Warum landen Kommentare bei langen Diskussionen eigentlich fast immer bei Hitler?

Wie Der Standard berichtet, hat der US-Datenjournalist „CuriousGnu“ sage und schreibe 4,6 Millionen Kommentare auf Reddit analysiert und dabei festgestellt, dass bei 78 Prozent der Diskussionen mit mehr als 1.000 Wortmeldungen in irgendeiner Form das deutsche NS-Regime erwähnt wurde. „Hitler“ und „Nazi“ waren dabei für ihn die durchsuchten Schlagworte. Das ist nicht nur in den USA ein Phänomen. Vielleicht haben Sie auch schon einmal festgestellt, dass bei laaaaangen Kommentarreihen in Facebook und Co die Qualität der Äußerungen immer schlechter wird? Kein Wunder!

Manchmal lese ich Beiträge von Onlinemedien bei Facebook, die mich emotional erschüttern. Es gibt da gewisse adolf-hitler-Akupunkturpunkte, auf die ich reagiere, so wie „alleinerziehende Mütter“ und „Digitale Gefahren“. Andere Menschen haben andere Achilles-Versen. Bei manchen sind sie stärker ausgeprägt und vielfältig, bei anderen gibt es nur wenige Themen, die aufwühlen. Ist jedoch so ein Punkt berührt, macht man sich vielleicht die Mühe, die 200, 300, 500 Kommentare zu erkunden.

Wenn ich mich in so einen Kommentarfeed begebe, stelle ich auch jedes Mal fest, dass im Laufe der Diskussion die Qualität der Kommentare abnimmt, die Wortwahl primitiver wird, die Ansichten immer extremer. Ob da auch Nazi-Vergleiche bei sind, weiß ich jetzt nicht. Ich vermute, dass man im Rest der Welt schneller dabei ist, Hitler herbeizuzitieren als in Deutschland. Uns ist unsere Vergangenheit ja eher peinlich als dass wir damit laut hausieren gehen (gottseidank). Bei uns umschreiben rechtsorientierte Bürger lieber geschickt ihre eigentliche Meinung. Direkt mit Hitler zu kommen, ist gewagt. Und Gegner aus der anderen Ecke sind ebenfalls vorsichtig, bevor sie einen Kommentator als „Nazi“ bezeichnen – in Deutschland verstehen die Gerichte da keinen Spaß.

Doch ansonsten finde ich es völlig verständlich, dass dieser Verlauf zu verzeichnen ist. Schließlich wurde in den ersten zehn, zwanzig Kommentaren ja schon alles gesagt zu dem betreffenden Thema. Übrig bleiben Schlagabtauschs zwischen den extremen Positionen. Das kann auch über Ewigkeiten so gehen – wie beim berühmten „Wurstkrieg“ auf der ING-DIBa-Facebook Fanpage, wo einfach nur Vegetarier und Fleischesser sich nicht den Ruhm des letzten Wortes gönnen konnten…

Ich empfehle immer meinen Kunden, dass sie bei Diskussionen auf Facebook dafür sorgen sollen, dass diese so schnell wie möglich beendet sind. Früher meinte man ja, man solle unzufriedene störrische Kommentatoren einfach ignorieren („Don’t feed the trolls) doch zwischenzeitlich ist man da auch wieder ein Stück weiter. Zum Einen ist der klassische Troll, der es zur Kunstform erhoben hat, Menschen im Web gegeneinander aufzuhetzen, anscheinend vom Aussterben bedroht. Zum Anderen bleibt für alle Leser ein unangenehmes Gefühl zurück, wenn ein Anbieter oder eine Institution auf eine Kritik nicht antwortet. Wirkt ignorant und desinteressiert – nicht zu empfehlen.

Doch es gibt einige Tricks, mit denen man Diskussionen verkürzen kann:

  • Bitten Sie den Verärgerten, mit Ihnen persönlich zu sprechen, um bestimmte Sachverhalte aufzuklären – und schicken Sie ihm eine PN (Private Nachricht bei Facebook). Das funktioniert natürlich nicht, wenn es um reine Meinungsäußerungen geht (Politik, Religion, Fußball, Werte). Doch manchmal ist es auch dann möglich, sich privat abzusprechen. Das dauert ganz sicher nicht so lang, als wenn man den Diskurs öffentlich führt.
  • Bei rein werteorientierten Meinungsäußerungen, denen Sie nicht zustimmen, bedanken Sie sich für den Beitrag und wünschen einen guten Tag, ein schönes Wochenende, eine gute Zeit… gehen aber nicht auf die Meinung selbst ein. Sie werden sowieso Niemanden von Ihrer Meinung überzeugen, wetten? Im Anschluss können Sie ja entfreunden oder auf unsichtbar schalten. Bei Fanpages ist es sowieso unwahrscheinlich, dass der Fan häufig Posts der Fanpage angezeigt bekommt.
  • Falls sich unter Ihrem Post eine Diskussion zwischen mehreren Fans entspinnt, können Sie die einzelnen Beiträge liken (ist ja total freundlich, wenn sich Freunde oder Fans überhaupt die Mühe machen, über ein Thema zu diskutieren!) aber für oder gegen eine Seite sich positionieren, würde ich nie raten. Sie würden auf jeden Fall Gefühle verletzen. Außerdem heizen Sie so die Diskussion weiter an. Und eine Kommentar-Diskussion kann nun mal nicht die Qualität haben wie eine Diskussion im Offline-Leben.

Fazit: Lange Diskussionen gibt es vor Allem in Online-Medien wie SPIEGELonline oder der Tagesschau. Ihnen wird sicher so etwas nicht passieren. Doch Kritik wünschen wir uns ja, da es die Verbundenheit stärkt! Also einfach ermutigen zu Meinungsäußerungen, ohne lange zu diskutieren. Meine Sehnsucht wäre ja ein Debattierclub, bei dem wir wieder lernen können, kostruktive Streitgespräche zu führen. Das Social Web ist hierfür wenig geeignet – oder was meinen Sie?

Quelle: Der Standard: Fast jede Online-Diskussion landet bei Hitler

 

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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