Bürokratie, Energie, Handelskriege, Arbeitskraftmangel – Deutschland und die German Angst

Deutschland ist international bekannt für seine German Angst. Natürlich kann man sich verächtlich über diese Mentalität erheben nach dem Motto „Du Memme“ – doch es könnte auch sein, dass unsere Angst vor drohenden Katastrophen eine Stärke ist, auf die wir stolz sein können. Denn wer den Blick auf drohende Katastrophen richtet, kann sie womöglich früh genug verhindern.

Ökonomisch betrachtet, liegen die größten Herausforderungen Deutschlands in einer drohenden Wirtschaftsschwächung. Energiekosten, Bürokratie, Handelskriege und Arbeitskraftmangel könnten zu einer sich steigernden Deindustrialisierung führen. Betrachten wir zunächst die Gründe, warum deutsche Industrieunternehmen die Produktion ins Ausland verlegen.

Abwanderung der Industrie?

Bild von Jürgen auf Pixabay

Tatsächlich verlagern viele deutsche Industrieunternehmen gerade Produktion und Arbeitsplätze ins Ausland. Prominente Beispiele sind Volkswagen und BASF, die neue Werke in den USA und China bauen. Andere bekannte Marken verlagern Produktionsstätten nach Polen.  Unternehmen wie das auf Montagearbeiten, Betriebsumzüge und Schwertransporte spezialisierte Marcus Transport aus der Region Ostwestfalen-Lippe haben viel zu tun.

Auch wenn das verarbeitende Gewerbe nur noch 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, ist es von immenser Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Als rohstoffarmes Land ist Deutschland darauf angewiesen, Produkte zu erzeugen, die außerhalb des Landes gebraucht werden. Dass Deutschland die größte Volkswirtschaft Europas ist, verdanken wir unserem Umsatz mit Exportprodukten. Mit unseren Export-Gewinnen und dem daraus resultierenden politischen Einfluss können wir unseren Wohlstand finanzieren.

Was nun sind die Gründe für die Abwanderung von Industrieunternehmen, die übrigens im Jahr 2022  zu 99,2 Prozent dem Mittelstand angehörten?

Bürokratie

Laut Wirtschaftswoche kostet die Bürokratie mittelständische Unternehmen inzwischen oft mehr, als in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte investieren. Die Bürokratie-Pflichten sind gerade für kleine und mittlere Betriebe nicht selbstständig leistbar, sodass sie teure Beratungsunternehmen heranziehen müssen. Bei einem kleinen Betrieb mit 150 Mitarbeitern war im Jahr 2023 der Bürokratieaufwand so teuer wie die Personalkosten für 34 Mitarbeiter.

Energiepreise

Die Energiepreise in Europa und Deutschland zählen zu den höchsten weltweit. In Deutschland ist der Gaspreis siebenmal teurer als an konkurrierenden Standorten – der Strompreis fünfmal so hoch. (DIHK Energiepreise) Diese hohen Energiekosten sind einer der Haupttreiber für die Abwanderung der Industrie Deutschlands ins Ausland. In der energieintensiven Industrie ist die Energienachfrage bereits zweistellig eingebrochen. Was dem verarbeitenden Gewerbe  fehlt, sind witterungsunabhängige Energie-Kapazitäten.

Handelskriege

Niemand weiß, ob die Bemühungen der Trump-Regierung, durch Protektionismus der hohen US-Staatsverschuldung etwas Wirksames entgegenzusetzen, zu den gewünschten Ergebnissen führt. Auf jeden Fall lohnt es sich, weiterzuverfolgen, wie sich die weltweite Wirtschafts- und Finanzpolitik entwickelt. Die „German Angst“ kann womöglich in Deutschland Kräfte freisetzen, die auf Zusammenhalt und Einsicht basieren – über Nationalitäten und Kulturen hinweg. Wenn wir in der Lage sind, Menschlichkeit, Kooperationsbereitschaft und Selbstverantwortung einzusetzen, können wir als Nation vielleicht Einfluss nehmen auf den Streit der internationalen Machtinteressen.

Arbeits- und Fachkräftemangel

Der Arbeitskraft- und Fachkräftemangel in der deutschen Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend verschärft. Hauptsächlich zeigt er sich in der IT, in der Pflege, im Handwerk und im Ingenieurwesen.

Besonders stark sind Berufsfelder betroffen, die durch Automatisierung und digitale Entwicklung einem schnellen Wandel unterliegen. Fertigung, Produktion, Logistik und Verkehr stellen immer höhere Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeiter. Arbeitssuchende, die über einen niedrigen Bildungsstandard verfügen und deren Deutschkenntnisse womöglich gering sind, haben selbst in Helferjobs immer weniger Chancen, Vollzeit-Arbeitsplätze zu finden.

Durch den demografischen Wandel scheiden mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt aus, als junge Menschen nachgekommen. Diese Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren weiter zuspitzen.

In handwerklichen und pflegerischen Berufen können nicht genügend Ausbildungswillige aufgenommen werden, da die Kapazitäten fehlen. Ausbildungsinhalte sind in vielen Berufszweigen veraltet, sodass sie nicht auf die Digitalisierung, Datenanalyse und andere Kompetenzen im digitalen Wandel vorbereiten können.

Nicht nur Unternehmen, auch viele hoch qualifizierte Fachkräfte verlassen Deutschland, weil sie in anderen Ländern attraktivere Arbeits- und Karrierebedingungen vorfinden. Da die Bildungseinrichtungen in Deutschland ihre Lehrpläne nur langsam den neuen Herausforderungen in der Berufswelt anpassen, zieht es junge Menschen mit Hochschulreife immer häufiger ins Ausland – gerade für Student/Innen aus bildungsnahen, gut verdienenden Familien wird dieser Weg immer häufiger gewählt.

Was können wir tun?

Ich empfehle, zu recherchieren, wie wir in Deutschland bisher ähnliche Krisen erfolgreich bewältigt haben. Eine der größten Herausforderung war die Wiedervereinigung, die 1990 begann und uns den Titel „Der kranke Mann Europas“ einbrachte.

Spannend ist es auch, zu verfolgen, wie Griechenland seine dramatische Staatsverschuldung während der Weltfinanzkrise 2007 – 2013 verarbeitet hat, ebenso andere EU-Länder, insbesondere Italien, Irland, Spanien und Portugal.

In jeder Krise liegt eine Chance, wie das chinesische Schriftzeichen Wei Ji besagt: Der erste Teil des Schriftzeichens steht für Gefahr und Risiko – der zweite Teil bedeutet „Chance“. Sind wir Deutschen nicht die Weltmeister darin, schon frühzeitig nervös auf eine womöglich drohende Katastrophe zu blicken?

Ich glaube, dass unsere „German Angst“ auch dieses Mal dazu führen wird, dass wir aus der Gefahr eine Chance entwickeln. Die ganze Welt steckt in einer unfassbar riesigen Transformation – wer weiß, ob nicht gerade wir Deutschen eine bedeutende Chance darin erkennen und freundlich, fleißig, klug diese Chance ergreifen. 

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

steadynews.de

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