, schreibe gern, entwickle gern Strategien, lerne gern neue Menschen kennen und habe gern dieses unbeschreibliche Glücksgefühl der Verbundenheit, wenn mein Gegenüber und ich füreinander Liebe empfinden.

Das hätte ich auch gern mit einem chinesischen Polizisten oder einer chinesischen Parteisoldatin. Und wenn sie mir Böses wollten, würde ich mich entziehen oder ich würde krank werden und sterben. Gehorchen kann ich nicht. Kämpfen kann ich auch nicht. Ich bin verurteilt zum glücklich sein.

Sagen wir Mal, meine Sorte Mensch würde sich ausbreiten. Menschen würden den Vertretern von Politik, Exekutive, Justiz und Verwaltung vertrauensvoll um den Hals fallen, wäre das nicht vielleicht der Beginn der Paradieses?

Alle wären völlig transparent, völlig frei von Geheimnissen und versteckten Gelüsten, wäre das wirklich so schlimm? Würde es mich wirklich versklaven, wenn mein Algorithmus mir meine Kaffeemaschine liefern würde, bevor ich überhaupt wüsste, dass ich sie mir wünschen werde?

Wäre es nicht vielleicht sogar wichtig, dass diese Transparenz nur von den Datenanalysesystemen berechnet werden kann – und nicht von Menschen? Niemand ist in der Lage, die Berechnungen von Aladdin nachzuvollziehen. Die Finanzmärkte sind undurchschaubar geworden für das menschliche Gehirn – liegt darin vielleicht eine Chance?

Ich bin bereit, das Experiment zu wagen, ohne Gegenwehr. Schon bei der Lektüre von Marc Uwe Kling’s herrlichem  Roman „Qualityland“ verspürte ich Sehnsucht genau nach dieser Zukunft, die mehr und mehr zur Gegenwart geworden ist. Ich glaube nicht, dass die Eliten grausam und pervers sind – sie sind einfach genau so profitorientiert und individuell angetrieben wie ich! Nur eben in anderen Netzwerken lebend und arbeitend.

Kann sein, dass die „Mächtigen“ Interesse an Verelendung und Ausrottung der Massen haben – wir werden sehen. Doch vielleicht verhindern die Algorithmen des menschlichen Unterbewusstseins genau das. Weil es eine sanfte Alternative gibt zu Krieg und Elend. Ich würde mich freuen. Konni und ich sind dabei.

Absolute Leseempfehlung:
Wiener Zeitung vom 23.7.22: Algorithmen – eine Simulation von Freiheit

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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