Wenn Deutschland das Bürgergeld kürzt – was passiert dann?

Als Hartz IV auf den Weg gebracht wurde, gab es in Deutschland eine sehr hohe Arbeitslosenquote. Als zweite Belastung mussten die Kosten der Wiedervereinigung bewältigt werden. Vor der Einführung im Jahr 2005 erhielten Langzeitarbeitslose, die zuvor einen zeitlich limitierten Anspruch auf Arbeitslosengeld hatten, nach dem Ablauf Arbeitslosenhilfe. Diese wurde ohne weitere Fristen bis zur Rente gezahlt, wenn es sein musste. Sie war nicht hoch, aber sie stand dem Langzeitarbeitslosen individuell zu – egal, ob er in einer Familie, einer WG oder allein lebte. Seit Hartz-IV ist alles anders.

Die klassischen Sozialhilfeempfänger von früher haben Zuwachs bekommen von Menschen, die keine Anstellung mehr finden und von Menschen, die ohne deutsche Sprachkenntnisse und ohne nennenswerte Qualifizierungen nach Deutschland eingewandert sind – die auf der Suche nach Arbeit und Sicherheit für ihre Familien nach Deutschland eingereist sind.

Nicht nur im Ruhrgebiet ist die Zahl der Bürgergeldempfänger/Innen, die ihre Heimat verlassen haben, sehr hoch. Viele von ihnen sind Wanderarbeiter/innen, die schon als Jugendliche in der Fremde arbeiten mussten. So wie nach dem 2. Weltkrieg viele Deutsche aus ihrem Zuhause fliehen mussten, müssen es auch heute viele – nicht nur im Nahen Osten, auch in Afrika gibt es viele endlose Kriegs- und Krisengebiete, aus denen man flieht, wenn es irgendwie möglich ist.

Jugendliche verlassen ihre Familien, um in der Fremde zu arbeiten und Geld nach Hause zu schicken. Natürlich kann man in Deutschland sagen: „Was geht uns das an – wir können nicht die ganze Welt retten. Wir können nicht alle Armen ernähren“. Ich selbst gehöre auch dazu: Ich kaufe, ohne Skrupel zu verspüren, Produkte aus Ländern, in denen die Arbeitsbedingungen abscheulich sind. Ich gehe achtlos an Bettlern vorbei und verkünde -bedauernd lächelnd „Tut mir leid, ich gebe nichts“.

Die Frage ist, warum so viele der Wanderarbeiter und Einwanderer, deren Einreise von der Familie mühsam zusammengelegt wurde, da diese auf zukünftige regelmäßige Zuwendungen hoffen, in Deutschland Bürgergeld erhalten, anstatt dass sie wie in Spanien, Polen und den meisten anderen EU-Ländern für ihren Lebensunterhalt arbeiten?

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Vergleich mit Großbritannien: Was wird aus einem Land, das Armut geschehen lässt?

Das deutsche Gesellschaftssystem ist nicht auf Selbstverantwortung aufgebaut. Will ein arbeitswilliger Mensch, der über keine ausreichende, in Deutschland anerkannte Bildung verfügt, selbstverantwortlich leben und arbeiten, stößt er auf bürokratischen Hürden, die es ihm zum großen Teil unmöglich machen.

Meine Beratungsklienten machen die Erfahrung, dass die Hilfstätigkeiten, die sie als klassische Wanderarbeiter ausführen können (bei Männern überwiegend Lager, bei Frauen größtenteils Reinigung) in der Regel keine langfristige Sicherheit bieten.

Die große Falle „Zeitarbeit“

Da vor allem Personaldienstleister diese Jobs vergeben, endet das Arbeitsverhältnis immer dann, wenn vom Auftragskunden weniger Leute gebraucht werden – oder wenn ein anderer Anbieter dem Auftraggeber bessere Preise anbietet. Auf deutsch: Die Reinigungskraft von heute wird entlassen, da ein anderer Anbieter verspricht, dass seine Leute dieselbe Fläche in der halben Zeit reinigen können.

