Wurde zunächst die Bürgergeld-Einführung zum 1. Juni 2023 fast schon als „Grundeinkommen light“ empfunden, ist nun, neun Monate später, eine gesetzliche Änderung vom Bundesrat beschlossen worden, die ab sofort die vollständige Streichung des Regelbedarfs ermöglicht, wenn Bedürftige zumutbare Jobangebote ausschlagen. Diese Totalsanktionen sind demnach seit dem 28. März 2024 für zwei Monate möglich, wenn Bürgergeld-Empfänger innerhalb von 12 Monaten zweimal ein zumutbares Jobangebot ablehnen. Zahlungen für Miete und Heizung bleiben allerdings auch während der Totalsanktion erhalten.
Nun kann spekuliert werden, ob diese Sanktions-Verschärfung erfolgreich sein wird oder nicht. Auf der einen Seite ist der Job- und Fachkräftemangel in Deutschland gravierend, auf der anderen Seite ist es fraglich, wie viel Prozent der Langzeitarbeitslosen überhaupt arbeitsfähig und arbeitswillig sind. Was kann man als Arbeitgeber tun, wenn die neue Arbeitskraft sich ständig krankmeldet oder ganz einfach nicht die Leistungen erbringen kann, die zum Beispiel in der Gastronomie, in der Pflege oder bei Lieferdiensten gefordert werden?
Welche Möglichkeiten werden Bürgergeld-Empfänger haben, sich gegen „zumutbare Jobangebote“ bei Sozialgerichten zur Wehr zu setzen? Welche Krankheits-Diagnosen von Medizinern werden als anerkannte Einschränkung beim Jobcenter akzeptiert, ohne dass eine erhebliche Erwerbsminderung festgestellt wurde?
Und natürlich: Was macht ein/e Bedürftige/r, der/die zwei Monate keinen Cent mehr erhält und keine Familie hat, die ihm oder ihr mit Geld und Lebensmitteln aushelfen kann? Klauen? Betteln? Verhungern? Wir können beobachten, wie die unerbittliche Streichung von Geld für das Existenzminimum ganze Gesellschaften erschüttert wie in England.
Es ist wie so oft im Leben: Wenn etwas zu gut gemeint ist, verkehrt es sich sehr bald genau in das Gegenteil. Während seelische Erkrankungen sowohl bei Berufstätigen als auch bei Arbeitslosen ansteigen, sollen Gesetzesverschärfungen die aufgebrachte Stimmung unter den arbeitenden Steuerzahlern besänftigen. Verständlich, wenn durch den digitalen Wandel und den verheerenden Job- und Fachkräftemangel immer mehr Arbeitsplätze überfordern und krank machen.
Ob es wirklich nur wenige unwillige Bedürftige gibt, die in der Lage sind, in Vollzeit zu arbeiten (denn nur dann fallen zumindest Mindestlohn-Bezieher aus der Alimentierung heraus), und es aus „Bequemlichkeit“ nicht tun, bleibt abzuwarten. Auch ich bin der Auffassung, dass geben soll, wer nimmt – doch ich denke da zunächst eher an Ehrenämter und psychologisch begleitete Arbeit als an normale 40-Stunden-Jobs für vollständig leistungsfähige Menschen.
Langzeitarbeitslosigkeit macht krank. Und Krankheit führt zu Langzeitarbeitslosigkeit. „Lebenskünstler“, die sich auf Kosten der Steuerzahler ein herrliches Leben machen, sind mir in meiner Arbeit für Jobcenter bisher selten begegnet. So toll ist Bürgergeld auch nicht. Langeweile, Sinnlosigkeit und gesellschaftliche Ächtung ist für die meisten Meisten mit verheerenden Konsequenten verbunden. Die Einzigen, die mit Würde und Stolz ihre Armut verkraften, sind meines Wissens nach Alleinerziehende. Mütter arbeiten nämlich – und das nicht zu knapp….
Quelle Lokalkompass vom 30.03.24: Der Bundesrat erteilt seine Zustimmung zu Totalsanktionen