Rund 16 Prozent der pflegebedürftigen Senioren leben in Pflegeheimen. Etwa vier von fünf Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt – meist im eigenen Haushalt oder sogar im Haushalt ihrer pflegenden Angehörigen. Die Angehörigen erhalten häufig Unterstützung durch ambulante Pflegedienste. In der Regel sind die pflegebedürftigen Senioren, die Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen, hochbetagt. Der Frauenanteil überwiegt. Doch die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten vehement verändert. Immer mehr Menschen ab 60 sagen, dass sie auf keinen Fall den Kindern zur Last fallen wollen, wenn sie einmal pflegebedürftig werden. Schauen wir doch einmal aus Sicht der Senioren, was besser ist: professionelle Pflege in einer Pflegeeinrichtung – oder die Pflege durch Angehörige in deren Haushalt?
In der Regel leben Pflegebedürftige im eigenen Haushalt
Selbstverständlich ist die Pflege von Senioren, die noch im eigenen Haushalt versorgt werden können, ausgenommen von unserer Betrachtung. Heute gehören zu den ambulanten Pflegesachleistungen auch Hilfen bei der Haushaltsführung. Eventuell können auch Dienste von Alltagsbegleitungen in Anspruch genommen werden, die sich um das emotionale, geistige und soziale Wohlbefinden des Pflegebedürftigen kümmern. So können die Angehörigen, die vielleicht weit weg wohnen, beruhigt sein. Nur, wenn ein Verbleiben in der eigenen Wohnung auf keinen Fall mehr möglich ist (häufig bei Demenz) muss entschieden werden: Pflegeheim oder leben im Haushalt der Kinder?
Vorteile des Pflegeheims
Ein Blick auf die Kosten: Ein Pflegeheim übersteigt in der Regel die monatlichen Rentenbezüge des schwer Pflegebedürftigen. Einer Auswertung des Verbandes der Ersatzkassen (VDEK) nach werden im Bundesdurchschnitt pro Monat 2.783 Euro pro Bewohner an Eigenanteil erhoben für Unterbringung, Pflege und Betreuung. Viele der schwer Pflegebedürftigen sind also auf ergänzende Sozialhilfe angewiesen.
Neben den Pflegeheimkosten steht ihnen ein monatliches Taschengeld von etwas mehr als 150 Euro zu. Kinder werden nur noch zur finanziellen Beteiligung herangezogen, wenn sie mehr als 100.000 Euro Jahresbrutto verdienen. Die Gehälter der Ehepartner werden nicht in die Berechnung mit einbezogen.
Angehörige sind keine Pflegeprofis. Schwer pflegebedürftige Hochbetagte leiden nicht nur unter schwerer Demenz und psychischen Orientierungsproblemen, sondern vielleicht auch unter Inkontinenz und pflegeintensiven chronischen Erkrankungen wie ALS (fortschreitende Muskellähmungen), Krebs im Endstadium oder schwerer COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankungen). Diese Pflegeaufgaben sind für die Fachkräfte im Pflegeheim Alltag – ebenso wie die Versorgung von Dekubitus-Wunden.
Ob die professionelle Bettwäsche mit kochfester Schlafdecke, Kopfkissen und Matratzenauflage, ob Pflege-Hilfsmittel wie Duschstühle, ob Schieberollstühle für die barrierefreien Zugänge, ob Inkontinenzmaterialien und eine reichhaltige Auswahl an Pflegemitteln… Welche Angehörige haben überhaupt die Möglichkeiten, in ihrem eigenen Haushalt vergleichbare Standards einzuhalten? Ganz abgesehen davon, dass die Beziehung zu der geliebten Mutter oder dem geliebten Vater sehr darunter leiden kann, wenn sich aufgrund der Demenzerkrankung die Persönlichkeit des Menschen stark verändert?
Sind Pflegeheime wirklich so schrecklich?
Ich würde jedem/r Senioren/in und jedem Angehörigen empfehlen, sich einmal Pflegeeinrichtungen anzuschauen. Eventuell ist es sogar möglich, mit den Bewohnern dort Kontakt aufzunehmen und ins Gespräch zu kommen! Heute sind – gesetzlich vorgeschrieben – mindestens 80 Prozent der Zimmer in Pflegeheimen Einzelzimmer.
Auch Beschäftigungsprogramme gehören in den meisten Pflegeeinrichtungen zum Alltag. Doch es gibt viele schwer Pflegebedürftige, die am liebsten für sich allein in ihrem Zimmer sind. Meine Oma, die noch lange mit ihrer Demenz und Bewegungseinschränkung in ihrer Wohnung lebte, fragte ich einmal, was sie denn so täte den ganzen Tag. Sie antwortete „Nichts“. „Ja, ist das denn nicht langweilig?“ „Nein“. „Schaust Du dann Fernsehen?“ „Nein, ich sitze einfach in meinem Sessel und tue nichts“.
Auch mein Vater hatte keine Bedürfnisse nach Unterhaltung und „Rummel“, als er im Alter leicht dement geworden war. Wenn wir ihn besuchten und zusammen essen wollten, sagte er ganz lieb „Kinder, seid mir nicht böse, ich ziehe mich dann mal zurück“. Das war total schön, zu sehen, wie sehr er im Frieden war mit sich selbst. Er brauchte nichts mehr, er war glücklich in seiner kleinen, stillen Welt.
