Wäre das nicht wunderbar? Eine Pille, die die Schmerzen aus schlimmen Erinnerungen nimmt, die Angst und Schmerz aus der Erinnerung löscht? Tatsächlich wird seit Jahren an einer Pille geforscht, die den Schmerz aus Erinnerungen nimmt. Bei Mäusen funktioniert es bereits und auch bei Menschen gibt es erste Erfolge. Möglich wird diese medikamentöse Manipulation des Gedächtnisses, weil Erinnerungen nie statisch sind, sondern sich bei jedem erneuten Gedanken wandeln: Erinnerungen spiegeln nicht die Vergangenheit objektiv wider, sondern interpretieren unserer Lebensgeschichte – immer wieder neu und in „Echtzeit“.
Das ist eine wichtige Erkenntnis für die Behandlung traumatischer Erinnerungen. Vielversprechende Ergebnisse liefern vor allem Experimente mit dem Herzmedikament Propranolol. Propranolol dämpft Angst, entspannt und beruhigt. Studienteilnehmer, die sich unter therapeutischer Begleitung an schmerzhafte Erlebnisse erinnerten und zuvor das Medikament eingeommen hatten, konnten die Erinnerung von der Angst, die damit verbunden war, entkoppeln. Dadurch, dass unter dem Medikamenteneinfluss die emotionale Interpretation des Ereignisses geändert wurde, befreiten sich die Teilnehmer von dem Schmerz. Die Emotionen werden dauerhaft gelöscht.
Elizabeth Loftus von der Univesity of California in Irvine, Professorin für Psychologie, Kriminologie und Rechtswissenschaft ist seit über 30 Jahren mit Gedächtnisforschung beschäftigt. Ihr Kernthema ist die Zuverlässigkeit von Erinnerungen. In zahlreichen Experimenten wurde bewiesen, dass Erinnerungen höchst unzuverlässig sind. Die Fehlerrate bei Zeugenaussagen an bestimmte Tathergänge beträgt zwischen 27 und 80 Prozent. Es werden von den Zeugen sogar Dialoge und Handlungen beschrieben, die nie stattgefunden haben. Diese Gedächtnis-Manipulationen sind auf Suggestionen zurückzuführen, die unser Gedächtnis stark beeinflussen.
Kindheitserinnerungen werden zum Beispiel sehr intensiv von den Erzählungen der Eltern beeinflusst. Schildert man einem Kind mehrere Male eine angeblich erlebte Situation, beginnt das Kind, eine Erinnerung daraus zu formen – aus der Suggestion wird eine tatsächlich erlebte Situation. Auch Erwachsene ändern ihre Erinnerungen, wenn ihnen mehrmals durch Befragungen falsche Tathergänge eingeredet werden – das wurde bei mehr als 250 Gerichtsprozessen untersucht und belegt.
Prof. Elizabeth Loftus konnte beweisen, dass man Menschen tatsächlich komplette Lebensereignisse einpflanzen kann – nur durch Suggestion. Mithilfe von manipulierten Berichten der Eltern ließ sie 1992 in einem Experiment Probanden erzählen, wie es gewesen sei, als Kind in einem Einkaufszentrum verloren gegangen zu sein. Ein Jahr zeigte sie den Teilnehmern Kinderfotos, die diese auch noch glauben machen sollten, Bugs Bunny im Disneyland getroffen zu haben – obwohl Bugs Bunny eine Warner-Brothers-Figur ist. 25 bis 30 Prozent der Probanden konnten sich plötzlich an diese Pseudoerinnerung erinnern – obwohl sie nie verloren gegangen waren – und auch keinen Bugs Bunny getroffen hatten.
Erinnerungen füllen die Löcher unserer Lebensgeschichte, je nach Befindlichkeit, je nach Häufigkeit der Erinnerung und je nach neu hinzukommenden Suggestionen und Notizen. Gedächtnis funktioniert gegenwärtig und in Echtzeit, Gedächtnis ist die Summe unserer unzähligen Gedanken, Interpretationen, Wünsche, Befürchtungen, Erwartungen und Ängste.
Quelle: Weltonline