Im Zeitalter des Kuratierens oder jenseits der Push-Kultur

Im Zeitalter des Kuratierens ist der Kontrollverlust mit einberechnet. Vielleicht tun sich Firmen deswegen schwer mit der Vorstellung, dass die Push-Kultur allmählich durch die Prosumer-Kultur ersetzt wird. Im Zeitalter des Kuratierens hat zumindest jeder die Möglichkeit sich kreativ zu betätigen – Kulturinstitutionen und Unternehmen bieten aber längst nicht immer die Chancen dafür an.

Dabei ist es eigentlich klar: Wer Inhalte verteilt gibt die Kontrolle darüber wie die Inhalte aufgenommen und rezipiert werden aus der Hand. Wenn Inhalte ins Internet hineingegeben werden kann ich nie sicher sein, dass ich sie im Originalzustand wieder herausbekomme. Im günstigsten Falle werden diese Inhalte originalgetreu weitergegeben, im schlechsten werden sie so remixt und resampelt dass die eigentliche Intention nicht mehr da ist, dass sie zur Persiflage, zur Satire, zur Spottscheibe werden. Selbst ein harmloser Werbespot in dem ein Sportler ein Stück Wurst verspeist kann einen Beleidigungssturm auslösen. Allerdings: Das ist kein neuer Effekt – auch ein Zeitungsartikel hat schon immer von Lesern unterschiedlich aufgenommen werden können. Das Internet hat diesen Effekt nur verschleunigt und öffentlicher gemacht. Eine Leserbriefdebatte in einer lokalen Zeitung über eine Werbeanzeige eines Sportlers, der eine Wurst isst – in der Vergangenheit wäre das nur tatsächlich ein lokales, begrenztes Thema gewesen. Das Netz hat diese Effekte dupliziert. Erfunden hat es sie nicht.

Ermöglichung der Fans

Wenn das Internet Inhalte schneller verteilt, vor allem durch die Sozialen Netzwerke, wäre es ja einfach zu sagen – und es wird auch immer noch gesagt – dies wäre nur ein neuer Kanal, ein neues Medium, dieses müsse man so bespielen und vermarkten wie die herkömmlichen Kanäle. Das heißt: In erster Linie die alten Inhalte genauso hineinpushen wie man es von Zeitungsanzeigen, Fernsehspots oder Radiowerbung kennt. Dies verkennt aber eine Tatsache: Ein Zeitungsleser, ein Fernsehender oder Radiohörer kann sich nicht gegen die Beschallung wehren wenn sie ihn nervt, außer er verlässt das Medium komplett. Legt die Zeitung beiseite, wechselt den Fernsehsender oder schaltet das Radio aus. Die Interaktion und die Reaktion auf diese Inhalte ist also begrenzt. Selbst wenn der Zeitungsleser einen bissigen Leserbrief über die Zustände bei Anzeigen schreiben würde fände dies erstmal außerhalb des Mediums Zeitung statt und wäre mit einem beträchtlichen Aufwand verbunden. Deswegen werden in der Regel auch nur Leserbriefe geschrieben, wenn die Peinschwelle hoch genug ist.

Im Internet ist das einfacher, weil die Wahrnehmung von Werbung und die Reaktion auf diese Werbung im selben Medium erfolgt. Ich kann natürlich auch ein Programm für den Browser herunterladen um Werbung zu blockieren und sehe sie deswegen gar nicht erst – ich kann aber auch Werbung spielerisch verfremden, persiflieren, mich in einem Blog darüber beschweren wie furchtbar die Werbung bei der lokalen Zeitung ist oder darauf hinweisen, dass es Radiokanäle ohne Werbung gibt. Es ist kein Geheimnis, dass das Internet aus dem Konsumenten auch einen Produzenten machen kann – die Prosumer gehen soweit, die Inhalte aus anderen Medien offline kreativ zu verarbeiten um sie in das System Internet einzuspeisen. Die Photographie-Galerien von Streetart etwa sind Beispiele dafür. Obwohl der Begriff der Prosumenten nicht neu ist scheint er nicht verstanden worden zu sein. Statt zu begreifen dass es besser ist den Kunden, den Fans der Institutionen oder Firma Werkzeuge und Inhalte an die Hand zu geben, die diese kreativ bearbeiten können wenn sie wollen herrscht teilweise noch die Meinung vor, Social Media sei keine Revolution – ja, noch nicht einmal das Wort Kommunikation wird gerne in den Mund genommen – sondern Social Media ist einfach ein neuer Kanal, den man einfach nach alten Kriterien bespielen müsse und gut sei es. Dabei kann man es gar nicht verhindern dass Fans kreativ werden, denn wenn sie entweder begeistert oder besonders kritisch sind werden sie die Inhalte sowieso bearbeiten.

