Demokratie und Social Media: Besser den Mund halten – oder sich vor Erpressbarkeit schützen?

Die Ereignisse in der Türkei erschrecken zu zu Recht. Auch bei uns tragen sich viele Menschen mit dem Gedanken, was wäre, wenn wir eine meinungsunterdrückende Regierung bekämen? Könnten dann die regierungskritischen Personen besser identifiziert werden wegen ihrer vielen Daten im Netz: Kontakte, Bewegungsprofil, Kauf- und Kommunikationsverhalten? Ist es am sichersten, sehr sparsam mit den eigenen Daten zu sein, um bloß nicht in Konflikt zu geraten mit Autoritäten wie Regierungen und Arbeitgebern? Ich denke, das Gegenteil ist der Fall: „Das beste Geheimnis ist eine offene Tür“ und wer sich mit all seinen Schwächen offen zeigt, ist nicht so leicht erpressbar.

Soll man sich und seine Daten schützen?

Soll man sich und seine Daten schützen?

Wer mich ein wenig kennt, weiß, dass ich vor einigen Jahren sehr dringend mein gutes Social Media Netzwerk gebraucht habe, um mich als Blogger und Publizierender vor staatlicher Willkür zu schützen. Hätte ich nicht über Social Media eine so gute Community und wäre ich nicht so gut vernetzt, hätte ich sicher nicht so eine Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erzeugen können – und letztendlich sogar vor dem Verfassungsgericht (mit dem wunderbaren Anwalt Maik Swienty) gewinnen können. Damals waren über 100 Menschen betroffen – doch die Anderen waren fast alle total eingeschüchtert – nur ich hatte diese Reichweite. Ohne öffentliche Wahrnehmung wäre auch ich hilflos ausgeliefert gewesen, da bin ich sicher.
Die ganze Geschichte hier in den SteadyNews

Verstecken oder mit offenem Visier leben?

Man kann von dem chinesischen Künstler und Dissidenten Ai Weiwei halten, was man will (ich verehre ihn sehr), aber klar ist wohl, dass er über seinen Blog und seine internationale Twitter-Community wirksamen Schutz erfahren hat vor staatlicher Gewalt. Nur durch seine konsequente öffentliche Haltung, durch die exzessive Dokumentation über alle ihm zur Verfügung stehenden sozialen Netzwerke und die gute Beziehungspflege zu vielen Influencern auf der ganzen Welt konnte er das leisten, was er geleistet hat. Die Eigenpublikation verhinderte, dass er mundtot gemacht wurde.

Angst regiert nun in der Türkei – und bei deutschen Türken

Die Menschen in der Türkei und ihre Angehörigen im Ausland stehen nun extrem unter Druck. Kann man es noch wagen, regierungskritische Freunde als Kontakt bei Facebook und auf dem Smartphone gespeichert zu haben? Kann man noch Posts bei Facebook und Twitter liken, die unerwünscht sind? Geraten vielleicht die Angehörigen in der Türkei mit in Gefahr, wenn man sich hier in Deutschland bei Todenhöfer und anderen politischen Akteuren und Netzwerken äußert? Kann man womöglich nie wieder in die Heimat zurückkehren? Muss man sich auch im Ausland vor fanatischen Regierungstreuen fürchten?
Türkei: Social Media Nutzer werden bei der Polizei vorgeladen

Nur wenn man sich transparent macht mit der eigenen Überzeugung, kann diese Einschüchterung verhindert werden. Die Kritiker, die sich ganz selbstverständlich schon immer klar geäußert haben, können zwar verfolgt, eingesperrt, misshandelt und getötet werden – doch sie sind nicht erpressbar. Sie stehen gerade mit ihren Kontakten, ihrem Verhalten, ihrem Medienverhalten. Ist erst einmal der Ernstfall eingetreten, ist es meist zu spät, noch „mutig“ zu werden. Dann regiert die Angst. Dann ist man definitiv erpressbar.

BurnOut mit offenem Visier?

Ritter

Für seine Überzeugung einstehen mit offenem Visier – vielleicht der beste Schutz vor staatlicher und privater Willkür – und vor der eigenen Feigheit 😉 ?

Doch nicht nur politisch, auch als ganz privater Mensch nützt Social Media und ein transparentes Kommunikationsverhalten, um sich vor Erpressbarkeit zu schützen. Ich kenne so viele Menschen, die beruflich ausgebrannt sind oder waren – sollen sie tatsächlich ihr restliches Leben versuchen, diese Krise zu verheimlichen? Sollen sie auf Online-Banking, Internet-Surfen, Kontakte zu Mitbetroffenen, Social-Media-Kommunikation, Mediennutzung und Meetings in Selbsthilfegruppen verzichten? Immer in der Angst, ein zukünftiger Arbeitgeber lasse sich über die entsprechenden Agenturen das Verhaltens-, Kauf- und Bewegungsprofil zukommen? Was ist das denn für ein Leben!

Gut, ich habe es gut, da ich tatsächlich keine Geheimnisse habe, die ich schützen muss. Weder bin ich sexuell auffällig, noch habe ich eine gesellschaftlich verpönte Erkrankung oder Sucht, noch gehöre ich irgendeiner geheimen Organisation an. Ich sage, was ich denke, und ich tu, was ich vertrete. Selbstständigkeit mag da ein besonderer Luxus sein, doch ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass das der entscheidende Faktor ist.

Diejenigen, die weiterhin versuchen, ihre Daten aus dem Internet fern zu halten, die auf Online-Banking verzichten, nur mit speziell unauffindbaren E-Mail-Adressen kommunizieren und mit extremen Sicherheitsvorkehrungen im Web surfen, sind dann wohl leider genau die, die kontrollwütigen Regierungen verdächtig erscheinen – wer sich so verhält, hat ganz sicher etwas zu verbergen?!

Da gehe ich lieber kerzengerade durchs Leben und zeige jedem mit offenem Visier, wofür ich stehe und welche Selbstverpflichtung ich mir gesellschaftlich auferlege. Heute sagte ich noch zu einem Softwareentwickler, der ähnlich denkt, und den ich beim Business-Frühstück kennenlernen durfte, beim Abschied: „Wir Langhaarigen müssen zusammenhalten“. Einfach mal darüber nachdenken: Wenn nun eine Regierung nach der anderen die Überwachung ins Unermessliche steigert, was ist sicherer: Sich verstecken oder öffentlich zusammenhalten? Ich sage nur: Das beste Geheimnis ist eine offene Tür.

 

 

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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