In den Jobcentern habe ich selbst erlebt, wie es aussieht, wenn eine neuer, günstigerer Dienstleister gebucht wird: Da die Reinigungskräfte unmöglich das Leistungs-Versprechen erfüllen können, ist es weniger sauber – zum Beispiel, weil nur noch zweimal statt dreimal in der Woche gereinigt wird.

Dass in Lagern die Menge von Produkte, die ihren Zielort pünktlich erreichen müssen, großen Schwankungen unterlegen ist, liegt auf der Hand. Beliebt ist das bei fast allen Migranten hochgelobte Amazon-Lager (beste Bezahlung, gut organisiert), das im Weihnachtsgeschäft ab Oktober viele Leute über Zeitarbeit einstellt und spätestens im Februar des folgenden Jahres wieder entlässt.

Falle: Arbeit statt Bürgergeld

Falls also eine Familie auf ihr Einkommen vertraut und sich beim Jobcenter anmeldet, kann es sein, dass sie schon nach einigen Monaten einen Neuantrag stellen muss. Die Bearbeitungszeiten des Hauptantrags können mehrere Monate dauern – wurde dem Arbeitnehmer gekündigt, kann es Nachfragen geben, die den Prozess bedrohlich verlängern.
Südkurier.de: Dauer beim Bürgergeld-Antrag – wie schnell gibt es Geld?

Währenddessen ist die Familie meistens nicht in der Lage, aus eigenen Mitteln die Miete vorzustrecken – es tritt eine akute Bedrohungslage auf. Allerdings ermöglicht das Sozialsystem Deutschland (Gott sei Dank), sich mithilfe von Beratungsstellen, Gericht und Anwalt zu wehren und hoffentlich einen Vorschuss zu erhalten.

Unsere arbeitswilligen Migrantenfamilien lernt zwangsläufig, das bürokratischen System Deutschlands zu nutzen. Aus den dankbaren Einwanderern werden Familien, die sich wehren und um ihre Leistungsansprüche kämpfen.

Rentner und Grundsicherung

Auch Rentner, die frisch im Ruhestand sind, müssen lernen, sich zu wehren, wenn sie auf ergänzende Grundrente angewiesen sind. Der Prozentteil der frisch Verrenteten ohne ausreichende Einkünfte steigt von Jahr zu Jahr. Die Beantragung von Grundrente ist ein Monster im Vergleich zu Bürgergeld-Anträgen. Bezieher von Grundrente dürfen nur 10.000 Euro Vermögen besitzen. Allein die Beerdigungskosten verschlingen mindestens die Hälfte dieser angesparten 10.000 Euro! Wohl dem, der eine rechtssichere Sterbeversicherung hat, auf die der Staat nicht zugreifen darf.

Was passiert, wenn Bürgergeld und Grundsicherung gekürzt werden?

Falls die Regierung beschließt, den bedürftigen Menschen nur noch einen festen Satz zu zahlen (z.B. einem Alleinstehenden 1000 Euro monatlich) würden viele ihre Wohnungen verlieren, da sich die Mieten für die untersten Einkommensbezieher enorm erhöht haben. Die Vermieter profitieren davon, dass Jobcenter und Sozialämter aufgrund der Wohnungsnot auch für Schrottwohnungen hohe Mietkosten und Heizkosten akzeptieren. Würde nun die Sicherung der Wohnungsmiete entfallen, würden mit einem festen Betrag, der unterhalb der jetzigen Gesamtzahlungen von rund 1 300 Euro (Wohnkosten plus 563 Euro) liegt, nicht einmal der primitivste Wohnraum mehr bezahlt werden können.

Bürgergeld und Mehrbedarf

Selbst wenn monatlich ausreichend gezahlt würde, wäre das Geld ohne die Mehrbedarfs-Leistungen gerade für Familien eine Katastrophe. Wer zahlt für das, was Kinder heute an Zusatzkosten verursachen? Kinder aus Einwanderungsfamilien brauchen in der Regel Nachhilfe, um gute Leistungen in der Schule zu erbringen – logisch, wenn ihre Eltern kaum Hausaufgabenbetreuung übernehmen können. Doch Nachhilfe wäre aus dem eigenen Regelbedarf nicht zu finanzieren.