Ich, der Kurator

Im Zeitalter des Kuratierens ist der Prosument ein wichtiger Bestandteil des Systems – schon jetzt wird immer von Beeinflussern, von Meinungsführern gesprochen die man für die Firma im Internet braucht damit sich die Themen, also die eigenen, gut durchsetzen. Daran ist nichts falsch, es kommt allerdings auf die Sichtweise an – ich kann meine Meinungsführer nur als willige Lakaien behandeln oder ich kann ihnen respektvoll entgegentreten und versuchen, eine Beziehung mit ihnen aufzunehmen. Im ersten Fall wäre ich im Paradigma des Alten Vorgehens gefangen, weil ich es vielleicht auch gar nicht anders kenne, im zweiten Fall wäre ich in der Lage auf Augenhöhe mit meinen Kunden zu reden. Dass dies nicht von allen Firmen gewollt wird, gut. Dann aber sollte der Schritt ins Social Web wohlüberlegt sein – man kann zwar im eigenen Blog die Kommentarfunktion abschalten, aber man kann nicht verhindern dass die Inhalte in Foren diskutiert werden. Und man selbst wird dann vermutlich nichts mitbekommen, weil man noch nicht mal die Mühe auf sich nimmt ein Monitoring zu veranstalten. Das Internet ist ein Hype, der eine Tradition von knapp 20 Jahren hat. Muss man also nicht ernstnehmen.

Ebensowenig die Möglichkeiten und Chancen, die sich eröffnen wenn man den Kunden ermöglicht sich über die eigenen Inhalte auszutauschen und darüberhinaus auch Inhalte anbietet, die man nicht selbst erstellt hat. Dass dies nicht passiert, ja, dass Zeitungen offenbar noch nicht mal in der Lage sind bei recherchierten Artikeln einen Link auf die Quellen zu setzen und so den Leser in einem künstlichen Silo gefangenhalten – dass der bei Interesse sowieso das Angebot verlassen und die Suchmaschine der Wahl bemühen wird kann man eh nicht verhindern – zeugt wohl in erster Linie von Angst, den Leser an die Konkurrenz zu verlieren. Dies mag berechtigt sein, verkennt jedoch dass der Zusatznutzen für den Kunden oder den Fan eine enorme Komponente ist. Sicherlich: Dass der Kunde sich erstmal informiert und dann doch woanders kauft – im realen Geschäft kann man Dinge halt anfassen und anschauen bevor man dann zu Hause beim Internetshop bestellt – ist eine Gefahr, die man nie bannen können wird. Und wer sagt, dass dies nicht auch schon in Zeiten der Papierwerbung so gelaufen ist? Heutzutage bekommt man dieses Verhalten durch das Internet nur schneller mit.

Im Zeitalter des Kuratierens ist das Anbieten von Informationen wichtig. Auch das Anbieten von Informationen, die nicht aus der eigenen Quelle stammen – denn dadurch steigert sich die Attraktivität der Institution und der Firma. Sie zeigt, dass sie verstanden hat dass es nicht nur auf die permanente Glitzer-Darling-Darstellung ankommt sondern dass sie den Fan akzeptiert und respektiert. Denn schließlich bedient sich dieser Fan aus den diversen Angeboten und mixt sich zum einen seine eigene Informationszeitung zusammen – dies hat er allerdings auch schon analog gemacht, in dem er verschiedene Prospekte verglich, verschiedene Zeitungen und Zeitschriften im Abo hatte. Darüberhinaus kann der Fan als Kurator aber auch durch die Weitergabe und das Zusammenstellen von Informationen als Influencer, Meinungsführer zu einem Thema werden – der Markenbotschafter, der nicht nur loyal die Produkte kauft sondern sie auch weiterempfiehlt. Ein Wunsch, den jede Firma hat.

Als Institution muss ich mich im Zeitalter des Kuratierens von der Push-Kultur verabschieden. Ich muss dafür sorgen, dass ein ausgewähltes Gleichgewicht zwischen den Hinweisen aufs eigene Angebot, denn schließlich will ich ja immer noch ein Produkt verkaufen oder für mein Haus Publikum gewinnen, sowie fremden Inhalten herrscht. Darüberhinaus braucht es auch noch ein Klima der Offenheit – und des Respektes gegenüber dem Fan. Dann könnte es klappen: Die Darstellung der eigenen Marke im Zeitalter des Kuratierens jenseits der Push-Kultur.

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