Die Welt hat sich weiterentwickelt. Maschinen übernehmen auf allen Ebenen zunehmend die Kontrolle. Alles was berechnet werden kann, wird zunehmend an Computerprogramme übertragen. Überall, wo eindeutige Messgrößen für Ziele existieren, ist es eine Frage der Kostennutzen-Abwägung, ob Mensch oder Maschine eingesetzt werden.
Warum nur kann der Mensch nicht so funktionieren wie eine Maschine? Warum gehorcht er nicht, wenn vernünftige Anweisungen gegeben werden? Warum sind Eltern trotz aller wissenschaftlicher Erkenntnisse so unperfekt? Warum entwickeln Angestellte psychische Störungen, obwohl die Arbeitsbedingungen im Vergleich zu früheren Jahrzehnten weitaus harmloser geworden sind – nicht nur in der Industrie….
Warum funktionieren Menschen nicht wie Maschinen?
Als ich Kind war in den Sechzigern, waren die Menschen in der Regel extrem unperfekt. Kriegstraumatisierte Eltern haben versucht zu überleben und mit ihren Erlebnissen fertig zu werden, ohne dass es dafür professionelle Unterstützung gegeben hätte. Kinder mussten zusehen, wie sie in der Schule mit machtvollen Strukturen und Autoritäten klar kamen, Rechte für sie gab es kaum. Arbeiter und Angestellte waren ebenfalls ins autoritären Strukturen verhaftet, im Gewerkschaften wurde um bessere Entlohnung und menschlichere Arbeitsbedingungen gekämpft.
Sind wir verweichlicht?
Ja, es ist vieles besser geworden und ich verstehe die Haltung, wir wären heute alle verweichlicht und verwöhnt und würden deshalb so kränkeln und schon bei kleinen Herausforderungen zusammenbrechen. Doch ich behaupte: Das Grundübel unserer heutigen Zeit ist der Zwang zur Selbstoptimierung – denn wo immer wir hinschauen, Maschinen beweisen uns an allen Ecken und Enden „Sieh hin, wir sind besser!“
Selbstoptimierung
Jede Zeit hat ihren Segen und ihren Fluch. Der Fluch unserer Zeit ist der aussichtslose Wettbewerb mit den Maschinen. Ich kenne noch „weiße alte Männer“, die rührend versuchen, mit ihren Kartelesefähigkeiten gegen Google Maps anzutreten – und mit ihrem gespeicherten Wissen gegen Wikipedia.
Mütter und Väter versuchen, sich selbst als Eltern zu optimieren, während sie voll im Arbeitsleben stehen. Männer versuchen, sich als ganzheitliche achtsame Partner zu beweisen. Jugendliche versuchen, ihr Geschlecht und ihre Identität zu finden im Meer der Möglichkeiten. Großeltern versuchen, keine „Schmarotzer“ zu sein, die auf Kosten der Jungen ihr Alter gestalten.
Künstliche Intelligenz und die Alchemie der Agorithmen durchdringen unser Leben immer weiter. Sogar Glühbirnen kommunizieren schon mit zentralen Schaltstellen, um optimal zu leuchten. Die umfassende Überwachung führt dazu, dass der Mensch seine geheimen Nischen verliert und sich ständig selbst kontrolliert.
Warum könnt Ihr nicht funktionieren wie Maschinen!
…fragt die genervte Vorgesetzte sich, wenn sie schon wieder lauter Krankenscheine auf den Tisch bekommt. Warum könnt Ihr nicht einfach Eure Arbeit machen! Schimpft der Abteilungsleiter, wenn Mal wieder bei arbeitstechnischen Neuerungen und Anweisungen protestiert wird. Warum seid Ihr so unfähig, verzweifelt die Geschäftsführerin, da die Mitarbeiter weitaus weniger Leistung erbringen, als sie errechnen ließ.
Kurz und gut, wir müssen raus aus dem Optimierungswahn des Menschen. Egal ob wir uns selbst an die Kandarre nehmen mit Sport, Ernährung, ständiger Weiterbildung und dem Ehrgeiz, immer weiter aufzusteigen auf der Karriereleiter – oder ob wir unsere Mitmenschen verurteilen, weil sie teurer zu sein scheinen als sie der Gesellschaft bzw. dem System nützen.
Wir brauchen einen Entwicklungssprung, hin zu Selbstliebe und Nächstenliebe – einen philosophischen Neuanfang. Und das schaffen wir, ich bin sicher. Aber bis dahin werden noch viele viele Menschen erkranken am Wahn der Optimierung, am Wahn der Perfektion. Und wenn es soweit ist, dass „der Mensch dem Menschen ein Helfer geworden ist“, werden wir auch einen Weg finden, das Zusammenleben mit den Maschinen aus ganzem Herzen auszukosten. Zum Wohle alles Lebendigen auf diesem Planeten – und zum Wohle weit darüber hinaus.