#rp17: Gedanken zum „Flachsinn“ Vortrag von Gunter Dueck – Video eingebettet

Ich schätze Gunter Dueck sehr. Seine Vorträge sind sehr unterhaltsam und transportieren Botschaften, die mir häufig aus der Seele sprechen. Auf der re:publica 2017 in Berlin hielt er einen einstündigen Vortrag zum Thema „Flachsinn“. Darin geht es um das uns allen vertraute Phänomen, dass sich das Internet nach und nach besiedelt hat mit einem Querschnitt der Weltbevölkerung. Wie bei allen weltbewegenden Veränderungen kommen nach den Pionieren (beim Internet waren das die Nerds) die Missionare, die Glücksritter, die Geschäftstüchtigen, die Skrupellosen

Screenshot vom Vortrag „Flachsinn“ von Gunter Dueck auf der re:publica 2017 – komplett bei YouTube

Und wie bei allen weltbewegenden Innovationen wehren sich bestimmte Bevölkerungsgruppen (beim Internet die älteren Leute, die Lehrer und die Intellektuellen) gegen den Wandel und stellen ihre konservativen Werte dem Neuen entgegen, so lange sie können. Was natürlich nicht gerade förderlich ist, um die entstandene Gesellschaft intelligent und klug zu gestalten. Diese Verweigerung ist mit daran schuld, dass sich ungezügelt entwickeln kann, was dem Einzelnen, der Menschheit und dem Planeten schadet.

Einst war das Netz „ein besserer Ort“

Als Mathematikprofessor und Nerd hat Gunter Dueck intensiv die Zeit miterlebt, als das Netz noch ein „besserer Ort“ war. Als es dort noch kaum Regeln gab und sich die wenigen Idealisten austoben konnten, voller Elan und Engagement großartige Dinge entwickeln wie Open Source Projekte und die Graswurzelrevolution.

Vom „besseren Ort“ zum „Flachsinn“

Heute ist das Netz überflutet mit Schwachsinn. Clickbait-Überschriften werden auch von den Leitmedien hemmungslos eingesetzt, um Klicks zu generieren. Selbst der nebensächlichste Inhalt wird verkauft mit Überschriften, sie die Sensationsgier des potentiellen Lesers anrühren sollen. Gelingt dies, ist die Freude groß.

Selbst bei der Eroberung Amerikas dauert es nur 17 Jahren, bis der Streit zwischen Siedlern und Indianern begann.

Heute sind die Idealisten die „Vertriebenen aus dem Paradies“. Während 30 Jahre nach Entdeckung des Internets noch erschreckend viele von „digitaler Transformation“ reden, von „Disruption“ oder gar „Revolution“, ist die Realität sehr viel weiter als diese Diskussion um Fluch und Segen der Digitalisierung. Gunter Dueck erinnert die Struktur des Internets an eine berühmte Strafanstalt in Kuba, in der der Wächter mit dem Fernrohr alle Strafgefangenen beobachten konnte (hier ein Bild vom Panopticon in Kuba). Auch im Internet sind die Zellen der Menschen offen und einsehbar, man findet – ähnlich wie die Häftlinge im Panopticon – kaum noch eine Ecke in seinem Leben, in dem man sich unbeobachtet weiß.

Auch in Unternehmenssystemen wird man ständig beobachtet und bewacht. Während früher Mitarbeiter geschätzt waren, die unauffällig ihre Arbeit verrichtet haben, ist es heute unabdingbar für Karrierebewusste, aufzufallen und sichtbar zu sein. Jeder weiß, dass er unter Beobachtung steht, und die Bühnenfähigen haben deutliche Vorteile gegenüber den Zurückhaltenden beim Kampf um Position und Einfluss. Unsichtbar sein ist ein Karrierekiller geworden.