Einwanderer brauchen Sprachkurse, Fortbildungen, Umschulungen, einige sogar Alphabetisierungskurse, um in den Arbeitsmarkt integriert werden zu können. Sie brauchen dauerhafte Arbeitsplätze – Arbeitskräfteüberlassungs-Unternehmen sind auf Dauer keine Lösung.

Das System kann sich nicht von ihrem sehr teuren Verwaltungs-Apparat verabschieden, der aus Beamten und Angestellten besteht. Wachsen die Regeln und Anforderungen, wächst auch der Verwaltungs-Apparat. Zusätzlich sind da noch die freien Unternehmen, die als Sozialträger (am bekanntesten sind Caritas, Diakonie und AWO) von den Förderprogrammen für Bürgergeld-Empfänger profitieren.

Übrigens: Etwa zwei Drittel des Bürgergeld-Budgets fließen in die Verwaltung – nur ein Drittel sind Auszahlungen an die Empfänger. 

Beachtlich ist, wie viel in den letzten Jahren vom Auftrag „Integration in den Arbeitsmarkt und sonstige Arbeitsförderung“ in die Verwaltung verschoben wurde. Der Auftrag der Integration in den langfristigen Arbeitsmarkt funktioniert fast nur noch bei Fachkräften, deren Berufsabschluss in Deutschland anerkannt wurde (was selbst Ärzten häufig nicht gelingt).

Deutsche Bürgergeldempfänger werden häufig zu langjährigen Langzeitarbeitslosen, die kaum noch vermittelbar sind. Denn eins ist klar: je länger arbeitslos, desto unwahrscheinlicher ist eine dauerhafte Reintegration in den Arbeitsmarkt.
Der Paritätische: Mittelausstattung des Bürgergelds 2024 – immer weniger Geld für Arbeitsförderung

Was passiert, wenn das Bürgergeld gekürzt wird?

– Familien haben keine andere Wahl, als schwarz zu arbeiten, um die Zukunft der Familie zu sichern. Und das, obwohl die Nischen für den „grauen Arbeitsmarkt“ immer kleiner werden.
– Die Zahl der Bürgergeldempfänger, die ihre Wohnungen verlieren, nimmt dramatisch zu. Bereits im Jahr 2024 gab es in Deutschland mindestens 35.000 Zwangsräumungen, was einen Anstieg von etwa 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet.
– Die zunehmenden Verelendungen würden wahrscheinlich Gewalt, soziale Brüche, Bildungsverlust, gesellschaftliche Spaltung, Sucht und Kriminalitätsraten in die Höhe treiben – wie zum Beispiel in den USA und in Großbritannien
– Diejenigen, die in der Lage sind, sich zu wehren, würden das Rechtssystem in Anspruch nehmen und sich gemeinschaftlich organisieren, um zu überleben.

Was geschieht dann mit den Rentnern?

Rentner mit ergänzender Grundsicherung sowie Lebenspartner, die mit einem pflegebedürftigen Partner zusammen sind, der stationär untergebracht ist, müssten mit einer noch geringeren Grundsicherung zurechtkommen als schon heute. Was hätte das für Konsequenzen?

– Flaschensammeln im Alter würde noch weiter zunehmen
– Die Suizidrate der Alten würde noch weiter ansteigen. Schon heute liegt das Alter der meisten Selbsttötungen im höheren Lebensalter: extrem hoch ist es bereits bei den 55 bis 64-Jährigen – den Spitzenwert aller Altersgruppen erreicht es dann bei Menschen zwischen 80 und 85.

Niemand ist gern eine Belastung für seinen Nachwuchs. Man möchte doch die Kinder und Enkel unterstützen, möchte den Kindern etwas vererben und ihnen nicht das Leben erschweren. 
Statistisches Bundesamt: Suizid nach Altersgruppen

Vergleich Deutschland/ Großbritannien

In Großbritannien sieht man, welche Folgen die Verelendung der Massen und die enorme Altersarmut mit sich bringt. Die Zahlen und Bilder sind erschütternd. Können und wollen wir in Deutschland etwas tun, um dieses gesellschaftliche Leid zu verhindern? Oder ist es uns egal, wenn das passiert?

Seit über zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Manager/Innen. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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