Rufen Sie in Pflegeheimen an in Ihrer Umgebung. Ich vermute, Ihre pflegebedürftigen Angehörigen möchten in eine Einrichtung – wenn es soweit ist – die bei Ihnen in der Nähe ist. Wenn man nicht mehr selbstständig das Haus verlassen kann, ist die Heimat nicht mehr so wichtig. Aber Besuch von den Kindern ist ein Stück Leben, Liebe, Erdenidentität.
Meistens sind schwer Pflegebedürftige so genügsam wie meine Oma und mein Papa. Nach relativ kurzer Zeit wird jeder Besuch anstrengend. Wenn die Einrichtung in der Nähe der Kinder ist, kann man vielleicht auch mehrmals in der Woche kurz vorbeischauen – was übrigens auch das Pflegepersonal honoriert, indem sie sich besonders gern um den familiär umsorgten Bewohner kümmern.
Viel zu oft müssen Pflegemitarbeiter erleben, dass die Angehörigen kaum noch zu Besuch kommen. Das ist sehr, sehr traurig. Also: Heime besuchen, Fragen stellen, mit Bewohnern sprechen – und den/die Senioren/in am besten mitnehmen, damit er oder sie früh mitreden kann, solange er oder sie noch kognitiv fit ist.
„Ich will nicht ins Heim!“
Es werden zwar immer weniger – doch auch heute gibt es noch Senioren, die sich danach sehnen, bei zunehmender Pflegebedürftigkeit bei ihren Kindern leben zu können. Zwar steigt der Anteil derer, die es schrecklich fänden, ihren Kindern eine extrem schwere Last zu sein – doch gerade in ländlichen Gebieten leben Alt und Jung häufig so nah beieinander, dass es weiterhin selbstverständlich ist, bis zum Tode zusammenzubleiben und füreinander zu sorgen.
Doch viele Frauen sind heute berufstätig – auch auf dem Lande – und welcher pflegende Angehörige hat schon tragfähige pflegerische Erfahrungen? Männer, die in der Lage sind, ihre Eltern und Schwiegereltern hauptamtlich zu pflegen, müssten ihre Berufstätigkeit dafür aufgeben – wer kann das schon?
Was kann man tun, um Pflegebedürftige von einer Pflegeeinrichtung überzeugen?
Wichtig ist, so früh wie möglich ins Gespräch kommen. Setzen Sie Ihre/n alt werdende/n Angehörige/n nicht unter Druck. Sprechen Sie in Augenhöhe darüber, was passiert, wenn er oder sie schwere Alterserkrankungen bekommen sollte. Erzählen Sie ihm oder ihr von Ihren Besuchen in Pflegeeinrichtungen und stehen Sie dazu, dass Sie solche Besuche machen.
Lassen Sie sich nicht moralisch unter Druck setzen. Es ist, wie es ist. Damit muss er oder sie zurechtkommen – und darf sich nicht verschließen. Nutzen Sie gute Tage, gute Gelegenheiten, wenn der oder die Angehörige in freundlich friedlicher Stimmung ist. Erzählen Sie von Alternativen wie Alters-WGs. Holen Sie sich Außenstehende hinzu, um nicht allein mit der schwierigen Aufgabe zu stehen. Hausärzte sind super, aber auch Nachbarn und/ oder Freunde… Verdrängen Sie das Problem nicht, das irgendwann vielleicht entstehen wird.
Auf jeden Fall leben wir in einer Zeit, in der es immer weniger Rentner und Rentnerinnen gibt, die sich gegen den nahenden Tod wehren, indem sie ihn verdrängen. So wie es selbstverständlich wird, eine Patientenverfügung zu diskutieren und zu erstellen, wird es selbstverständlich, sich auf die letzten Jahre des Lebens tabufrei vorzubereiten.
Die Chancen stehen gut, nie so pflegebedürftig zu werden, dass man in eine Einrichtung für schwer Pflegebedürftige umziehen muss. Immerhin: 82 % der über 85-Jährigen leben im eigenen Zuhause – selbst bei den über 90-Jährigen brauchen nur 35 Prozent eine vollstationäre Versorgung.
Wenn doch der Fall eintritt, sind sehr viele Pflegebedürftige einfach erleichtert, dass Profis sich nun Tag und Nacht um sie kümmern. Angst zu haben vor einem Sturz, einem Schlaganfall, einer schweren Unterzuckerung oder einem Herzinfarkt, ist auch nicht so einfach…
Was wirklich sehr beruhigend ist: Unser ambulantes Pflege- und Versorgungssystem hat sich so großartig erweitert, dass nur noch die alten Menschen in stationäre Pflege wechseln müssen, die auf keinen Fall mehr in ihrem vertrauten Heim verbleiben können – häufig wegen Demenz.
Also lasst uns im Kopf beweglich bleiben, viel unternehmen, viele Herausforderungen und Abenteuer erleben – das senkt die Wahrscheinlichkeit degenerierender Prozesse im Gehirn. Und wenn es dann doch kommt: Hauptsache, wir werden nicht verbittert und weinerlich – dann mögen uns auch die Pflegekräfte in den Einrichtungen. Weisheit und Güte besänftigen jedes Gemüt, nicht wahr?