So fühle ich mich als Kunde

Als Kunde ist man heute im Internet Freiwild für massenweise Spam und Werbebotschaften. Die völlig inhaltsfreie Social Kommunikation, die nichts weiter sagen will als „Ich bin da“ schreit uns von überall entgegen im Internet. Diese „phanetische Kommunikation“ will nichts weiter als Aufmerksamkeit, Klicks, Likes, Fans und Follower. Sie arbeitet mir einfachsten Impulsen, die Zustimmung erheischen wollen. Eigentlich ist das totaler Blödsinn, weil aus solchen Interaktionen und Likes nie Kunden werden, doch die Chefs lieben diese Zahlen aus den Statistiken – also wird die Sucht nach quantitativen Rekorden bedient, anstatt etwas Vernünftiges zu machen.

Niemand will mehr polarisieren

Gunter Dueck hat selbst einmal die Erfahrung gemacht, dass er bei Facebook mit dem Text „Liebe den Fremden wie Dich selbst und sage nicht „Pack“ zu Deinem Nächsten“ kein einziges Like und keinen einzigen Kommentar erhalten hat. Das hatte ihn sehr erschreckt, da er sonst immer Reaktionen für seine Posts erhält. Er meint, dass dieser polarisierende Inhalt die Fans verschreckt hat. Denn heute versuchen die Menschen, die sich ja nun wie Häftlinge 24 Stunden beobachtet fühlen, nicht anzuecken, nicht zu polarisieren, keine Abwehr und keinen Protest zu provozieren.

So wird das Netz auf der einen Seite immer stereotyper, auf der anderen Seite ziehen immer mehr „Klassenkaspar“ die gesamte Aufmerksamkeit auf sich. So wie damals in der Schulklasse, in der diese Kinder es nicht ertragen konnten, nicht im Mittelpunkt zu stehen, können sie heute im Web mit ihren unangemessenen und verhaltensauffälligen Aktionen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Es geht sogar so weit, dass „Klassenkaspar“ zum Businessprinzip erhoben wird. Ob wohl die Klassenkaspar von damals heute gerade die Gutverdiener in der Gesellschaft geworden sind?

Mit ein bisschen Mut und Ausdauer lernt man schnell im Internet, sich dort zu bewegen und das zu transportieren und auszutauschen, was Einem wichtig und nützlich ist. Wichtig ist, dass die Menschen ihre Angst verlieren, verletzt zu werden. Man lernt schnell, worauf die Menschen allergisch reagieren und kann entscheiden, ob man bereit ist, die Konsequenzen für Äußerungen zu tragen. Oder ob es nicht einfach Zeitverschwendung ist, die Knöpfe zu drücken, die Abwehr und Wut erzeugen. Tröstlich ist, dass Shitstorms heute nur noch wenige Stunden dauern. Es passiert so viel, dass die aufgebrachten Menschen ebenso schnell weiterziehen wie sie gekommen sind.

Boshaftigkeit steigt

Zum Ende des Vortrags ging Gunter Dueck noch einmal auf das Attentat auf den BVB-Speilerbus ein, das anscheinend nur verübt wurde, um die Börse zu manipulieren. Die unzähligen Möglichkeiten der rasend schnellen Welt heute, in der auch die Börse zu schnell reagiert, dass Aktien für einen einzigen Tag in den Keller rutschen können (zum Beispiel, weil ein Fußballer ermordet wird), führen zu unzähligen Möglichkeiten der Boshaftigkeit.

Intellektuelle, kommt ins Netz!

So endet der Vortrag mit einem Appell an die Intellektuellen, sich nicht länger dem Internet zu entziehen sondern diese digitale Welt aktiv mitzugestalten. Nur wenn viele kluge und nachdenkliche Menschen bei Facebook, YouTube und Co ihre Gedanken einbringen, können wir dem Zeitalter der „Klassenkaspar“ und „Boshaften“ etwas Wirkungsvolles entgegensetzen. Nur so können wir die beobachtende Strafanstalt befreien und dafür sorgen, dass die überwachten und belästigten „Häftlinge“ Schutz erfahren, Rechtmäßigkeit und Freiheit. Es gibt zwar keinen Weg zurück zum www-Paradies, doch es gibt einen Weg nach vorn. Und der will aktiv gestaltet werden.

Eine Stunde und zwei Minuten: Hier der komplette (und wirklich unterhaltsame) Vortrag zum „Flachsinn“ von Gunter Dueck

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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