17% der Alten in Grundsicherung waren früher selbstständig – brauchen wir die Renterversicherungspflicht für alle?

In Deutschland gibt es zurzeit mehr als vier Millionen Selbstständige. Sozialversicherungspflichtig sind die meisten von ihnen nicht. Nur einzelne Berufsgruppen wie Handwerker, Lehrer, Künstler und Hebammen sind als Selbstständige gesetzlich pflichtversichert. Alle Anderen müssen eigenständig für eine finanzielle Absicherung bei Alter und Krankheit vorsorgen, zum Beispiel über eine private Rentenversicherung und/ oder eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Da Selbstständige sowohl den Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerbetrag bei den Sozialversicherungen zahlen müssen, ist diese Belastung für viele zu hoch.

Nur 23 Prozent der Selbstständigen erzielen Stundensätze von mehr als 23 Euro

In der gesetzlichen Krankenversicherung wird nicht das reale Einkommen berücksichtigt, sondern ein fiktiver Mindestgewinn von 4.350 Euro. Das führt zu  monatlichen Krankenkassenbeiträgen von über 600 Euro – auch bei nur 1.000 Euro Einnahmen im Monat. Beiträge zur zur gesetzlichen Rentenversicherung betragen über 500 Euro monatlich – oder am Einkommen gemessen – 18,7% (Stand 2017). Ein Selbstständiger muss also, wenn er gesetzlich sozialversichert sein will oder muss, allein für GKV und Rentenversicherung mehr als 1.000 Euro zahlen.

Das ist in einer Zeit, in der mehr als 50 Prozent der rund vier Millionen Selbstständige in Deutschland Soloselbstständige sind, unrealistisch. Ohne Angestellte, die der Firma mit ihrer wertschöpfenden Arbeit einen weiteren Mehrwert zufügen, können nur wenige Freie hohe Einkommen von über 5.000 Euro erzielen. Nur 23 Prozent der Soloselbstständigen erzielen Stundensätze von mehr als 25 Euro.

Das neue Werkvertragsgesetz

Am 1. April 2017 tritt das neue Werkvertragsgesetz in Kraft. Mit diesem Gesetz soll Scheinselbstständigkeit besser verhindert werden. Es ist zu erwarten, dass die Rentenversicherung nun verstärkt Werkverträge von Freelancern prüfen wird. Die Frage ist, ob das Gesetz nicht dazu führt, dass viele Freelancer in Zeitarbeit gedrängt werden, da viele Unternehmen, die bisher auf Freiberufler gesetzt haben, aus Angst vor Sanktionen wegen Scheinselbstständigkeit auf Arbeitnehmerüberlassungen setzen. Schon heute beklagen IT-Freelancer, dass diese Praxis zunimmt. Das führt natürlich zu sinkenden Honoraren, da die Zeitarbeitsfirmen auch noch mitverdienen wollen.

Sozialversicherungspflicht für alle?

Es gibt in anderen Ländern Modelle, die für Selbstständige pratikabler sind als die deutsche Regelung, bei der nur Mitglieder der Künstlersozialkasse Sozialversicherungs-Beiträge zahlen wie ein Angestellter – eben nur den Arbeitnehmerbetrag. Manche Länder berechnen Krankenversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung nach dem realen Einkommen der Selbstständigen, so dass die Beiträge sozial verträglich sind.

Deutschland hingegen wünscht sich, dass möglichst viele Werktätige in „normalen“ Arbeitsverhältnissen sind, Selbstständige sind nicht so gern gesehen. Ob das realistisch und wünschenswert ist, bleibt dahingestellt. Tatsache ist, dass 30 Prozent der Deutschen über 15 Jahre in „unabhängigen Arbeitsverhältnissen“ beschäftigt sind: als Selbstständiger, befristet Beschäftigter, oder mit einem zusätzlichen Nebenjob.

Um Armut im Alter, Krankheit und bei Berufsunfähigkeit zu vermeiden, wäre eine umlagefinanzierte Sozialversicherungspflicht für alle Steuerzahlenden in Deutschland auf jeden Fall angemessen, doch die Belastung muss – ebenso wie die Steuerschuld – an den Einnahmen und Gewinnen bemessen werden. Und zu diesen Sozialversicherungen, die alle Bürger schützen sollen, muss auch bei Selbstständigen die Arbeitslosenversicherung hinzukommen. Wenn nur 23 Prozent der Soloselbstständigen Stundensätze von mehr als 25 Euro erzielen, sollten wir der Realität ins Auge blicken – und nicht einfache Lösungen wählen, die viele Menschen in den Ruin treiben.

 

 

 

 

Seit fast zwanzig Jahren auf der "freien Wildbahn" hat Eva Ihnenfeldt sowohl 2004 eine eingetragene Genossenschaft für Existenzgründer gegründet als auch 2011 eine Akademie für die Ausbildung von Social Media Unternehmenden. Lange Zeit war sie Dozentin und Trainerin für Marketing, Kommunikation und Social Media. Heute arbeitet sie als Coach für Menschen im beruflichen Wandel. Ihre Stärke ist es, IST-Situationen zu akzeptieren, Visionen zu erkennen und gemeinsam mit ihren Klienten Strategien zu entwickeln, die sich auch in der Praxis bewähren. Mobil: 0176 80528749 - E-Mail: [email protected]

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2 thoughts on “17% der Alten in Grundsicherung waren früher selbstständig – brauchen wir die Renterversicherungspflicht für alle?

  • Reply Reginald Müller 21. März 2017 at 09:36

    Das Thema Rente ist für mich schon lange ein rotes Tuch. Keine Partei hat Selbstständige im Blick, die um Ihre Existenz kämpfen. Immer wieder ist der „fleißige“ Arbeiter im Fokus von Diskussionen, die über dem Bildschirmen flimmern. Da muss dann die Krankenschwester oder der Dachdecker als Beispiel herhalten. Die vielen Selbstständigen, die auch hart Arbeiten müssen haben bei keiner Partei eine Lobby und fallen unterm Tisch. Ich wäre für ein Rentensystem wie in den Niederlande. Dort gibt es eine Grundsicherung für jeden, von der man auch Leben kann. Was ich in diesem Jahr für eine Partei wählen soll weiß ich nicht, denn ich sehe mich von keiner vertreten.

    • Reply Eva Ihnenfeldt 23. März 2017 at 18:33

      Geht mir genau so wie Dir lieber Reginald. Ich meine, selbst bei geringem Umsatz schon knapp 1.000 Euro für Krankenkasse und gesetzliche Rente zahlen zu müssen, weil man Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag zusammen allein zahlen muss, ist einfach nicht fair. Ich bin doch nicht mein eigener Arbeitnehmer! Sollte einfach prozentual vom Gewinn einbehalten werden . wie Steuern auch. Die Niederlande und Dänemark haben da ein viel sozialwirtschaftlicheres System.

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